Regierungserklärung Ukraine – Schubert: Angriff auf unsere europäischen Grundpfeiler von Frieden, Demokratie und Freiheit

Redebeitrag der Abgeordneten Franziska Schubert (BÜNDNISGRÜNE) zur Regierungserklärung zum Thema: „Freiheit und Frieden sind das höchste Gut – Unterstützung für die souveräne Ukraine“
46. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 23.03.2022, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort

 

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

am 24. Februar hat Präsident Putin mit dem russischen Angriff gegen die Ukraine das Völkerrecht gebrochen. Wir verurteilen diesen Krieg auf das Schärfste. Er ist ein barbarischer Akt, skrupellos und brutal. Er bringt dramatische Folgen für die Menschen in der Ukraine und verursacht unfassbares Leid und Schmerz.

Dafür darf es keine Relativierung geben; dafür darf es auch nicht im Ansatz Verständnis geben. Was Russland da macht, ist keine Notwehr.

Ich möchte erinnern, dass dieser Krieg schon 2014 begann mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim – für uns BÜNDNISGRÜNE ist das kein Zustand, an den wir uns gewöhnt haben. Er war damals ein Verbrechen und er ist es heute noch.

Nur wenige hunderte Kilometer von uns entfernt überzieht Putins Armee nun seit dem 24. Februar die Ukraine mit Bomben und Artillerie, setzt thermobarische Waffen ein und geht gezielt auch auf zivile Objekte. Die russischen Angreifer bombardieren alles, was die Menschen in der Ukraine aufgebaut haben. Sie suchen nicht nur militärische Ziele, vielmehr zerstören sie Einrichtungen wie Krankenhäuser, Theater, Schulen, Kindergärten, ja sogar Kirchen. Und erprobt hat Putin das bereits in Syrien. Manche Ukrainerinnen und Ukrainer können schon nicht einmal mehr mit dem Nötigsten versorgt werden, nicht mit Nahrung, nicht mit Trinkwasser, nicht mit Medikamenten. Tausende werden zu Opfern – Soldaten, Zivilisten und auch Kinder, deren Leid uns besonders anrührt.

Aber eines können Russlands Bomben nicht zerstören: den Traum von Freiheit, von Demokratie und einer vielfältigen Gesellschaft in einer souveränen Ukraine.

Und ich sage es an dieser Stelle ganz deutlich: Wer in diesen Tagen mit Russlandfahnen marschieren oder spazieren geht, macht sich gemein mit all dem, was an Grausamem vor sich geht.

Der Widerstand in der Ukraine zahlt einen hohen Blutzoll für die Werte, die dort auch für uns verteidigt werden – Freiheit, Demokratie, Grundrechte. Die Menschen der Ukraine kämpfen und verteidigen sich, weil sie nicht in einem autokratischen, intoleranten und gleichgeschalteten Über­wachungsstaat wie in Russland leben möchten.

Putins Propaganda und die Kontrolle der Medien sorgen für ein Zerrbild in der öffentlichen Wahrnehmung in Russland. Die Mutigen, die in Russland den Krieg beim Namen nennen, die demonstrieren oder anderweitig ihre Stimme gegen den barbarischen Krieg erheben, müssen mit unverhältnismäßigen Strafen rechnen. Diesen mutigen Menschen sagen wir Danke. Und an ihrer Seite fühlen auch wir uns.

Viele schweigen allerdings und stehen hinter dem von ihnen gewählten russischen Präsidenten.
Und es mag hart klingen, wenn ich folgendes ausspreche und dabei den Begriff nutze, den auch Hannah Arendt nutzte: Als Tätervolk, von dem einst Krieg ausging, dürfen wir kein anderes Tätervolk von Schuld freisprechen. Daran erinnerte uns die junge Ukrainerin Iryna Yaniv, die am vergangenen Sonntag auf dem Görlitzer Marienplatz ihre Stimme erhob und die für mich klarsten Worte auf der dortigen Friedenskundgebung fand. Sie sagte, sie hoffe nicht, dass hier ein Tätervolk ein anderes entschuldigen wolle, weil so oft gesagt würde, es sei ausschließlich Putins Krieg. Die Rede von Iryna Yaniv war klar: Sie rief dazu auf, gegen den russischen Imperialismus und den Krieg zu kämpfen und ihr Land dabei zu unterstützen. Ihr Land könne sich nicht einfach ergeben, damit es Frieden gebe, wie es so oft und so naiv immer wieder heißt; schnell dahin gesagt wird.

Denn für die Ukraine steht alles auf dem Spiel. Und für Europa auch.

Wir stehen in voller Solidarität an der Seite der Ukraine. Denn der Angriff auf die souveräne und Europa zugewandte Ukraine ist zugleich ein Angriff auf unsere europäischen Grundpfeiler von Frieden, Demokratie und Freiheit, der wir mit aller Härte und Sanktionen auf der einen und immenser humanitärer Unterstützung auf der anderen Seite begegnen müssen und auch können.

Wir halten die Sanktionen gegen Russland und die Unterstützung für die Ukraine für richtig; und ich hätte mir gewünscht, dass manche Entscheidung schneller getroffen worden wäre. Denn jetzt gilt mehr denn je: Solidarität bedeutet mehr als nur Worte der Unterstützung auszusprechen; es heißt mehr, als nur Friedenstauben auf Plakate zu malen.

Die Staaten Osteuropas erinnern sich an die Gewaltherrschaft der alten Sowjetunion mit den Schandtaten des Realsozialismus zurück. Es herrscht berechtigte Angst vor der Unberechenbarkeit des russischen Präsidenten. Die Frage nach einem NATO-Fall steht seit Beginn wie ein weißer Elefant im Raum.

Seit dem 24. Februar dieses Jahres ist diese Welt eine andere. Der Krieg begegnet uns in den Augen, den Tränen und Erzählungen derer, die zu uns kommen.

Ich komme aus Görlitz und hier kommen mittlerweile jede Nacht Sonderzüge in Zgorzelec an, mit hunderten Menschen. Die Menschen, die kommen, sind zusehends in einem sich verschlechternden gesundheitlichen Zustand. Und der Zustand insbesondere der Kinder rührt unser Herz zutiefst an. Und nicht nur ich frage mich immer wieder in diesen Tagen, was ich tun würde, wäre ich in dieser Situation, was ich tun würde, um meine Familie zu schützen.

Viele Menschen fühlen durch den unvorstellbaren Rechtsbruch große Hilf- und Mutlosigkeit, Verzweiflung und Entsetzen, aber auch Wut. Dieser Ohnmacht dürfen wir uns jedoch nicht ergeben, sondern wir müssen alles Erdenkliche und Vernünftige tun, um den Menschen in der Ukraine und den Geflüchteten beizustehen sowie Krieg und Zerstörung zu beenden.

Angesichts Russlands Aggression gegenüber der Ukraine gibt es auch in Sachsen konkreten Handlungsbedarf – unsere Hilfsstrukturen und politischen Entscheidungen sollten fortlaufend mit der Perspektive der Menschen, die zu uns kommen, abgeglichen und Bedürfnisse abgefragt werden.
Schnelle, direkte und unbürokratische Unterstützung können wir durch die Lieferung von Hilfsgütern leisten; als Freistaat liefern wir beispielsweise Medikamente an Krankenhäuser in der Ukraine oder schusssichere Westen für Sanitäter.

Dabei ist vor allem die Zusammenarbeit mit unseren östlichen Nachbarländern wichtig, sowohl bei den materiellen Gütern, aber auch bei der Bereitstellung von Finanzmitteln für die Aufnahme von Geflüchteten. Denn während ein Teil der Geflüchteten zu Verwandten und Bekannten in Europa unterwegs ist, entscheidet sich eine Vielzahl der Ukrainerinnen und Ukrainer auch, in einem Nachbarland zu bleiben, um nah an der Heimat zu sein.

In den vergangenen vier Wochen ist uns der Krieg auch hier in Sachsen unmittelbar begegnet – in den Gesichtern der Menschen, vor allem der Frauen und Kinder, die auf der Durchreise sind oder hierbleiben werden. Sie tragen viel Schmerz und Erschöpfung in sich und für mich kann ich aus meinen persönlichen Erfahrungen der vergangenen Tage sagen, dass das niemanden kalt lässt und die Herzen aller Helferinnen und Helfer berührt.

Kinder und junge Menschen in der Ukraine leiden besonders unter der aktuellen Situation. Sie werden ihrer Zukunft beraubt. Wir wollen in Sachsen sicherstellen, dass das Recht auf Bildung von geflüchteten Kindern gewährleistet wird. Sie sollen schnellstmöglich nach Ankunft Angebote von Kinderbetreuung und Bildung erhalten. Das Kultusministerium hat meines Erachtens nach ein einfaches Verfahren gut kommuniziert, was die Schulanmeldungen angeht. Im Kitabereich sortiert es sich noch.
Die Kommunen wollen und werden wir bei dieser Aufgabe mit der Bereitstellung von Ressourcen unterstützen.

Von Beginn an konnten wir Entwicklungen gut verfolgen, auch die Fragen, die die Gastfamilien stellen: Wie geht es weiter?

Wir haben ein Nadelöhr zur Zeit, was die Registrierung angeht. Zu wenig Personal, zu wenig technisch dafür notwendige Geräte; keine Kompatibilität zwischen Software Bund und Land. Beim Personal schickt der Freistaat Verstärkung Richtung Kommunen und bei den durchleitenden Kommunen wird es im Vorgriff auf das Flüchtlingsaufnahmegesetz erste finanzielle Unterstützung geben. Wir müssen das Nadelöhr zügig auflösen, damit die Menschen gut und schnell ankommen können.

Unter den Menschen, die zu uns kommen, sind viele, die mit als Erstes nach Arbeit fragen – und sie sind Software-Ingenieure, Schneiderinnen, Elektriker, Lehrerinnen. Ich möchte, dass diese Menschen bei uns bleiben, überall im Land, weil sie unsere Gesellschaft bereichern. Und dafür braucht es neben dem Appell an die Geduld auch den Willen, Behörden in die Lage zu versetzen, diese Grundlagen zügig legen zu können.

Es gibt den Ausführungserlass des Bundesministerium des Innern. Unserer Auffassung nach muss er vollumfänglich zur Anwendung kommen hinsichtlich der Registrierungsmöglichkeiten, umfassten Personengruppen, automatischer Arbeitserlaubnis sowie der Gewährung von finanziellen Hilfen zur Sicherung des sozialen Existenzminimums. Dazu gehört für uns ebenfalls eine unkomplizierte Anerkennung von Berufsabschlüssen. Für Studierende, die aus der Ukraine geflüchtet sind, unabhängig von ihrer Nationalität, braucht es eine Lösung.

Medizinische Hilfe ist ein weiterer Punkt. Andere Bundesländer haben bereits mit der Ausgabe von Gesundheitskarten begonnen; ich hoffe, dass es damit auch in Sachsen bald losgeht und wir hier nicht zögerlich ein weiteres Nadelöhr schaffen, weil sich Betroffene mühselig von Behandlungsschein zu Behandlungsschein hangeln müssen, hinter denen jeweils ein behördlicher Akt steht. Ein ausreichendes psychotraumatisches Versorgungsangebot wird dringlich gebraucht – und zwar in Sprachen, die die Geflüchteten sprechen. Diese Angebote müssen flächendeckend organisiert werden; dort, wo der Bedarf ist.

Ein Wort noch zum Solidaritätsbegriff: Berichte über Benachteiligungen bei der Registrierung und Unterbringung von aus der Ukraine geflüchteten Drittstaatangehörige und ukrainischen Roma an Grenzübergängen besorgen uns sehr. Es ist für uns BÜNDNISGRÜNE keine Frage, dass alle geflüchteten Menschen aus der Ukraine aufgenommen werden sollen, unabhängig von ihrer Nationalität. Eine selektive Solidarität darf es nicht geben.

Die Diskussionen um Investitionen in die Sicherheit betreffen nicht nur die Bundesebene und Ausgaben für das Militär. Ich kann es schlecht hören, wenn eine Empörungswelle über Aufrüstung völlig undifferenziert hochschwappt. Es geht eigentlich um mehr: um Ausrüstung und eine zeitgemäßen Begriff von Sicherheit, aus dem sich das Aufgabenprofil einer modernen Bundeswehr ableitet. Im Sinne auch einer vernetzten Sicherheit.

Es bleibt festzustellen, dass es nicht grüne Übermoral ist, die für die so offen zu Tage tretenden Mängel der Sicherheits- und Energiepolitik verantwortlich ist. Es waren 16 Jahre politische Misswirtschaft, in denen BÜNDNISGRÜNE wiederholt auf Risiken hingewiesen haben.

Sachsen hat in diesen Tagen in der überwiegenden Mehrheit ein ganz anderes Bild gezeichnet: eines von großartiger Hilfsbereitschaft, Engagement, Empathie, Aufopferung und Unterstützung. Deshalb möchte ich diese Gelegenheit auch nutzen, um den vielen Freiwilligen, den Unternehmen, den Organisationen, Vereinen und Verbänden, den Kommunen und den Verwaltungen zu danken – sie alle tragen dazu bei, dass wir den Geflüchteten etwas Sicherheit geben, sie mit offenen Armen und Herzen, Freundlichkeit und Viele in einer privaten Unterkunft empfangen. Das nimmt etwas von der anfangs angesprochenen Hilflosigkeit – und ich kann Ihnen sagen, wir werden dieses Engagement und diese Kraft weiter benötigen und ich möchte sie dazu ermutigen.

Und zum Schluss möchte ich darum aus zutiefst menschlicher Überzeugung sagen: Es ist das Beste, was wir Menschen in uns tragen: Ein Herz, das Mitgefühl, Hilfsbereitschaft, Ausdauer und Liebe hervorbringt – um Jenen zu helfen, die vertrieben wurden und flüchten mussten in eine ihnen unbekannte Umgebung; bangend um Jene, die zurückgeblieben sind.

Wir werden jede Hilfsbereitschaft, Kraft und Geduld in den nächsten Monaten weiterhin ausdauernd benötigen – und allen, die sich daran beteiligen, sei an dieser Stelle von Herzen „Danke“ gesagt.