Schulgesetz − Zais: Der vorliegende Gesetzesentwurf gibt nur auf wenige Herausforderungen eine substanzielle Antwort

Rede der Abgeordneten Petra Zais (GRÜNE) zum Gesetzentwurf der Staatsregierung "Gesetz zur Weiterentwicklung des Schulwesens im Freistaat Sachsen" (Drs 6/9118 und 6/5078)
52. Sitzung des Sächsischen Landtags, 11. April, TOP 4

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Frau Staatsministerin,

seit 2015 haben nicht nur die von bildungspolitischen Entscheidungen direkt Betroffenen wie LehrerInnen, SchülerInnen, Eltern und die Kommunen mit großen Hoffnungen auf das neue Schulgesetz gewartet – auch die sächsische Wirtschaft, die Wissenschaft, die Lehrergewerkschaften und viele Interessens- und Zweckverbände haben den Prozess der Erarbeitung verfolgt und ihre Vorstellungen von künftiger sächsischer Bildungspolitik in einer Vielzahl von Stellungnahmen eingebracht.

Die erste große Enttäuschung kam im Mai 2016 in Form des von der Staatsregierung eingebrachten Entwurf. Dieser Entwurf war mutlos, kraftlos und stellte sich keiner der im Diskussionsprozess und den Bürgerforen stringent vorgebrachten Änderungswünsche – der Möglichkeit längeren gemeinsamen Lernens ohne Bewährtes aufzugeben, der Forderung nach gesetzlichen Regelungen zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention einschließlich der dafür nötigen Ressourcen, ebenso wie bei den zu schaffenden Bedingungen für den Umgang mit zunehmender Heterogenität an Sachsen Schulen, auch hier natürlich einschließlich der dafür nötigen Ressourcen, z. B. für Schulsozialarbeit.

Darüber hinaus enthielt der Entwurf Regelungen, die eher wie ausgewürfelt als durchdacht daherkamen – genannt an dieser Stelle nur die ursprünglichen, nicht nachzuvollziehenden Vorschläge zu den Berufsschulzentren.

Nach dem ersten Schock setzte erneut die Hoffnung ein – diesmal auf die Bereitschaft der Bildungspolitikerinnen und -politiker von CDU und SPD, lernfähig zu sein und aus den Anhörungen (und wir hatten sehr gute Anhörungen) und erneuten Stellungnahmen die dringendsten Botschaften aufzunehmen und den Entwurf der Staatsregierung den tatsächlichen Erfordernissen anzupassen.

Auch diese Hoffnung wurde – bis auf wenige Ausnahmen – enttäuscht.

Sachsens Schulen sind mit Herausforderungen konfrontiert, auf die die nun vorliegende Beschlussempfehlung zur Novellierung des Schulgesetzes nur wenige Antworten liefert. Wachsende Disparitäten bei den Bildungschancen aufgrund der sozioökonomischen oder regionalen Herkunft, Migration und Inklusion, Urbanisierung und die damit einhergehende Gefährdung von Schulstandorten auch in Mittelzentren, Digitalisierung und die Fragen nach neuen Lernmitteln, gestiegene Erwartungen an politische und gesellschaftliche Bildung – dies alles sind Punkte, die nur ansatzweise berücksichtigt werden. Und auf nur wenige dieser Themen gibt der vorliegende Gesetzesentwurf auch eine substanzielle Antwort.

Das Positivste am Koalitionsentwurf ist die Tatsache, dass die gröbsten Schnitzer aus dem Entwurf des Kultusministeriums beseitigt wurden. Wir begrüßen ausdrücklich, den Erhalt von Grundschulen in den ländlichen Räumen und dass die Schulsozialarbeit als Teil der grundlegenden Versorgung jeder Schule ermöglicht werden soll. Bezüglich der Schulsozialarbeit findet sich im Gesetz allerdings kein gesetzlicher Anspruch. Je nach Kassenlage kann eine Entscheidung für oder gegen Schulsozialarbeit getroffen werden. Das ist unbefriedigend. Hier sollte sich der Freistaat ein Beispiel an Niedersachsen nehmen, das Land hat im Dezember 2016 entschieden, SchulsozialarbeiterInnen in den Landesdienst einzustellen. Und ob es der Richtige Weg ist, über einen Entschließungsantrag Festlegungen für künftige Haushalte und das Parlament der nächsten Legislatur zu treffen, ist aus unserer Perspektive fraglich.

Ja, dem Koalitionsantrag fehlt es an vielen Stellen an gesetzlicher Bestimmtheit. Zu gut gemeinter Prosa (§1) gesellen sich viele Soll-Regelungen und einschränkende Bedingungen. Die Länge und Detailliertheit des Entschließungsantrages spricht dementsprechend Bände und zeigt nach unserer Auffassung, wie unausgegoren viele Regelungen im Gesetzentwurf sind.

Das größte Unverständnis ruft die Weigerung der CDU hervor, der Möglichkeit des längeren gemeinsamen Lernens eine Tür im sächsischen Schulsystem zu öffnen. Drei Viertel aller Eltern, so der Bildungswissenschaftler Prof. Melzer wünschen sich das. Es bleibt absolut unverständlich, warum es in Sachsen dafür keine Möglichkeit geben soll.

Dass die Koalition bei der Durchsetzung des Rechts auf inklusive Beschulung nun komplett auf Freiwilligkeit setzt und die Entscheidung über die Einführung weit in die Zukunft verschiebt, kommt einem Armutszeugnis gleich. Die aus dem mageren Konzept des Kultusministeriums stammende Idee der ‚Kooperationsverbünde‘ hat es immerhin in den Gesetzestext geschafft. Allerdings stellen sie lediglich eine weitere organisatorische Struktur dar, die zudem erst noch entwickelt werden muss. Wir verstehen durchaus, dass auch FörderschullehrerInnen im Prozess der schulischen Inklusion mitgenommen werden müssen. Was wir nicht verstehen können ist, dass ihr Widerstand zur Aufgabe des Anspruchs einer grundsätzlichen gesetzlichen Regelung führt. Es bleibt abzuwarten, ob der erneute Änderungsbedarf wie avisiert erst 2022/23 oder doch nicht schon eher in diesem Landtag verhandelt werden muss.

Abschließend möchte ich resümieren – das neue Schulgesetz enthält zu wenige positive Ansätze, es bleibt in vielen Fragen zu unbestimmt, was als Kontinuität und Bewahrung verkauft wird, ist und bleibt Stillstand – Stillstand aus Angst vor Veränderung. Es ist ein Gesetz der vergebenen Chancen.

Wir werden dem vorliegendem Gesetzesentwurf nicht zustimmen.

Rede zu Änderungsantrag – Gemeinschaftsschulen/Inklusion/Stärkung Eigenverantwortung von Schule

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Frau Staatsministerin,

Bei unseren Änderungsanträgen haben wir uns auf folgende Schwerpunkte konzentriert:

– Einführung der Gemeinschaftsschule als Regelschule (§ 13)
– Schaffung der gesetzlichen Grundlagen für die schrittweise Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention einschließlich der dafür notwendigen Ressourcen (4c)
– Stärkung der Eigenverantwortung von Schule insbesondere durch die Stärkung der Rechte der Schulkonferenz

Bei objektiver und nüchterner Betrachtung gibt es viele Gründe, die für ein längeres gemeinsames Lernen an Sachsens Schulen sprechen. In der Anhörung Anfang März wurden gute und sehr erfolgreiche Beispiele von unseren thüringischen Nachbarn vorgestellt. Gemeinschaftsschulen verhindern mitnichten ‚Leistung‘. Diese immer wieder zu hörende schräge Vorstellung über Gemeinschaftsschulen konnte in der Anhörung klar widerlegt werden. Sachsens CDU sollte sich ein Beispiel nehmen, an den konservativen Kolleginnen und Kollegen in Thüringen, die einem nachgewiesenermaßen erfolgreichem Bildungsansatz mit erfrischender Offenheit begegnen.

Gemeinschaftsschulen erweitern die Schulvielfalt und eröffnen neue Spielräume. Überall dort, wo es von allen Beteiligten gewollt ist, soll es die Möglichkeit zur Gründung einer Gemeinschaftsschule geben.

In unserem Änderungsantrag zum Thema Inklusion fordern wir einen Rechtsanspruch auf inklusive Beschulung und den gemeinsamen Unterricht als Regelfall. Grundsätzlich wollen wir, dass behinderte und nichtbehinderte Kinder gemeinsam lernen. Inklusion sehen wir nicht als Ziel, sondern als Auftrag der Schulentwicklung aller Schulen. Für Klassen mit mindestens einem Schüler oder einer Schülerin mit sonderpädagogischem Förderbedarf fordern wir eine Klassenobergrenze von 25 Schülerinnen und Schüler. Der zusätzliche Lehrkräftebedarf beträgt im Saldo aus Minderbedarf durch entfallende Diagnostik in zwei Förderschwerpunkten in Höhe von 90 VZÄ und dem Mehrbedarf durch Absenkung der Klassenobergrenze in Höhe von 140 VZÄ ungefähr 50 VZÄ – das ist zu finanzieren.

Schulpflicht (§26)
Die bisherige Ausnahmeregelung bei der Schulpflicht, die dem Ermessen der Behörde nur wenig Orientierung gibt, führte wiederholt zu von den Eltern als willkürlich empfundenen Entscheidungen. Dies möchten wir ändern und klarstellen, dass eine Schülerin oder ein Schüler von der Schulpflicht befreit werden kann, wenn ein wichtiger Grund dies rechtfertigt und hinreichender Unterricht oder eine gleichwertige Förderung anderweitig gewährleistet ist. Damit möchten wir einen Weg öffnen, der es Kindern und Jugendlichen ermöglicht, bei massiven Problemen in und mit der Schule, sich auch außerhalb der Institution Schule erfolgreich bilden zu können. Und wir wollen, dass die Eltern nicht weiter kriminalisiert werden.

Rede zu Änderungsantrag – Diskriminierungsfreier Zugang zu Schulen

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Frau Staatsministerin,

angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen, mit denen sich Schule heute konfrontiert sieht, haben wir den bisherigen Eingangsparagrafen zum Schulgesetz der Prüfung unterzogen, ob und in wie weit er den Bedürfnissen und Lebenslagen junger Menschen entspricht.

Einbezogen in diese Prüfung haben wir den Bildungsbericht 2016, der durch die Kultusministerkonferenz und das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wurde sowie die Analyse ‚Das Menschenrecht auf Bildung im deutschen Bildungssystem‘, die das Deutsche Institut für Menschenrechte im Jahr 2016 veröffentlicht hat. In beiden Berichten spielt der Handlungsbedarf zur Umsetzung des diskriminierungsfreien Zugangs zu Bildung eine wesentliche Rolle.

Im Ergebnis haben wir eine grundsätzliche Neuformulierung des §1 vorgenommen, die Begründungen zu den jeweiligen Absätzen finden sie im Dokument.

Lassen sie mich noch etwas zu einer von uns erfolgten Streichung sagen. GEW und LSR hatten zurecht gefordert, die Verknüpfung zwischen den ‚Christlichen Traditionen im europäischen Kulturkreis‘ und dem Bildungsauftrag der Schule zu streichen. Das ist im Koalitionsentwurf nicht passiert. Leider.

Artikel 4 des Grundgesetzes verweist auf die Freiheit des Glaubens und des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses. Da der Staat nicht Grundrechtsträger, sondern an das Neutralitätsgebot gebunden ist und die Schule nach Artikel 7 des Grundgesetzes unter Aufsicht des Staates steht, hat der Verweis auf konfessionelle Traditionen im Bildungsauftrag der Schule nichts zu suchen.

Mit Blick auf das Diskriminierungsverbot ist es eben nicht egal, ob dieser Satz im Schulgesetz steht oder nicht. Das möchte ich auch ausdrücklich an die Adresse der SPD richten, die ihre geringe Durchsetzungskraft in diesem Punkt lakonisch mit dem Satz kaschierte, >>christliche Traditionen sind nicht schädlich<<.

Natürlich nicht, aber sie haben in einem Schulgesetz nichts zu suchen.

In der Analyse des DIM wird dazu klar ausgeführt, dass die ausschließliche Erwähnung der Vermittlung von Werten, die auf christliche Traditionen beruhen, als Bildungsziel tendenziell diskriminierend gegenüber Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften und Weltanschauungen ist.
  » alle Redebeiträge der GRÜNEN-Fraktion » alle Infos zur 52./53. Landtagssitzung