Tätigkeitsberichte Landesbeauftragter Stasi-Unterlagen − Meier: Arbeit des Landesbeauftragten und seinen Mitarbeiterinnen ist unverzichtbar

Rede der Abgeordneten Katja Meier (GRÜNE) zu den Tätigkeitsberichten des Sächsischen Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (Drs 6/9187 und Drs 6/9188)
52. Sitzung des Sächsischen Landtags, 11. April, TOP 10

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
Liebe Kolleginnen und Kollegen,

der Bedarf und das Interesse an der Aufarbeitung des DDR-Unrechts sind auch 27 Jahre nach der friedlichen Revolution ungebrochen.
Dies anerkennend, haben wir an dieser Stelle vor wenigen Monaten das Landesbeauftragtengesetz mit großer Mehrheit geändert. Die Wichtigkeit der Arbeit des nunmehrigen ‚Sächsischen Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur‘ und seiner Mitarbeiterinnen wurde damit unterstrichen.

Ich freue mich, dass der Landesbeauftragte nun als unabhängiger Bestandteil dem Sächsischen Landtags angehört und verspreche mir hier einiges.
Auch ich schließe mich meinen Vorrednern im Namen der GRÜNEN-Fraktion darin an, ihnen allen für ihre Arbeit sehr zu danken.

Die jährlichen Tätigkeitsberichte des Landesbeauftragten, geben immer wieder einen tiefen und umfassenden Einblick in die Aufgaben und die Themen, mit denen sich das Team um Lutz Rathenow tagtäglich beschäftigt.
Die Kernaufgaben Bürgerberatung und Bildungsarbeit bleiben die gleichen, einzelne thematische Aspekte verändern sich aber.

Ging es früher hauptsächlich um die Beratung im Rahmen der Einsicht in Stasi-Akten, nimmt jetzt die Biographieklärung immer mehr Raum ein:

– Zwangsadoptionen und Aufenthalte im Kinderheim wurden als Repressionen gegenüber den Eltern eingesetzt, unter Inkaufnahme der schwerwiegenden biografischen Eingriffe in das Leben der Kinder. Diese können nur mithilfe der Expertise des Landesbeauftragten und seiner Mitarbeiterinnen aufgeklärt werden.

– Im Rahmen der Klärung ihrer Rentenkonten sind Menschen aus der DDR dazu gezwungen sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen.

Stoßen sie dabei auf rechtstaatswidrige Haftzeiten in DDR-Gefängnissen, helfen ihnen die Mitarbeiterinnen des Landesbeauftragten in besonders sensibler Art und Weise eine strafrechtliche Rehabilitierung zu erreichen.

In anderen Fällen muss die Frage geklärt werden, welche Rentenansprüche den Menschen zustehen, die erfolgreich aus der DDR geflohen sind und sich in der BRD ein neues Leben aufgebaut haben.

Nach wie vor ist die fachkundige Beratung über Rehabilitierungs- und Entschädigungsansprüche notwendig:

– Zunehmende Bedeutung über beide Berichtszeiträume hinweg gewannen die in der DDR verfolgten Schülerinnen und Schüler, die sich trotz massiver Benachteiligung in Ausbildung und Beruf treu blieben, hierfür heute aber noch mit eingeschränkten Erwerbsbiografien bezahlen und keinerlei materielle Anerkennung erhalten.

– In den Berichten taucht auch die Beratung zur Entschädigung für Gesundheitsschäden, die durch medizinische Zwangsbehandlungen und andere grausame Eingriffe in die körperliche Integrität im Namen der SED-Diktatur erfolgten.

– Im letzten Berichtszeitraum rückten die Profisportlerinnen und -sportler in der DDR in den Fokus.
Zum einen natürlich unter Doping-Gesichtspunkten, zum anderen aber auch aufgrund der sozialen Schikane infolge von Ausreise-plänen, die auch diese Menschen in einem zentralen Bereich ihres Lebens traf.
Aus den Berichten wird aber auch deutlich, dass es bei der Arbeit mit den Bürgerinnen und Bürgern nicht nur um Sachaufklärung und lösungsorientierte Einzelfallberatung geht.

Es geht darum, den Menschen und Zeitzeuginnen und Zeitzeugen das Gefühl zu geben, dass sie ihre Geschichte jemandem erzählen können, der sie besonders gut versteht.

Im 23. Tätigkeitsbericht ist von einem >>Rettungsanker<< die Rede. Diese Arbeit ist sehr wertvoll und wird noch lange nötig sein.

Denn bis 1989 waren auch Kinder von den Repressionen des DDR-Unrechtsstaats betroffen, die jetzt Erwachsene sind und vielleicht erst am Ende ihres Lebens die Aufarbeitung sehr früher Erlebnisse in Angriff nehmen.

Die Beratungen des Landesbeauftragten und seiner Mitarbeiterinnen sind auch unter dem Aspekt wichtig, dass sie den Menschen helfen nicht nur ihre Erfahrungen mit dem Staatsapparat vor 1990 zu verarbeiten. In den Gesprächen werden vielmehr auch das heutige Verwaltungshandeln und die behördlichen Entscheidungen in Rehabilitierungs- und Entschädigungsverfahren für die Betroffenen eingeordnet und verständlich gemacht.

Wenn die Betroffenen mit dem Gefühl allein gelassen werden, dass eine heutige behördliche Entscheidung in Bezug auf ihre Vergangenheit ungerecht ist, weil sie Ansprüche ablehnt, entsteht nicht nur Verbitterung. Es bricht sich auch das Gefühl der Machtlosigkeit Bahn, das sie aus der DDR nur zu gut kennen.

Mit besonderer Empathie zeigen auch im Fall von Enttäuschung und Verbitterung der Landesbeauftragte und seine Mitarbeiterinnen fachkundig andere Hilfs- und Anerkennungsmöglichkeiten auf. Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen wird auch die Wichtigkeit der Bildungsarbeit durch den Landesbeauftragten ganz deutlich.

Nicht nur aber vor allem die junge Generation muss immer und immer wieder lernen und vor erfahren, welche Schicksale das Unrechtssystem der DDR vielleicht auch in ihrer näheren Umgebung hervorgebracht hat.
Vor allem aber muss ihnen vor Augen geführt werden, dass die Gesellschaftsform in der wir heute leben, nicht selbstverständlich ist, hart erkämpft wurde und immer wieder gegenüber negativen Entwicklungen verteidigt werden muss.

Der Landesbeauftragte unterstützt deshalb auch Initiativen und Verbänden.

Genauso wichtig ist aber auch die Sichtbarkeit und Erlebbarkeit des Ausmaßes der Bespitzelung und Überwachung der Staatssicherheit. Wenn junge Menschen die schier endlosen Gänge mit Akten in den BStU-Außenstellen sehen und einen Eindruck des perfiden Systems bekommen, ist für sie überhaupt erst das ganze Ausmaß der Repression begreifbar.

Auch die aufsuchende Arbeit in Schulen – nicht nur der Landesbeauftragte, sondern auch durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Außenstellen – halte ich deshalb für eine Demokratieerziehung für unverzichtbar.

Es geht aber selbstverständlich nicht nur um den Bildungsgedanken, sondern auch um die Beratung.
Der Sächsische Landesbeauftragte arbeitet im Rahmen der überregionalen Beratungsinitiative eng mit den sächsischen Außenstellen des Bundesbeauftragten zusammen.

Angesichts dessen tangiert es ihn in nicht unerheblichem Maße, wenn über die Zukunft der Außenstellen laut nachgedacht und entschieden wird.

Ich freue mich sehr, im Tätigkeitsbericht zu lesen, dass die Kooperation zwischen dem Landesbeauftragten und den Außenstellen weiter ausgebaut werden soll und verstärkt dezentrale Beratung vor Ort stattfinden sollen.

Die Ausweitung ist aber nur dann sichergestellt, wenn die drei sächsischen Außenstellen des Bundesbeauftragten – wie vom Sächsischen Landtag im letzten Jahr beschlossen – erhalten bleiben.

Deswegen begrüße ich es sehr, dass sich Herr Rathenow sehr klar für eine dezentrale Aufarbeitungslandschaft und den Erhalt aller drei sächsischen BStU-Außenstellen ausspricht.

Wir möchten die Diskussion über die Zukunft der Außenstellen noch einmal aufnehmen und haben ein Antrag eingebracht, der in diesem Hause noch zu beraten sein wird. Ich möchte aber doch noch mal auf die Bildungsarbeit durch den Landesbeauftragten selbst zurück kommen.

Eine unheimlich wertvolle Ressource sowohl in der Bildungsarbeit als auch bei der Aufarbeitung sind die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Von einer echten Person live zu hören, was ihr widerfahren ist, wie es ihr damit ging, was sie gedacht und gefühlt hat, hinterlässt den stärksten Eindruck bei den Zuhörenden. Die jungen Menschen können sich auf diesem Weg auch ein gutes Bild vom Alltag in der DDR machen.

Darüber hinaus können die Erfahrungen der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen die Forschung und systematische Aufarbeitung von Vorgängen und Zusammenhängen besonders gut unterstützen – nicht nur mit Berichten, sondern auch mit Dokumenten oder Ähnlichem. Der Landesbeauftragte ist hier ein wichtiges Bindeglied. Dass Zeitzeugengespräche vermehrt auf Video aufgezeichnet werden und so noch lange erhalten bleiben begrüße in diesem Zusammenhang sehr.

Hinter all diesen tollen Projekten stecken natürlich Menschen, die diese umsetzten. Und mit den neuen und erweiterten Aufgaben, die wir im vergangenen Jahr im Landesbeauftragten-Gesetz verankert haben, kommen weitere Projekte hinzu. Ich freue mich deshalb auch, dass im aktuellen Haushalt Mittel für zwei Projektstellen zur Verfügung gestellt wurden. Ich würde mir sehr wünschen, dass aus den Projektstellen im nächsten Doppelhaushalt feste Stellen werden. Denn nur so kann m.E. den Bildungsaufgaben, die uns allen sehr wichtig ist Rechnung getragen werden.

In diesem Sinne wünschen wir Lutz Rathenow und seinen Mitarbeiterinnen viel Erfolg bei seiner Arbeit, die wir für unverzichtbar halten.

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