Strom-Netzentgelte − Lippold: Das Thema eignet sich nicht für wahltaktische Spielchen und ‚Haltet-den-Dieb-Geschrei‘

Rede des Abgeordneten Dr. Gerd Lippold (GRÜNE) in der Aktuellen Debatte der Fraktion LINKE: ‚Jahrelange Benachteiligungen Ostdeutschlands bei den Strom-Netzentgelten beenden − Energiewende nicht länger gefährden. Strompreise runter.‘
48. Sitzung des Sächsischen Landtags, 01. Februar 2017, TOP 2

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
sehr geehrte Abgeordnete,

in den letzten Wochen wurde zwischen Bund und Ländern um die Vereinheitlichung von Netzentgelten im Übertragungsnetzbereich gestritten sowie über Ursachen für regional unterschiedliche Netzentgelte diskutiert. Das ist auch der Auslöser der heutigen Debatte.
Von Gerechtigkeit war in der Debatte die Rede, von Energiewende.

Schauen wir uns mal die letzte große Übertragungsnetzinvestition in Sachsen an, den Neubau einer 380-kV-Leitung von Bärwalde nach Schmölln, die im November 2014 in Anwesenheit von Staatsminister Schmidt feierlich eingeweiht wurde.
Während es beim Netzbetreiber ’50 Hertz‘ heißt, diese Trasse Bärwalde-Schmölln diene der Anbindung des Kraftwerks Boxberg an das deutsche Stromnetz, liest man bei der Bundesnetzagentur, das Vorhaben diene dem Abtransport zunehmender Mengen an erneuerbaren Energien.
Ein wenig klarer wird diese Diskrepanz beim Blick in den Netzentwicklungsplan: Dort steht: … >>könnten wesentliche Teile dieses Projekts bis 2014 nicht realisiert werden, muss – unabhängig von bestehenden Lastverhältnissen – bei Windkrafteinspeisung mit erheblicher Einsenkung der Kraftwerksleistung am Standort Boxberg und darüber hinaus in der Lausitz gerechnet werden… Insofern trägt das Projekt dazu bei, temporäre Einsenkungen der Kraftwerksleistung möglichst zu vermeiden…<< Zitat Ende.

Übertragungsnetzausbau für die erneuerbaren Energien? In diesem Fall jedenfalls ging es darum, genau die Kraftwerke vor den Effekten der Energiewende zu schützen, die durch die Energiewende ersetzt werden sollen. Zusätzliche Netzausbaukosten in unserer Netzregion also, um selbst bei weitgehender Versorgung aus Wind und Sonne weiter unter Ignoranz von Klima- und Umweltschutzzielen weiter Kohlestrom in den Export fahren zu können.

Um das klar zu stellen: Selbstverständlich sind auch wir GRÜNEN dafür, volkswirtschaftlich sinnvolles Handeln zum Vorwärtstreiben der Energiewende als große Gemeinschaftsaufgabe auch in der Bundesrepublik auf alle Schultern fair zu verteilen. Wer bei den erneuerbaren Energien im gesamtgesellschaftlichen Interesse vorangeht, soll keine Nachteile haben. Nicht nur im Übertragungsnetz,  auch in Verteilnetzen wäre das wichtig. Deshalb JA zur Vereinheitlichung der dadurch bedingten Netzausbaukosten und auch, wenn es um demographische Effekte geht.

Doch für eine klare Abgrenzung fehlt die nötige Transparenz – und zwar auf allen Netzebenen, auch dort, wo in den Verteilnetzen die Aufsicht und Regulierung beim SMWA liegt! Eine hinreichend scharfe Abgrenzung von erneuerbaren Energien bedingten und sonstigen Verteilernetzkosten lässt sich in der Praxis kaum vornehmen, wie es in einer diesbezüglichen Studie der TU Dresden von 2015 heißt. Es dürfte der Anreiz bestehen – ich zitiere: >> … Kosten im Zweifelsfall als erneuerbare Energien bedingt auszuweisen und so auf die Allgemeinheit abzuwälzen.<<
 
Auf jeden Fall, meine Damen und Herren,  muss verantwortungsvolle Politik auch im Energiemarkt anstelle von Schnellschüssen sehr gründlich hinschauen, woher heute und künftig welcher Anteil an den Netzentgelten kommt und welche Wirkungen welches Instrument auf welche Kunden hat. Denn man läuft sonst nach großer Gerechtigkeitsdebatte bei der Umsetzung wieder einmal Gefahr, politisches Vertrauen zu verspielen.
Nehmen wir mal an, es gelänge, die heiß diskutierte bundesweite Vereinheitlichung der Übertragungsnetzentgelte nach einem Riesen-Bohei bald durchzusetzen. Millionen Haushaltskunden in unserer Netzregion würden erwarten, dass die verkündete Gerechtigkeit dann finanziell über sie käme. Doch würden sie sich verdutzt die Augen reiben, wenn sie dann feststellen, dass das für sie monatlich einen Unterschied von 60 Cent bis 1,20 Euro ausmacht. Diese Bandbreite, können Sie der Studie der TU Dresden aus dem Jahr 2015 und einer EWI-Studie von Ende 2016 entnehmen. Für energieintensive Unternehmen, die unmittelbar an der Hochspannungsebene hängen, ist der Unterschied deutlicher. Doch das ist ein eigenes Thema. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass die Linke ihre heutige Gerechtigkeitsdebatte für diese Unternehmen hier und heute zu Millionen Haushaltskunden und Wählerinnen und Wählern trägt, oder?

Fazit: Das Thema eignet sich nicht für wahltaktische Spielchen und ‚Haltet-den-Dieb-Geschrei‘. Wer das Thema Netzentgelte wirklich grundhaft neu strukturieren will, muss sich zunächst mal die Mühe machen, für die nötige Transparenz der Kostenstruktur zu sorgen. Und dann sollte man im eigenen Verantwortungsbereich ehrlich das Zustandekommen der heutigen Netzentgeltsockel diskutieren. Und man sollte eine Energiepolitik betreiben, die überdimensionierten Netzausbau, fossile Überkapazitäten und massive Redispatchmaßnahmen vermeidet, die allesamt die Netzentgelte treiben. Und diesen Beitrag sollte man geleistet haben, bevor man nach bundesweiter Solidarität ruft – besonders wenn es im Namen einer Energiewende erfolgt, an der man sich bislang nur als schlecht gelaunter Zuschauer beteiligt hat."

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