Weichert: Wir GRÜNE wollen für 2010 einen neuen Haushalt, der den realen Gegebenheiten Rechnung trägt

„Wir fordern Sie auf, Herr Unland, die 2011 fälligen Anpassungsmaßnahmen auf 2010 vorzuziehen und diese sowie alle übrigen Maßnahmen, die Sie zum Schließen der Haushaltslücke ergreifen, dem Parlament in einem Nachtragshaushalt zur Entscheidung vorzulegen“
Es gilt das gesprochene Wort!

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
wenn der Finanzminister keinen Nachtragshaushalt vorlegt und das Parlament nicht darüber entscheiden lässt, wie mit der immensen Einnahmelücke von 864 Mio. Euro im Haushaltsjahr 2010 umgegangen werden soll – stattdessen allein darüber entscheidet, das die letzten Haushaltsreserven in Höhe von 572 Mio. Euro aufgelöst werden -, frage ich mich, wie weit es mit dem Budgetrecht des Parlaments eigentlich her ist.
Das Budgetrecht ist das Königsrecht des Parlaments. Dies zeigt sich darin, dass das Haushaltsbewilligungsrecht des Parlaments Vorrang hat vor dem Initiativrecht der Staatsregierung, einen Haushalt – und auch einen Nachtragshaushalt – aufzustellen. Mit dem Haushalt trifft das Parlament politische Grundentscheidungen. Im Haushalt wird das politische Programm des Parlaments quasi aus dem Reich der politischen Versprechungen in reale Politik überführt. Deshalb ist der Haushalt für das Parlament so wichtig.
Mit dem Haushaltsgesetz 2009/2010 ist die Staatsregierung ermächtigt worden, im Jahr 2010 ca. 16,5 Milliarden Euro zu verausgaben. Diese Ermächtigung gilt, obwohl dem Freistaat Einnahmen in dieser Höhe nicht mehr zur Verfügung stehen. 864 Millionen Euro Steuern wird der Freistaat im nächsten Jahr weniger einnehmen. Die Rahmenbedingungen für den Haushalt 2010 haben sich damit also drastisch verändert.
Meine Damen und Herren der Mehrheitsfraktionen, ich frage Sie nun: Würden Sie, wenn Sie den Haushalt 2010 heute beschließen müssten, den Finanzminister noch einmal ermächtigen, 16,5 Milliarden Euro auszugeben, wenn Sie gewusst hätten, dass die Einnahmen des Freistaates nur 15,6 Mrd. Euro betragen? Würden sie heute beschließen, die letzten Reserven in Höhe von 572 Mio. Euro vollständig zu verbrauchen?
Die eiserne Reserve in den Jahren 2010 und 2011 zu verbrauchen, halte ich für abenteuerlich, vor allem, solange das Damoklesschwert der Sachsen LB Garantie über uns schwebt
Vermutlich würden Sie einem solchen Haushalt nicht zustimmen. Herr Rohwer, Sie sind da ja schon auf dem richtigen Weg, auch wenn Sie ihn nicht konsequent zu Ende gedacht haben. In dem Wissen, dass Sachsen in den nächsten zehn Jahren real ein Viertel seiner Einnahmen verliert, und damit auf absehbare Zeit keine neue Reserve bilden kann, greift Ihr Wunsch oder Ihre Hoffnung, dass vom Ersparten 2011 noch etwas übrig bleibt, zu kurz.
Die eiserne Reserve in den Jahren 2010 und 2011 zu verbrauchen, halte ich für abenteuerlich, vor allem, solange das Damoklesschwert der Sachsen LB Garantie über uns schwebt. Kann mir einer sagen, wo das Geld herkommen soll, wenn Sachsen mehr zahlen muss als bisher erwartet? Zukünftig aus einem Etat ein paar hundert Millionen Euro heraus zu schneiden, wird dann richtig weh tun. Wozu also jetzt noch Maßnahmen beginnen, wenn wir wissen, dass der Freistaat sie sich im nächsten Jahr sowieso nicht mehr leisten kann? Weil Sie keine andere Lösung gefunden haben?
Mit dem Auflösen der Haushaltsreserve haben Sie sich für den bequemsten Weg entschieden, den Weg, der am wenigsten mit Konflikten gepflastert ist. Spätestens seit Mai wissen wir doch alle, dass der Freistaat viele Jahre nicht mehr so viel Geld ausgeben werden kann, wie in diesem Jahr – die Staatsregierung aber schafft es nicht, sich an die neue Situation anzupassen. Seit Monaten, spätestens seit Mai weiß sie, dass die Ausgabenseite an die neue Einnahmesituation angepasst werden muss. Aber unternommen hat sie nichts. Sie hat auf die Steuerschätzung im November gewartet und gehofft, dass der schwere Kelch an ihr vorüber geht. Unter einer nachhaltigen und vorausschauenden Haushaltspolitik verstehe ich etwas anderes als Ihre Vogel-Strauß-Politik.
Meine Damen und Herren von CDU und FDP, solange Sie Ihren Finanzminister nicht auffordern, einen anderen Haushalt für 2010 vorzulegen, dulden Sie nicht nur die viel zu hohen Ausgabeermächtigungen, sie akzeptieren damit auch, dass der Finanzminister die eiserne Reserve des Freistaates in Höhe von 572 Mio. Euro komplett verbraucht.
Lassen Sie das Parlament zu seinem Recht kommen, den Haushalt 2010 in seiner politischen Programmfunktion neu auszurichten
Wir GRÜNE wollen für 2010 einen neuen Haushalt, einen, der den realen Gegebenheiten Rechnung trägt. Deshalb fordern wir Sie, Herr Staatsminister Unland auf, die 2011 sowieso fälligen Anpassungsmaßnahmen auf 2010 vorzuziehen und diese sowie alle übrigen Maßnahmen, die Sie zum Schließen der Haushaltslücke ergreifen, dem Parlament in einem Nachtragshaushalt zur Entscheidung vorzulegen.
Lassen Sie das Parlament zu seinem Recht kommen, den Haushalt 2010 in seiner politischen Programmfunktion neu auszurichten und gleichzeitig eine offene Debatte darüber zu führen, was der Freistaat in den nächsten Jahren noch finanzieren kann und was nicht. Das Parlament hat das Recht, darüber zu entscheiden. Und die Menschen im Lande haben ein Recht darauf, über die notwendigen Maßnahmen informiert zu werden. Wir brauchen mehr Transparenz. Es macht keinen Sinn, Einzelmaßnahmen aus dem Budget zu streichen, die aus Sicht der Verwaltung vielleicht verzichtbar sind, für die Betroffenen aber immens wichtig. Aus Chemnitz haben wir beispielsweise gehört, dass eine Brücke nicht gebaut werden soll, angeblich, weil die Mittel dafür gesperrt wurden. Diese Brücke ist aber für die Chemnitzer von enormer Bedeutung. Diese Entscheidungen muss die Politik treffen.
Wichtig ist, jetzt neue Prioritäten und Schwerpunkte zu diskutieren. Wir können es uns nicht leisten, noch länger damit zu warten und derweil Geld für Unsinniges auszugeben. Wenn Sie sagen, dass wir beim Straßenbau sparen müssen, dann sollte das Parlament darüber entscheiden, welche Straßen das sein sollen. Wenn Sie sagen, dass wir nicht mehr alle Förderprogramme finanzieren können, dann soll das Parlament darüber entscheiden, welche das sind. Denn diese Debatten berühren den Haushalt in seiner politischen Programmfunktion.
Meine Damen und Herren, manchmal muss man ja mit der Staatsregierung erst nach Leipzig gehen, um Recht zu bekommen. Ich hoffe, heute überzeugt Sie ein Urteil, das der baden-württembergische Staatsgerichtshof am 11.10.2007 getroffen hat. Erlauben Sie mir, Ihnen ein paar wesentliche Gedanken daraus vorzutragen: In dem Urteil weist das Gericht auf die größeren Prognoserisiken eines Doppelhaushalts hin – insbesondere im Hinblick auf das zweite Haushaltsjahr.
Diesem erhöhten Prognoserisiko, so das Urteil, wird in der Praxis durch die regelmäßige Verabschiedung eines Nachtragshaushalts für das zweite Haushaltsjahr begegnet. Der Nachtragshaushalt, so das Urteil, leitet sich aus dem Grundsatz der Organtreue als dem Gebot der Rücksichtnahme auf das vorrangige Haushaltsbewilligungsrecht des Landtags ab. Wegen des auch für den Nachtragshaushalt geltenden ausschließlichen Initiativrechts der Staatsregierung spricht das Gericht deshalb auch von einer „Bringschuld der Regierung“. Dies ist die Kernbotschaft des Urteils und das, worum es mir hier geht: Herr Staatsminister, es geht darum, dass sie das vorrangige Haushaltsbewilligungsrecht des Parlaments anerkennen! Dass Sie anerkennen, das Recht des Finanzministers ist dem Recht des Parlaments nachgeschaltet, es ist als Bringschuld gegenüber dem Parlament zu verstehen. Lösen Sie also Ihre Bringschuld ein, machen Sie von dem nur Ihnen zustehenden Initiativrecht für den Nachtragshaushalt Gebrauch!
Meine Damen und Herren, die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise werden die öffentlichen Haushalte auf Jahre belasten. Es wird Jahre dauern, bis die Steuereinnahmen wieder das Niveau von 2008 erreichen. Sinkende Solidarpaktmittel, Steuermindereinnahmen in Folge des demografisches Wandels, Steuermindereinnahmen aufgrund der Steuersenkungsvorhaben der Bundesregierung sowie die drohenden Belastungen aus der Sachsen LB Garantie Sachsen engen darüber hinaus den Handlungsspielraum des Freistaates dauerhaft ein. Eine vorausschauende und vorsorgende Haushaltspolitik berücksichtigt diese vorhersehbaren Entwicklungen schon heute. Es ist noch nicht zu spät, für 2010 einen Nachtragshaushalt vorzulegen. Wir können darüber gerne auch noch nach der Sommerpause beraten. Wichtig ist nicht, wann wir einen Nachtragshaushalt bekommen, wichtig ist nur, dass wir einen bekommen.