Weiterbildung – Melcher: Wir wollen die Weiterbildung als 4. Säule des Bildungssystems stärken
Redebeitrag der Abgeordneten Christin Melcher (BÜNDNISGRÜNE) zum Antrag der Fraktionen CDU, BÜNDNISGRÜNE und SPD: „Eine flächendeckende, bedarfsgerechte und innovative Weiterbildungslandschaft im Freistaat Sachsen sichern“ (Drs 7/7091)
35. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 22.07.2021, TOP 6
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
Weiterbildung und lebenslanges Lernen sind essenziell. Die Zeiten sind vorbei, in denen man mit Schule und erstem Berufs- oder Studienabschluss für das Arbeitsleben bis zum Renteneintritt gewappnet war. Inzwischen wandelt sich die Arbeitswelt so schnell, dass die oder der Einzelne stetig neu gefordert ist. Lernen wird gern als Schwimmen gegen den Strom bezeichnet – man darf nicht aufhören, sonst treibt man zurück – dieses Sinnbild gilt für das lebenslange Lernen umso mehr.
Laut der Studie „Weiterbildungsverhalten in Deutschland 2018“ umfasst die betriebliche Weiterbildung mit rund 70 Prozent der Weiterbildungsaktivitäten den größten Teil. Dennoch ist Weiterbildung nicht auf betriebliche Fortbildungen oder die Eröffnung von Aufstiegsoptionen begrenzt. Die individuelle berufsbezogene Weiterbildung umfasst etwa 10 Prozent der Weiterbildungsaktivitäten. Und jede fünfte Aktivität fällt in den Bereich der allgemeinen, nicht berufsbezogenen Weiterbildung.
Die Sächsische Verfassung hält fest: „Die Erwachsenenbildung ist zu fördern.“ Die betriebliche, berufliche und akademische Weiterbildung ist weitgehend durch das Berufsbildungsgesetz, das Sozialgesetzbuch III, das Sächsische Schul- sowie das Hochschulgesetz normiert. Anders gestaltet es sich im Segment der allgemeinen Weiterbildung. Im Wesentlichen bestimmt das Weiterbildungsgesetz deren Struktur wie auch die Grundsätze staatlicher Förderung. Das Gesetz stammt aus dem Jahr 1998. Seither hat sich nicht nur die Arbeitswelt verändert, auch der gesellschaftliche Wandel vollzieht sich immer schneller. Die gesellschaftliche und persönliche Weiterbildung gewinnt so an Bedeutung – und eine Gesetzesnovelle ist dringend angezeigt.
Wir haben eine klare Vorstellung davon, was das Weiterbildungsgesetz leisten soll. Wir wollen die Weiterbildung als 4. Säule des Bildungssystems stärken. Dabei muss die Grundversorgung mit Weiterbildungsangeboten ebenso gewährleistet sein wie die Vielfalt der Träger. Es braucht eine verlässliche Finanzierung. Die reine Output-Orientierung durch die Vergütung von Unterrichtsstunden gehört dringend auf den Prüfstand. Das Innovationspotenzial der Einrichtungen muss gestärkt werden. Wir wollen die Weiterbildungsbeteiligung insgesamt erhöhen und neue Zielgruppen gewinnen. Weiterbildungseinrichtungen sind zudem fester Bestandteil kommunaler Bildungslandschaften. Das Weiterbildungsgesetz soll deshalb auch deren regionale und kommunale Verankerung und Vernetzung weiter festigen und stärken.
Neben der Novelle des Weiterbildungsgesetzes steht auch eine Fortschreibung der Weiterbildungsstrategie an.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
hier wird es nicht bei einer Fortschreibung bleiben. Wir wollen eine ressortübergreifende Weiterbildungsstrategie für den Freistaat Sachsen. Eine umfassendes Konzept, das die allgemeine Weiterbildung erfasst, aber ebenso den großen Bereich der beruflichen Weiterbildung abdeckt. Uns ist bewusst: Das ist ein richtig dickes Brett, das wir da bohren wollen. Doch ich bin zuversichtlich, dass uns das gelingen kann.
Uns BÜNDNISGRÜNEN sind in diesem Prozess zwei Aspekte besonders wichtig:
Zum einen darf auch in einer Gesamtstrategie die persönliche, soziale, politische und kulturelle Weiterbildung nicht zu kurz kommen oder hinter ökonomischen Gesichtspunkten zurücktreten. Wir brauchen Engagement, wir brauchen Beteiligung! Weiterbildung ist essenziell für viele ehrenamtlich Tätige. Weiterbildung darf thematisch nicht verengt oder einer strikten Verwertungslogik unterworfen werden. Sie ist gleichzeitig Voraussetzung und Ausdruck eines selbstbestimmten Lebens und aktiver gesellschaftlicher Teilhabe. Wir müssen deshalb weiter an Strategien feilen, im umfassenden Sinne inklusive Weiterbildungsangebote zu schaffen. Auch die Anerkennung von Kompetenzen, die durch nicht-formales und informelles Lernen erworben wurden, wird uns weiter beschäftigen.
Zum anderen ist uns BÜNDNISGRÜNEN wichtig, dass die nachholende Bildung einbezogen wird. Der zweite Bildungsweg gehört unbedingt auf die Agenda, wenn wir es mit der Bildungs- und Chancengerechtigkeit auch im Bereich der Weiterbildung ernst meinen. Grundbildung und Alphabetisierung sind seit vielen Jahren fester Bestandteile beziehungsweise Themenbereiche der Weiterbildung. Daneben muss jedoch die Infrastruktur für die nachholende Schulbildung ausgebaut werden. Es gibt in Sachsen je fünf Abendoberschulen, Abendgymnasien und Kollegs. Aus unserer Sicht sollten weitere Einrichtungen, etwa die Volkshochschulen, mit der Aufgabe betraut werden, Menschen jeden Alters auf einen Schulabschluss vorzubereiten, auch tagsüber. Hier ist besonders wichtig, Zugangshürden niedrig zu halten.
Das dicke Brett der Weiterbildungsstrategie wollen wir bis Ende 2023 gebohrt haben. Ich bitte herzlich um Ihre Zustimmung zu diesem ambitionierten Vorhaben und zu unserem Antrag.
Vielen Dank.