Von weniger Europa hat keiner mehr! Auch aus Sachsen sollten Ideen und Signale für ein solidarisches, weltoffenes und geeintes Europa ausgehen

Rede der Abgeordneten Dr. Claudia Maicher zur Aktuellen Debatte "Für einen starken Zusammenhalt der ’27‘ in der Europäischen Union"
60. Sitzung des Sächsischen Landtags, 27. September, TOP 3

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
werte Kolleginnen und Kollegen,
der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, hat es in seiner Rede zur Lage der Union gesagt – und ich möchte mich dem anschließen: Der Brexit ist kein Beispiel für die Zukunft Europas.
Denn gerade erleben wir, was es heißt, wenn ein Mitglied sich dafür entscheidet, die Union zu verlassen. Wirtschaftliche Ungewissheit, politische Grabenkämpfe und Unsicherheit für die Menschen in Großbritannien.
Niemand wird durch den Austritt etwas gewinnen. Es gibt nur Verlierer. Von weniger Europa hat keiner mehr!
Kein Pfund mehr wird ganz automatisch in das Gesundheitssystem in Großbritannien fließen. Schließlich wird kein Land zurückgewonnen, so wie es die Brexit-Befürworter propagiert haben. Im Gegenteil. Theresa May und die Konservativen haben das Land ins politische Chaos gestürzt. Es gibt keine Brexit-Strategie, weil ein Ausstieg immer mit harten Einschnitten verbunden ist. Die Strategie kann daher maximal lauten, den Schaden zu minimieren.
Das Exempel Großbritannien mahnt auch uns Mitglieder des Sächsischen Landtags, Europa nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Preiszugeben durch falsche Schuldzuweisungen und politische Spielchen. Es mahnt uns außerdem, Populisten und Nationalisten nicht nach dem Mund zu reden, sondern klar und deutlich über Parteigrenzen hinweg für ein solidarisches, geeintes und vor allem ein stärkeres Europa einzustehen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
diese Aktuelle Debatte heute, die von der Koalition beantragt wurde, lässt uns im Parlament über die Zukunft der EU nach dem Brexit debattieren. Aber wo war in den letzten Wochen ihr Einsatz für dieses Thema auf den Straßen, den Plätzen und in Interviews?
Warum haben sie das nicht in den Mittelpunkt gestellt, wie in den Wahlkämpfen unserer Nachbarländer? So wurden in diesem Jahr sogar Wahlen gewonnen. Da hätte es Aufmerksamkeit erzeugt.
Die Große Koalition hat es verpasst, den ausgestreckten Arm von Emmanuel Macron im Frühjahr zu greifen und Reformen zu diskutieren und selbst Vorschläge zu machen. Stattdessen haben Sie die Bundestagswahl vor- und das wichtige Thema Europa aufgeschoben!
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
lassen Sie uns Antworten auf die Frage geben, wie wir die Union der 27 zusammenhalten. Ich finde, Juncker hat Recht, dass bereits jetzt Spielräume für Veränderungen vorhanden sind, ohne auf Vertragsänderungen angewiesen zu sein.
Europäisieren wir die Europawahlen und stärken die europäische Öffentlichkeit. Nicht nur durch europäische Spitzenkandidaten, sondern auch durch transnationale Listen. Das durch den Brexit frei werdende Kontingent an Sitzen im Europäischen Parlament bietet die Chance dazu.
Es geht um mehr Zusammenhalt in der EU der 27. Dann muss auch die soziale Frage stärker im Zentrum stehen. Überwinden wir das soziale Gefälle innerhalb der Union. Beispielsweise mithilfe einer Mindesteinkommensrichtlinie, die festschreibt, dass allen Menschen in EU-Mitgliedstaaten ein Existenzminimum in angemessener Höhe zusteht.
Mit stärkeren, viel stärkeren Investitionen sollen vor allem die bislang arbeitslosen jungen Menschen – und damit die Zukunft Europas – Ausbildung und Arbeit erhalten. Mit Investitionen in Digitalisierung, Klimaschutz und ökologische sowie soziale Modernisierung.
Wir müssen europaweit entschlossener das Stadt-Land-Gefälle angehen. Hier trägt der Freistaat eine besondere Verantwortung. Gerade hier hat die Staatsregierung viele Fehler gemacht. Viel zu sehr haben Sie sich über Jahre aus der Finanzierung und Verantwortung für den ländlichen Raum zurückgezogen und auf EU-Förderprogramme verlassen. Dabei wird Sachsen künftig weniger Fördermittel erhalten. Verzweifelt versucht die Staatsregierung jetzt an diesen Programmen festzuhalten.
Darüber hinaus muss die EU für mehr Steuergerechtigkeit sorgen. Ich bin froh, dass die Kommission sich zum Ziel gesetzt hat, Steuervermeidung und -hinterziehung viel stärker zu bekämpfen. Gewinne sollen dort besteuert werden, wo sie erwirtschaftet werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die europäischen Partner schauen auf Deutschland und den europapolitischen Kurs, der für die kommenden Jahre einschlagen wird.
Es wird wichtig sein, die Vorschläge Macrons nicht reflexhaft abzulehnen, sondern seine Hand zu ergreifen.
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