Siemens-Debatte − Lippold: Wenn Aktionäre nur Zahlen mit Währungseinheiten verstehen, sollte der Vorstand analysieren, was finanzielle Risiken aus politischer Instabilität ein Unternehmen kosten

Rede des Abgeordneten Lippold zur Aktuellen Debatte der Fraktionen CDU und SPD zum Thema: "Siemens-Standorte in Sachsen sichern; Industriestandorte Görlitz und leipzig in eine sicher Zukunft führen!"
64. Sitzung des Sächsischen Landtags, 13. Dezember, TOP 3
– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
heute ist der 201. Geburtstag des Werner von Siemens.
Eines Mannes, der nicht nur Technikpionier war, sondern für ein nachhaltiges und damit zukunftsfähiges Unternehmertum stand.
Siemensstadt, andere Werkssiedlungen, soziale Einrichtungen und Instrumente sind Beleg dafür, dass man vor 100 Jahren im Siemens-Management sehr wohl wusste, dass man das eigene sozioökonomische Umfeld in besonderem Maße pflegen muss, um den größten Schatz des Unternehmens, eine loyale, qualifizierte, engagierte Belegschaft für das Unternehmen zu bewahren.
Das Unternehmen kümmerte sich mit viel Geld um sein soziales Umfeld – zu einer Zeit, wo Wettbewerber nicht im Traum daran dachten, dafür Gewinne zu schmälern. Man könnte meinen, das Unternehmen hätte sich damit einen Wettbewerbsnachteil auferlegt?
Das Gegenteil ist der Fall! Genau das entwickelte sich zu einem Wettbewerbsvorteil und wurde zu einer Voraussetzung für die Entwicklung zu einem weltweit führenden Unternehmen.
Das hat Spuren hinterlassen. Corporate Citizenship – gesellschaftliches Engagement – bezeichnet Siemens heute als integralen Bestandteil seiner Unternehmensstrategie.
Nachhaltigkeit bedeute für das Unternehmen:

  • verantwortungsvoll zu sein im Umgang mit den Mitarbeitern, dem sozialen Umfeld und den natürlichen Ressourcen.
  • im Sinne zukünftiger Generationen verantwortungsvoll zu handeln.
  • bei Zielkonflikten den Anspruch zu erheben, diese transparent zu machen und die bestmögliche Lösung zu finden.

Nun denn, meine Damen und Herren im Siemens-Management. Messen Sie Ihr Tun auch in Görlitz und Leipzig an diesen selbstgesetzten Maßstäben!
In einer Aktiengesellschaft wie Siemens muss der Vorstand im Interesse der Aktionäre handeln. Aktionäre interessieren oft nur Zahlen mit Währungseinheiten hinten dran. Doch auch dann ist es möglich, die Verantwortung für das Umfeld mit einzupreisen, wenn man den Betrachtungshorizont weitet.
Politische, soziale Stabilität ist das Substrat am Heimatstandort, auf dem Unternehmen wachsen und global erfolgreich werden können. Auch in Deutschland ist diese Grundlage nicht automatisch gegeben! Der gesellschaftliche Grundkonsens, der stabile Basis ist, bedarf ständiger, täglicher Erneuerung.
In der Demokratie, meine Damen und Herren, können nämlich andere, wesentlich unfreundlichere wirtschaftliche Rahmenbedingungen durch Mehrheitsentscheidung herbeigeführt werden. Das ist nicht nur Theorie. Der Schock, der nach der Brexit-Abstimmung durch die britische und weltweite Unternehmenslandschaft gegangen ist, sollte doch heilsam gewesen sein!
Dass die wichtigsten US-Unternehmen unisono und eindringlich vor Protektionismus und Beschränkungen im Waren- und Personenverkehr warnen und ein per Wahlentscheidung an die Macht gekommener Präsident dies dennoch zu ignorieren gedenkt, ist eine weitere Erkenntnis.
Und bei uns? Wenn auch nur ein Bruchteil der Vorstellungen, die auch hier im Hause unter dem Etikett einer Alternative für Deutschland vertreten werden zur Umsetzung käme, so wäre das ein Nackenschlag sondergleichen für global agierende europäische Unternehmen.
Das so etwas nicht undenkbar ist, hat soeben die (noch) stärkste Kraft in diesem Parlament, die sich auch als Wirtschaftspartei sieht, zu spüren bekommen.
Das hat sie den Wahlkreis Görlitz gekostet und den soeben gewählten Ministerpräsidenten sein Direktmandat im deutschen Bundestag.
Wenn Ihre Aktionäre wirklich nur Zahlen mit Währungseinheiten verstehen, meine Damen und Herren im Siemens-Vorstand, so analysieren Sie die drohenden finanziellen Risiken aus politischer Instabilität, aus unberechenbaren Veränderungen des politischen Handlungsrahmens für das Unternehmen.
Sowas kann man mittlerweile etwa über Brexit-Szenarien abschätzen. Dann schauen sie sich an, wann die nach einer Wahl drohen könnten. Je unverantwortlicher man selber als großer Arbeitgeber handelt, desto früher.
Dann machen sie eine Abzinsungsrechnung und schon können sie in Geld bemessen, wie viel sie sich heute NICHT ausschütten, sondern zurücklegen müssen, um an den künftig zu befürchtenden Verlusten nicht zugrunde zu gehen.
Das sollte jedes große Unternehmen heute machen. Wenn man das macht und die Folgen des eigenen Handelns auch für die Gesellschaft als Ganzes und für die Stabilität des eigenen Umfeldes wirklich mit einpreist, dann – so bin ich überzeugt – kommen an vielen Stellen ganz andere Entscheidungen heraus.
Dann erscheint eine Standortentscheidung, die mikroökonomisch im Konzern zunächst die kostengünstigste zu sein scheint, möglicherweise als viel zu teuer. Und diese Sprache verstehen dann auch Aktionäre.
Ich fordere die Staatsregierung auf: sprechen Sie mit dem Siemens-Management mit großer politischer Klarheit auch über solche Risiken. Und das Siemens-Management fordere ich auf: überdenken Sie Ihre Entscheidungen im Lichte dieser Erkenntnisse!
Noch ein paar Worte zu Siemens und der deutschen Energiewende.
Siemens agiert als Weltkonzern in einer globalen Energiewende. Allein in den Schwellenländern wurde 2016 etwa dreimal so viel Umsatz gemacht wie in Deutschland. Die Energiewelt geht durch eine Transformation, weil Sonne und Wind mittlerweile an vielen Stellen der Welt die mit Abstand günstigsten Energiequellen geworden sind.
Subventionsfreier, profitabel erzeugter Solarstrom zu Vollkosten unter 2 Cent ist keine Sensation mehr. Auch in Deutschland würde niemand mehr ein fossiles Kraftwerk zu den Vergütungssätzen errichten, wie sie für Windstrom hier und heute Realität sind.
Für Siemens geht es etwa im Dampfturbinengeschäft nicht um die deutsche Kohleausstiegsdebatte. Der Siemens-Geschäftsbericht benennt die anhaltende Verschiebung von Kohle zu Gas in den USA und den Rückgang der Nachfrage nach Kohlekraftwerkstechnik in China als maßgebliche Einflüsse.
Siemens kommt spät mit seinem Strategiewechsel, der dem Unternehmen nach über 100 Jahren auch im 21. Jahrhundert eine wichtige Rolle sichern soll. Das Weltunternehmen fordert eine neue Bundesregierung schriftlich auf, endlich auch daheim für verlässliche Entscheidungen und Investitionssicherheit zu sorgen, Kohleausstieg, wirksame CO2-Preise und die Energiewende entschlossen voranzutreiben.
Und die Staatsregierung? Die tadelt Siemens umgehend dafür! Siemens, meine Damen und Herren, läuft der Entwicklung verspätet hinterher.
Und die sächsische Staatsregierung hält selbst die deutlich verspätete Reaktion von Siemens auf einen globalen Megatrend noch für deutlich verfrüht.
Das Riesenschiff Siemens setzt sich spät in Fahrt, um das global längst gestartete Rennen aufzunehmen, wer als erster Neuland erreicht und für sich nutzbar macht.
Derweil dümpelt der Kahn der Staatsregierung noch immer im Hafen. Der Ausguck ist nicht besetzt, der Käpt’n schaut in die falsche Richtung und die Mannschaft putzt die goldene Glocke.
Guten Morgen, meine Damen und Herren von der Koalition.
Willkommen im 21. Jahrhundert. Wenn Sie nicht ganz schnell die Kurve kriegen, dann wird das in Sachsen künftig Standorte, dann Wahlen und dann weitere Standorte kosten.

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