Stationäre Suchttherapien − Meier: Suchttherapie muss Teil des Strafvollzugs sein

Rede der Abgeordneten Katja Meier (GRÜNE) zum Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ‚Stationäre Suchttherapie im Strafvollzug umgehend ausbauen‘
41. Sitzung des Sächsischen Landtags, 28. September 2016, TOP 11, Drs. 6/5149

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
Sehr geehrte Damen und Herren,
geht es in der Bundesrepublik Deutschland um das Thema illegale Drogen, nimmt der Freistaat Sachsen häufig eine recht unrühmliche Spitzenposition ein. Das gilt insbesondere für Crystal Meth, das in Teilen Deutschlands sowie in manchen westeuropäischen Staaten gerade erst bekannt wird, während es hier bereits – im wahrsten Sinne des Wortes – zum traurigen Alltag gehört und andere Drogen aus dem Fokus verdrängt hat. Die Statistiken, wie z.B. der Europäische Drogenbericht von 2014, sind hierbei eindeutig: Die Rückstände von Crystal Meth im Abwasser der sächsischen Landeshauptstadt Dresden sind im Vergleich zu den anderen 42 untersuchten europäischen Städten besonders hoch. Nur tschechische Städte wie Prag und Budweis weisen höhere Werte auf.
Nachdem sich die Staatsregierung mit der Akzeptanz dieser Fakten lange schwer getan und sich die Zahl der Crystal-Konsumentinnen und -Konsumenten in Sachsen jährlich erhöht haben – seit Anfang des Jahres stagnieren sie glücklicherweise – gibt es nun endlich ein flächendeckendes, wenn auch noch ausbaufähiges, Beratungs- und Hilfenetzwerk für Betroffene. Leider reicht dieses genau bis an die Tore der sächsischen Justizvollzugsanstalten. Zwar wurde mit der suchttherapeutischen Station in der JVA Zeithain insbesondere für Crystal-Abhängige ein lange überfälliges Angebot geschaffen, das einen Beitrag dazu leistet, die Gefangenen im Sinne des Sächsischen Strafvollzugsgesetzes „zu befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen“. Ich selbst konnte mir mehrfach im Rahmen meiner Tätigkeit als Anstaltsbeirätin in Zeithain, vor allem aber im Gespräch mit den betroffenen Gefangen und dem zuständigem Personal, ein positives Bild davon machen. Jedoch handelt es sich hierbei nur um einen kleinen Tropfen auf einen sehr heißen Stein!
Kriminalität und Sucht bedingen häufig einander. Da verwundert es nicht, dass der prozentuale Anteil von Crystal-Konsumentinnen und -Konsumenten unter den Gefangenen mit bis zu 25 Prozent weitaus höher ist als der Anteil der Betroffenen in der Bevölkerung „draußen“. Das heißt von den ca. 3.600 Strafgefangenen in Sachsen sind bis zu 900 crystalabhängig. Demgegenüber stehen ganze 20 Suchttherapieplätze in Zeithain, von denen zeitweise aufgrund Personalmangels nicht einmal 10 belegt werden konnten.
Dass diese Therapiemöglichkeit lediglich Männern, nicht aber weiblichen und jugendlichen Strafgefangenen zugänglich ist, ist geradezu katastrophal und folgenschwer.
Lassen sie sich das einmal auf der Zunge zergehen, liebe Kolleginnen und Kollegen: 900 Crystalabhängige, 20 Therapieplätze, keine Hilfen für Frauen und Jugendliche.
Das alles hat mit den Vorgaben des sächsischen Strafvollzugsgesetzes, an das nicht nur die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalten gebunden sind, sondern auch die Sächsische Staatsregierung, wenig zu tun. § 2 des Gesetzes sieht eine „zielgerichtete und wirkungsorientierte Vollzugsgestaltung“ vor, gemäß § 5 werden die Gefangenen durch die Justizvollzugsanstalten darin unterstützt, u.a. ihre gesundheitlichen Schwierigkeiten zu beheben. § 3 verlangt schließlich, dass der Vollzug „auf die Auseinandersetzung der Gefangenen mit ihren Straftaten“ auszurichten ist.
Dazu gehört insbesondere – aber nicht nur – bei einer Verurteilung wegen Beschaffungskriminalität auch eine tiefgehende Auseinandersetzung mit der Suchterkrankung, die ja die Grundlage für die Straffälligkeit bildet. Nichts anderes als eine tiefgehende Auseinandersetzung mit der Suchterkrankung erfolgt aber im Rahmen einer Suchttherapie.
Deshalb sagen wir: Suchttherapie muss Teil des Strafvollzugs sein, nur so ist eine Auseinandersetzung mit der Straftat zielführend.
Ein weiterer Aspekt spricht für die zwingende Notwendigkeit hinreichender stationärer Suchttherapieplätze im Strafvollzug: Crystal Meth hat bekanntermaßen einen hohen Suchtfaktor und eine zerstörerische Wirkung. Wird dem enormen Suchtdruck in der Haft nicht durch angemessene Therapiemöglichkeiten begegnet, weil es sich eher um einen Abwartevollzug bis zur Entlassung und dann endlich beginnenden Therapie handelt, verwundert es nicht, dass Drogen illegal in die Vollzugsanstalten geschmuggelt werden.
Auch hier sind die Statistiken eindeutig: In 2015 wurden in sächsischen Haftanstalten fast 80 g Crystal sichergestellt. Die tatsächliche Menge, die sich im Umlauf befindet, dürfte weit darüber liegen. Etliche Folgeprobleme kommen hinzu, insbesondere die sich wiederholende und fortsetzende Straffälligkeit wegen Schmuggels und Konsum von Drogen innerhalb der Haft sowie der zunehmende gesundheitliche Verfall der Gefangenen.
Zu diesem Thema hat eine Kleine Anfrage von mir zu dem Ergebnis geführt, dass allein in 2015 135 Gefangene aufgrund ihres Drogenkonsums ins Haftkrankenhaus nach Leipzig überstellt werden mussten. In den Jahren zuvor waren es noch mehr, z.T. über 200. Allein diese Zahlen zeigen wie unzureichend die derzeitigen Suchttherapiemöglichkeiten sind.
Was ist nun aber zu tun?
Dass die Einrichtung von 900 Therapieplätzen in sächsischen Justizvollzugsanstalten weder sinnvoll noch realisierbar ist, dürfte allen klar sein. Es ist erfreulich, dass in 2017 in der JVA Regis-Breitingen Therapieplätze für jugendliche Straftäter eingerichtet werden sollen, wenn auch nur 10. Erfreulich ist auch, dass Torgau 40 Therapieplätze vorgehalten werden sollen. Aber wann genau das sein soll geht aus der Stellungnahme der Staatsregierung zum vorliegenden Antrag nicht hervor.
Dort heißt es lediglich, dass für Männer eine Aufstockung der Kapazitäten „in den nächsten Jahren“ geplant sei. Was aber völlig inakzeptabel und ein wahrliches Trauerspiel ist, ist die Tatsache, dass für das Frauengefängnis in Chemnitz, „noch keine konkreten Planungen zur Einrichtung einer Therapiestation“ vorliegen, obwohl dies „für sinnvoll erachtet wird“.
Die Staatsregierung darf sich nicht weiter wegducken. Es hilft kein weiterer Prüfauftrag und auch kein Abwarten, liebe Kolleginnen und Kollegen. Hier müssen sie in den Haushaltsververfahren entsprechenden Änderungsanträge einbringen. Denn im vorliegenden Haushaltsentwurf finde ich dazu leider nichts.
Für einen modernen, effizienten und wirkungsvollen Strafvollzug brauchen die sächsischen Justizvollzugsanstalten:

  • einen bedarfsgerechten Neu- bzw. Ausbau der stationären Suchttherapieplätze für Jugendliche, Frauen und Männer,
  • die Verteilung der Therapiestationen für männliche Gefangene auf mehrere Gefängnisse, statt eine Konzentration auf nur eine Haftanstalt,
  • den Aufbau einer Nachsorgekoordination und hier insbesondere die Vermittlung in ggf. notwendige Adaptionsbehandlungen inklusive der Übernahme der hierfür anfallenden Kosten, sofern kein anderer Kostenträger hierfür aufkommt oder aufkommen kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, um endlich die tatsächlichen Gegebenheiten den realen Bedürfnissen anpassen zu können, bitte ich sie um ihre Zustimmung zu unserem Antrag – dies insbesondere auch im Sinne der betroffenen Gefangenen.
Vielen Dank.