Sozialindex – Melcher: Kitas und Schulen künftig bedarfsgerecht unterstützen
Redebeitrag der Abgeordneten Christin Melcher (BÜNDNISGRÜNE) zum Antrag der Fraktionen CDU, BÜNDNISGRÜNE und SPD: „Kindertageseinrichtungen und Schulen mit besonderen Bedarfen gezielt unterstützen – Sozialindex erarbeiten“ (Drs 7/7097)
34. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 21.07.2021, TOP 9
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,
„Wir wollen kein Kind zurücklassen [und] das individuelle Erreichen bester Bildungserfolge ermöglichen“ – so haben wir ein zentrales Ziel unserer Bildungspolitik im Koalitionsvertrag festgehalten.
Gute Kitas und Schulen sind ein Schlüssel, um Bildungsbenachteiligung auszugleichen, Kinder individuell zu fördern sowie Lern- und Bildungserfolg zu sichern.
Was aber brauchen Bildungseinrichtungen, um diese Ziele zu erreichen? Was macht gute Kitas und Schulen aus?
Natürlich: Es braucht zunächst qualifiziertes Personal in ausreichender Zahl. Längst ist klar: Da geht es nicht allein um Erzieher und Lehrerinnen. Es braucht unterschiedliche Professionen, wenn wir Schule tatsächlich als Lebens- und nicht nur Lernort wahr- und ernst nehmen. Dies hat zuletzt die Corona-Pandemie deutlich unterstrichen.
Ähnliches gilt für Kitas. Sie sind Orte frühkindlicher Bildung und keine reinen Betreuungseinrichtungen. Wir sind uns – nicht erst seit Corona – darin einig, dass wir multiprofessionelle Teams in Kitas und Schule brauchen.
Wir haben im Schulgesetz verankert, dass an jeder Oberschule Schulsozialarbeit stattfindet. Praxisberaterinnen und Berufseinstiegsbegleiter gehören vielerorts ebenso zum Kollegium wie Inklusionsassistenten oder Fellows aus dem Programm „Teach First“. Und das ist gut so!
Unbenommen einer notwendigen, wenn man so will, „Grundausstattung“ gibt es jedoch Kitas und Schulen, die besondere Herausforderungen meistern müssen. Diese resultieren daraus, dass überdurchschnittlich viele Schülerinnen und Schüler Schwierigkeiten haben, dem Unterricht zu folgen. Daraus, dass es an Motivation und Unterstützung mangelt. Oder daraus, dass die Zusammenarbeit mit den Eltern erschwert ist, weil sie kein Deutsch sprechen. An manchen Kitas und Schulen kommt da einiges zusammen.
Kita ist nicht gleich Kita und Schule ist nicht gleich Schule – nicht innerhalb Sachsens, nicht innerhalb eines Landkreises, nicht mal innerhalb eines Stadtteils in Leipzig oder Dresden. Viel hängt davon ab, wo die Einrichtung steht und vor allem: wer sie besucht.
Um gute Arbeit zu leisten, brauchen Kitas und Schulen gezielt Unterstützung, wenn sie mit besonderen Herausforderungen konfrontiert sind. Das ist ein Gebot der Bildungs- und Chancengerechtigkeit. Ungleiches darf und sollte auch ungleich behandelt werden, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Genau hier setzt unser Antrag an. Wir wollen einen Sozialindex für Kitas und Schulen. Wir wollen wissen, welche Kitas in einem schwierigen sozialen Umfeld agieren. Wir wollen wissen, wo besonders viele Sprachauffälligkeiten diagnostiziert werden. Wir wollen auch wissen, wo Kindern besonders häufig der Besuch einer Oberschule und nicht der eines Gymnasiums empfohlen wird, wo besonders viele Schülerinnen und Schüler die Schule ohne Abschluss verlassen und wo Kinder und Jugendliche zur Schule gehen, deren Herkunftssprache nicht oder nicht ausschließlich deutsch ist.
Wir wollen mit dem Sozialindex keine Label drucken. Es geht nicht darum, einzelne Einrichtungen zu brandmarken. Ein Sozialindex darf keine Etikettierung und erst recht keine Stigmatisierung sein. Vielmehr wollen wir die evidenzbasierte Zuweisung von Ressourcen ermöglichen.
Der Sozialindex ist ein Instrument, das Transparenz schafft und damit helfen kann, politische Entscheidungen zu legitimieren.
Im Idealfall ermöglicht er nicht nur eine datengestützte, bedarfsgerechte Ressourcenzuweisung, sondern ist Anstoß für Qualitäts- und Schulentwicklung. Als BÜNDNISGRÜNE sprechen wir deshalb auch von einem „Bildungsbonus“, so wie es etwa Schleswig-Holstein tut.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
so ein Sozialindex muss klug gestrickt sein. Wir brauchen dazu zwingend das Know-how der kommunalen Familie. Eine kommunale Sozial- und Bildungsberichterstattung ist längst nicht überall etabliert. Im Zuge des Bundesprogramms „Lernen vor Ort“ wurde in Leipzig und Dresden ein kommunales Bildungsmanagement aufgebaut, ebenso das „Görlitzer Modell“.
Letzteres liefert unter anderem ein Bildungsmonitoring in der Landkreisverwaltung als „datenbasiertes Planungs- und Steuerungsinstrument für eine Integrierte Bildungsplanung“ – das ist es, was wir brauchen.
Es wird bei der Erstellung des Sozialindex zu prüfen sein, welche Daten zum sozialräumlichen Umfeld der Einrichtungen und zu den Kitas und Schulen selbst überhaupt vorliegen. Es wird auch zu prüfen sein, welche Daten relevant sind, um besondere Bedarfe abzuleiten. Hilfreich dürfte dabei, neben den kommunalen Erfahrungen, eine Auswertung vorhandener Programme sein.
So werden beispielsweise Schulassistentinnen und -assistenten vorrangig dort eingesetzt, wo inklusiv unterrichtet wird, es aber keine Inklusionsassistenz gibt, oder an Oberschulen, wo viele Schülerinnen und Schüler den Hauptschulbildungsgang besuchen. Darüber hinaus hilft immer auch der Blick über den Tellerrand. Deshalb sollen auch Sozialindizes anderer Bundesländer berücksichtigt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich sagte bereits: Ein Sozialindex ist ein Instrument. Es wird jedoch nicht alle Probleme und Bildungsungerechtigkeiten lösen können.
Zum einen sind die Ressourcen begrenzt. Mit der Erstellung eines Sozialindex ist längst nicht entschieden, welche Ressourcen überhaupt danach zugewiesen werden sollen. Klar ist: Wir wollen niemandem etwas wegnehmen, um es an anderer Stelle einzusetzen. Wohl aber kann ein Sozialindex handlungsleitend sein, wenn es um die Verteilung zusätzlicher Ressourcen geht.
Zum anderen führt ein Sozialindex nicht automatisch zu mehr Chancengerechtigkeit. Es gibt Bildungseinrichtungen, deren Problemlagen sich nicht durch ein Mehr an Ressourcen lindern lassen. Die Losung „Viel hilft viel“ oder auch „Mehr vom Immergleichen“ ist nicht immer die Lösung.
Bremen etwa nutzt den Sozialindex, um zu entscheiden, wo eine Ganztagsschule entstehen soll. Schleswig-Holstein stärkt seine „PerspektivSchulen“ durch vermehrte Fortbildungs- und Beratungsangebote sowie Netzwerkarbeit. Mit einem eigenen Budget können die „PerspektivSchulen“ zusätzliches Personal ebenso finanzieren wie die Vernetzung im Quartier. Grundlage ist eine schriftliche Vereinbarung samt schulischem Umsetzungskonzept. Ähnlich handhabt es Berlin in seinem Bonusprogramm.
Die Frage, in welchem Umfang und in welcher Form Kitas und Schulen mit besonderen Bedarfen unterstützt werden, ist also eine offene. Ich wünsche mir, dass wir sowohl bei der Erstellung eines Sozialindex klug und kreativ agieren, als auch beim strategischen Umgang damit.
Dann kann ein Sozialindex tatsächlich ein Bildungsbonus sein – und ein Paradigmenwechsel.
Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag. Vielen Dank.