TTIP Antrag – Lippold: TTIP Prozess muss beendet werden, um Vertrauen für einen in den Zukunft führenden Ansatz zu schaffen
Rede des Abgeordneten Gerd Lippold (GRÜNE) zum Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: "TTIP – So nicht! Für einen transparenten Neuanfang der Verhandlungen" (Drs 6/5570)
44. Sitzung des Sächsischen Landtags, 10. November 2016, TOP 8
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrte Frau Präsidentin,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
Macht es nach der US-Wahl Sinn, über einen TTIP-Antrag zu debattieren, der deutlich vor der Wahl entstanden ist? Waren damals die Rahmenbedingungen nicht völlig andere? Ist das Thema überhaupt noch relevant?
Ganz klar ja – es macht Sinn darüber zu debattieren. Und nein – die Rahmenbedingungen waren so grundsätzlich anders eben nicht.
Was ist geblieben wie es war?
1) Es gibt auch weiter gute Gründe, Handelshemmnisse abzubauen, in dem ein regelgestütztes, faires und nichtdiskriminierendes System des Welthandels aufgebaut wird. Selbstverständlich auch zwischen der EU und den USA.
2) Beide Präsidentschaftskandidaten hatten sich bereits lange vor der Wahl in ihrer klaren TTIP-Ablehnung nur graduell unterschieden. Insofern gab es schon bisher von amerikanischer Seite ein Scheitern mit Ansage – was sich bereits in völlig kompromissloser und nichtkonstruktiver Verhandlungsführung niederschlug. Bundeswirtschaftsminister Gabriel leitete daraus in seinem Sommerinterview das Scheitern des jahrelang betriebenen, bisherigen TTIP-Prozesses ab, nachdem die Unterhändler in 14 Verhandlungsrunden in nicht einem einzigen von 27 Bereichen Einigung erzielt hätten. Ob es zu einem Neustart käme, hinge vom Ausgang der US-Wahlen und von künftigen Zugeständnissen der USA ab. Auch andere europäische Politiker, wie etwa der österreichische Vizekanzler, schlugen bereits vor den Wahlen einen kompletten Neustart des Prozesses unter anderem Namen vor.
3) Gleich geblieben ist ebenfalls, dass die Erkenntnis des Scheiterns von TTIP in der Bundesregierung kein Konsens ist. Regierungssprecher Steffen Seibert verneinte am gestrigen Mittwoch, also nach der US-Wahl, eine Frage, ob das umstrittene TTIP-Abkommen mit dem Sieg von Trump bei den Präsidentschaftswahlen in den USA tot sei. Auch der EU-Kommissionsvizepräsident mochte gestern TTIP noch nicht verloren geben.
DIW-Präsident und Wirtschaftswissenschaftler Marcel Fratzscher meinte hingegen, TTIP werde jetzt für zumindest vier Jahre erst einmal auf Eis gelegt.
4) Unverändert geblieben ist auch, dass es breite Teile der Zivilgesellschaft und – bei einem gemischten Abkommen von großer Bedeutung – auch nationale Parlamente keineswegs für sinnvoll halten, mit TTIP irgendwann dort weiter zu machen, wo man zuletzt aufgehört hatte. Weil es eben mehr noch als der Text der Prozess war, der dauerhaft Vertrauen zerstört hat.
Und deshalb – nüchtern betrachtet – hat sich das Thema nach der US-Wahl eben nicht erledigt. Und deshalb ist auch unser Antrag nicht irrelevant geworden. Weil es eben etwas anderes ist, ob man das so auf sich zukommen lässt oder ob man als Politik, als Parlament, in so einer Frage eine klare Position bezieht.
Was ist seit gestern anders geworden?:
Wir sind jetzt mehr als zuvor in einer Situation, in der Europa seine Interessen zunehmend selbstbewusst und einig als Wertegemeinschaft und als größter gemeinsamer Wirtschaftsraum der Welt vertreten muss! Auch im Bereich fairen Welthandels.
Das ist von großer Bedeutung auch für die Bundesrepublik, auch für Sachsen. Wir würden Abschottung zu spüren bekommen. Denn die USA sind ein besonders wichtiges Exportland. Ich zitiere den Chefvolkswirt der Berenberg Bank: "Trump ist ein Risiko nicht nur für die Außenpolitik, sondern auch den Außenhandel. Störungen im Welthandel würden Deutschland und Europa weit mehr treffen als die USA selbst". Zitat Ende.
Ein starkes Europa gibt es aber nur, wenn wir uns nicht selbst in Partikularinteressen und nationalen Egoismen verlieren und schwächen. Und die bisherigen intransparenten Verhandlungsprozesse für TTIP und CETA waren eben kein europäischer, integrierender Faktor, sondern das genaue Gegenteil davon. Davon konnte sich jeder in den letzten Wochen beim Gezerre um CETA überzeugen, das ja noch immer andauert.
Und selbst wenn jetzt manche meinen, mit Trump hätte sich das Thema TTIP einfach von selbst erledigt und wir könnten das abmoderieren, indem wir einfach nicht mehr darüber reden, der wählt den schlechtesten möglichen Weg. Wer dem sicherlich gescheiterten, aber doch bis in die jüngste Vergangenheit in der Zivilgesellschaft auf das Härteste umkämpften Projekt jetzt ein Staatsbegräbnis erster Klasse verweigern will, der vergibt eine wichtige Chance. Die Chance nämlich, jetzt in Europa selbstbestimmtes, selbstbewusstes Handeln der politischen Entscheidungsträger zu demonstrieren und so daran zu arbeiten, dass für neue Anläufe zu fairem Welthandel und Abbau von Handelshemmnissen überhaupt erst wieder Vertrauen aufgebaut werden kann.
Jenen, die glauben, man könne das Halbfertige noch irgendwie hinbiegen, sei gesagt: niemand sollte nun beim TTIP-Abkommen zwischen der EU und den USA darauf hoffen, im Kielwasser von CETA auf demselben Kurs noch den Hafen zu erreichen. Erstens deshalb, weil in diesem Zielhafen die Torpedierung mit Ansage droht. Zweitens weil bereits unterwegs die Meuterei auf der Bounty, Teil 2, zu befürchten ist.
Ein "weiter so" führt nicht nur deshalb ins Nichts, weil der interessierte Partner für ein Abkommen fehlt, ein "weiter so" würde darüber hinaus auch in der EU weiter Schaden anrichten und Sprengstoff aufhäufen, wo wir gerade so dringend gemeinsam einig und stark werden müssen. Ein glaubwürdig starkes, einiges Europa braucht breitestmögliche demokratische Legitimation und genau die ist dem intransparenten TTIP Prozess längst abhandengekommen!
Angesichts des rasant fortschreitenden öffentlichen Vertrauensverlustes in die Verhandlungen und in die Verhandelnden ist der offizielle, selbstbewusst vertretene Stopp der TTIP Verhandlungen der Griff nach der Notbremse, um den Karren nicht vollends gegen die Wand zu fahren.
Wem wirklich am Zustandekommen eines fairen, demokratisch legitimierten Abkommens zum Abbau von Handelshemmnissen auch zwischen der EU und den USA gelegen ist, der muss jetzt erkennen, dass dieses Ziel durch Fortsetzung des TTIP-Verhandlungsprozesses nicht mehr erreichbar ist.
Von der Sächsischen Staatsregierung fordern wir deshalb in unserem Plenarantrag, dass sie sich – auch im Interesse der Mehrheit unserer kleinen und mittelständischen sächsischen Unternehmen – auf Bundes- und europäischer Ebene für ein Ende der intransparenten Verhandlungen einsetzt und einen konsequenten Neubeginn fordert. Genau jetzt wäre das Zeitfenster dafür, dies aktiv und selbstbewusst zu betreiben. Wenn der Prozess erst erkennbar mausetot am Boden liegt oder von der anderen Seite auf Trump’sche Art für tot erklärt wird, ist es dafür zu spät.
Erst der Stopp dieses Prozesses kann überhaupt einen Neubeginn ermöglichen. Einen Neubeginn, bei dem nach einer Phase der Besinnung und Klärung, wer überhaupt wofür Verhandlungspartner sein kann und noch will, von Anfang an transparent wird, wer mit welchem Ziel verhandelt und wie öffentliche Information und parlamentarische Mitwirkung gesichert werden. Nur so können beim Thema Freihandelsabkommen die Bürgerinnen und Bürger ‚mitgenommen‘ und dabei verlorenes Vertrauen zurückgewonnen werden.
Ich möchte nochmal ein paar grüne Positionen zusammenfassen.
Wir stehen zu freiem und zu fairem Welthandel. Wir dürfen aber nicht zulassen, dass unsere sozialen, ökologischen oder politischen Standards in der globalen Wirtschaft untergraben werden. Wir fordern bei internationalen Handelsverträgen, dass unsere Standards für Arbeits-, Verbraucher-, Tier- und Umweltschutz eingehalten werden. Fragen der kommunalen Daseinsvorsorge wie die Trinkwasserversorgung haben in einem Handelsabkommen nichts verloren.
Fairness durch Nachhaltigkeit heißt: Verantwortung für die Eine Welt! Faires Wirtschaften weiß um die Herausforderungen globaler Ungleichheiten und denkt an die eigene Verantwortung in der Einen Welt. Wir wollen die soziale Marktwirtschaft auch zu einer ökosozialen machen.
Grüne Positionen? Ich habe soeben zusammenhängend aus zwei Abschnitten des neuen Grundsatzprogramms der Christlich-Sozialen Union, „DIE ORDNUNG“ genannt, zitiert.
Und um ihnen die Entscheidung, für unseren Antrag zu stimmen, noch etwas zu erleichtern, verweise ich noch auf einen Antrag der Bundestagsfraktionen der CDU/CSU und SPD aus diesem Jahr mit dem Titel “UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung – 2030-Agenda konsequent umsetzen“. Die Koalition fordert dort, den politischen Willen der Bundesregierung, die globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung in die breite Politikgestaltung auf allen Ebenen zu tragen, deutlich zu formulieren und durch entsprechende Maßnahmen zu unterstützen.
Sie fordert, sich für die Umsetzung der SustainableDevelopmentGoals-Beschlüsse einzusetzen. Und was steht in diesen Beschlüssen? Bezüglich des Welthandels heißt es in SDG Ziel 17, es sei ein universales, regelgestütztes, offenes, nichtdiskriminierendes und gerechtes multilaterales Handelssystem unter dem Dach der Welthandelsorganisation zu fördern.
Sie haben also längst in den eigenen Reihen begriffen, meine Damen und Herren, dass multilaterale Vereinbarungen unter dem Dach der Welthandelsorganisation WTO der weit bessere Weg sind, ein regelgestütztes Handelssystem zu etablieren, das nicht zu Lasten Dritter wirkt. Bilaterale Verträge können das nicht in derselben Weise leisten. Wollen Regierungen sie dennoch, so müssen sie diese von Anfang an globalen Nachhaltigkeitszielen ausrichten. Das aber kann der TTIP-Prozess nicht leisten und er wollte das auch nie.
Deshalb muss er beendet werden, um Platz und Vertrauen für einen wirklich in die Zukunft führenden Ansatz zu machen. Sollten Sie heute dagegen stimmen, so würden Sie Realitätsferne gegenüber den längst in eigenen Reihen angekommenen Erkenntnissen demonstrieren. Noch mehr Realitätsferne als bei den wiederkehrenden Bekundungen, das man mit der Kohle einfach wie bisher weiter machen könne.
Fangen Sie doch heute einfach mal beim gescheiterten TTIP-Prozess mit einem ersten Stück Modernisierung an – indem sie bei Sachsens Position zum Platzschaffen für wirklich zukunftsfähige Handelsvereinbarungen selbstbewusst ein Zeichen setzen. Dafür ist der Tag nach der Wahl eines Populisten und Nationalisten als US-Präsident sehr gut geeignet!