Weichert: Ein prall gefüllter Fördertopf entfaltet keine Wirkung, solange die Förderprogramme so unverständlich formuliert sind, dass sich Unternehmer mit Grausen abwenden
Redemanuskript des Abgeordneten Michael Weichert zum Antrag „Wirtschaftsförderung zukunftsfähig ausrichten – Verfahren entbürokratisieren und mittelstandsfreundlicher gestalten“ in der 10. Sitzung des Sächsischen Landtages am 11. März 2010, TOP 4
Es gilt das gesprochene Wort!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
die längsten Staus entstehen nicht auf sächsischen Autobahnen, sondern auf den Dienstwegen. Aus diesem Blickwinkel ist die Forderung der sächsischen Wirtschaft nach kurzen Wegen nur zu gut zu verstehen. Und um die Voraussetzungen für eine gute Wirtschafts- und Standortpolitik muss es bei der Behandlung des vorliegenden
Antrags der Koalition gehen.
Dafür ist es richtig, Wirtschaftsförderung im Zusammenhang mit Bürokratie und deren Abbau zu diskutieren. Ein prall gefüllter Fördertopf entfaltet keine Wirkung, solange die Förderprogramme so unverständlich formuliert sind, dass sich Unternehmer mit Grausen abwenden.
Ja, Förderpolitik gehört hinsichtlich Mittelstandsfreundlichkeit auf den Prüfstand. Aber hier wird der Bock zum Gärtner gemacht, wenn die Verwaltung Maßnahmen zum Bürokratieabbau vorschlagen soll. Bürokratie ist das Futter für den Amtsschimmel, und warum sollte der ernsthaft daran interessiert sein, eine Diät oder gar eine Hungerkur zu machen, meine Damen und Herren?
Wie ideenlos die Wirtschaftspolitik der CDU-Fraktion ist, hat sie in den vergangenen Jahren schon oft unter Beweis gestellt. Dass sich nun allerdings auch die FDP in diesen Kanon einreiht, wo sie sich doch stets als das Sprachrohr der mittelständischen Wirtschaft gefeiert hat, überrascht mich sehr. Was für ein Konzept erwartet die Koalition denn von der Staatsregierung, wenn sie es nicht einmal für nötig hält, wenigstens einige Zielvorgaben zu machen?
Begriffe wie „Nachhaltigkeit“, „effektive Erfolgskontrolle“ und „Entbürokratisierung“ sind nicht mehr als inhaltsleere Worthülsen oder Sprechblasen, an denen sich schon ganz andere vor ihnen verschluckt haben. In diesem Zusammenhang hätte ich auch gern gewusst, wie sich die Antragsteller nachhaltige Förderinstrumente vorstellen.
Denn eines ist klar: Bürokratieabbau ist ein schwieriges Unterfangen, nicht zuletzt weil der Regelungswut mehrerer Ebenen gegenüberstehen. Förderprogramme und deren Antragsverfahren werden eben nicht nur durch den Freistaat beeinflusst.
Da fließen die Vorgaben des Bundes und noch viel stärker die gesetzlichen Regelungen der EU mit ein. Alles ist miteinander verwoben und bezieht sich aufeinander. Je weiter unten wir in der Hierarchieebene ankommen, desto stärker versuchen die Entscheidungsträger, sich gegenüber vorgesetzten Stellen abzusichern, getreu dem Motto: Paragrafenreiter fallen nicht vom Amtsschimmel.
Was von der EU kommt, ist in der Regel eine Richtlinie, die dem nationalen Gesetzgeber einen Spielraum lässt. Wir Deutsche tendieren nach meinem Geschmack zu oft dazu, den Spielraum restriktiv und kompliziert auszulegen und anzuwenden.
Mehr als 27.000 Normen regulieren in Deutschland das wirtschaftliche Handeln, 500 neue kommen jedes Jahr hinzu
Meine Damen und Herren, für die Unternehmen ist die Bürde staatlicher Bürokratie eines der größten Hindernisse für wirtschaftlichen Erfolg. berdurchschnittlich stark betroffen sind kleine und mittlere Unternehmen – eine vertrackte Situation, denn es sind gerade diese Betriebe, die in Sachsen in besonderer Weise wirtschaftliches
Wachstum, Investitionen und Arbeitsplätze tragen. Die volkswirtschaftlichen Kosten der Überregulierung sind immens.
Lassen wir einmal die Zahlen sprechen: Mehr als 27.000 Normen regulieren in Deutschland das wirtschaftliche Handeln, 500 neue kommen jedes Jahr hinzu. Die Bürokratie kostet kleine und mittlere Unternehmen nach einer Schätzung des Instituts für Mittelstandsforschung aus dem Jahr 2004 schätzungsweise bis zu 4.300 Euro pro Mitarbeiter und Jahr. Fast 40 Milliarden Euro zahlt der gesamte deutsche Mittelstand nach Angaben der Stiftung Marktwirtschaft jährlich an Bürokratie, Tendenz steigend.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen aller demokratischen Fraktionen, selbstkritisch müssen auch wir uns fragen, was wir selbst hier im Sächsischen Landtag zur allgemeinen Regelungswut beitragen. Wer den Wert seiner Arbeit ausschließlich daran misst, wie viele Gesetzesinitiativen auf das eigenen Konto gehen, den sollte die Forderung nach Bürokratieabbau nachdenklich stimmen.
Die Belastung durch Bürokratie hat etwas Tückisches. Jede einzelne Vorschrift wäre für sich betrachtet noch erträglich und ist meist auch begründet. Aber die Belastungen aller Regelungen zusammen überschreitet das Maß des Tragbaren. Ein kleines Beispiel, das zeigt, wo wir stehen:
Der Satz des Pythagoras besteht aus 24 Wörtern und die 10 Gebote aus 179 Wörtern, während die GA-Richtlinie zur Förderung der gewerblichen Wirtschaft 13.761 Wörter umfasst. 24 erforderliche Unterlagen müssen für ein Mikrodarlehen von maximal 20.000 Euro beschafft werden.
Meine Damen und Herren, damit sich etwas ändert, bräuchten wir den Mut, mehr Freiheitsgrade zuzulassen und auf die komplette Regelung und Normierung jeglichen Lebensbereiches zu verzichten. Auch die Wirtschaft ist davor nicht gefeit.
Ein großer Teil der Gesetzgebung ist nichts anderes als ein Durchtransportieren von Unternehmens- und Verbandsinteressen in rechtliche Formen. Einzelfallgerechtigkeiten werden so in Gesetzen festgeschrieben. Die Folge ist, dass Entscheidungen und Investitionsprozesse durch kaum noch beherrschbare Verwaltungs- und Genehmigungsverfahren ausgebremst werden.
Meine Damen und Herren, was können wir sofort tun, um etwas gegen die fortschreitende Bürokratisierung zu unternehmen?
Zuerst müssen wir die Verwaltung ständig mit den Veränderungen in der Wirtschaft konfrontieren, sie mit den Unternehmern zusammenbringen. Wirtschaft und Verwaltung sprechen oft unterschiedliche Sprachen. Wir täten außerdem gut daran, alle Vorschläge gesellschaftlich wichtiger Institutionen ernst zu nehmen.
Die IHK Sachsen hat bspw. bereits im Dezember 2008 elf Vorschläge zum Bürokratieabbau in Sachsen unterbreitet.
Wie ich vorgestern, also im März 2010,erfahren habe, gab es seitens der Staatsregierung darauf bisher keine Antwort.
Sehr geehrter Herr Staatsminister Morlok, auf diese Art und Weise mit Hinweisen und Vorschlägen umzugehen, zeugt nicht von Stil, vor allem, wenn man selbst nichts Besseres zu bieten hat, wie ein Blick auf die Projektabwicklung der Sächsischen Aufbaubank (SAB) zeigt: Da werden schon mal Abrechnungsunterlagen nicht bearbeitet, weil ein Straßenname in der Teilnehmerliste klein geschrieben oder der Publizitätspflicht nicht genügt wurde. Ein Antragsteller hatte sich erdreistet, aus dem EU-Slogan „Investition in IHRE Zukunft“
„Investition in DIE Zukunft“ zu machen und wurde deshalb abgelehnt.
Meine Damen und Herren, wie Sie sehen, gibt es viel zu tun. Fangen wir damit an, auch wenn der vorliegende Antrag eher dem sprichwörtlichem „Pfeifen im Walde“ gleicht als einem beherzten Schritt in die richtige Richtung.