Wer im Besitz der Mehrheit ist, ist noch lange nicht im Besitz der Wahrheit

Redebeitrag des Abgeordneten Karl-Heinz Gerstenberg zur Debatte „Aussprache und Beschlussfassung zur Geschäftsordnung des 5. Sächsischen Landtags“ in der 1. Sitzung des Sächsischen Landtages am 29. September 2009 zum TOP 5
Chancengleichheit der Opposition: „Herr Herbst hat vor 5 Jahren der SPD unter dem gleichen Gesichtspunkt vorgeworfen, Macht verdirbt den Charakter. Ich fand das ziemlich scharf. Heute muss ich sagen, Herr Herbst, ich befürchte, sie hatten recht“

Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
unsere gemeinsame Aufgabe als demokratische Fraktionen ist es, diesen Landtag zu einem attraktiven Ort der demokratischen Debatten und Entscheidungen zu machen. Damit können wir der Entfremdung der Bürgerinnen und Bürger vom Parlamentarismus entgegen wirken.
So können wir auch den Menschen in Sachsen zeigen, dass dieser Landtag über wichtige Aufgaben, wichtige Aspekte ihres Lebens entscheidet. Und schließlich können wir ihnen auch die Möglichkeit geben, unsere Arbeit besser zu verfolgen und kritisch zu begleiten.
Laut Artikel 39 der sächsischen Verfassung sind wir als Sächsischer Landtag die gewählte Vertretung des Volkes und üben die Gesetzgebende Gewalt aus, überwachen die vollziehende Gewalt und sind Stätte der politischen Willensbildung.
Wenn wir diesen Verfassungsaufgaben wirklich im vollen Umfang gerecht werden, dann kann keine Rede mehr von der Bedeutungslosigkeit eines Landtages sein.
So ist die Geschäftsordnung aus unserer Sicht nur ein scheinbar langweiliges Thema. Sie ist spannend, denn in der Geschäftsordnung als Binnenrecht schlägt sich nieder, wie diese Fragen umgesetzt werden.
Unsere Fraktion hat nach fünf Jahren Arbeit in der 4. Legislaturperiode diese Jahre ausgewertet und ihre Ziele am Ende der 4. Periode festgeschrieben.
Wir sind, und da sind wir uns einig mit allen Vorrednern, der Meinung, dass die Transparenz in der parlamentarischen Arbeit verbessert werden muss, dass die Debatten lebendiger und nachvollziehbarer werden müssen.
Dazu gehört es auch, die Tagesordnungspunkte nicht einfach formal nach der Stärke der Fraktionen aufzureihen, dazu gehört es, dass Beratungen nicht hinter verschlossenen Türen stattfinden, und, da gebe ich meinen Vorrednern recht, das Vortragen vorgefertigter Reden ohne das Eingehen auf Vorredner ist natürlich der Tod einer jeden Debatte. Auch die Dauerredner in der ersten Runde sind Grund zum Abschalten für Menschen, die diese Debatten verfolgen werden.
Wir sind zweitens der Meinung, dass es wichtig ist, dieses Parlament insgesamt zu stärken und seine Arbeitsmöglichkeiten zu verbessern. Wir Abgeordnete, wir alle als Vertreter des Volkes, müssen mit Selbstbewusstsein gegenüber der Staatsregierung auftreten und die vollziehende Gewalt kontrollieren. Manchmal, das ist mein Erlebnis in der 4. Legislaturperiode, entsteht eher ein anderer Eindruck. Die Koalitionsfraktionen verstehen sich als Vollzieher des Regierungswillens. Ich glaube auch, dass Informations- und Initiativrecht der Abgeordneten darf nicht geschwächt werden, sondern muss gestärkt werden.
Und drittens, da habe ich jetzt bei den Koalitionsfraktionen nichts gehört, ist es wichtig, die Minderheitenrechte im Landtag nicht nur zu sichern sondern auszubauen. Es ist ein Teil des demokratischen Prinzips, dass Mehrheiten entscheiden. Diese Entscheidungen werden nur gut sein, wenn vor der Entscheidung die Suche nach der besten Lösung steht. Dazu gehört der politische Streit zwischen verschiedenen demokratischen Positionen. Der Streit ist aber kein Wert an sich, er wird nur gut und erfolgreich werden, wenn er sich einer Streitkultur bedient. Dazu gehört die Bereitschaft zum Zuhören, zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit anderen Positionen. Es ist eine alte Weisheit, wer im Besitz der Mehrheit ist, ist noch lange nicht im Besitz der Wahrheit.
Dazu gehört auch die Achtung vor den anderen hier im Parlament, die Toleranz für abweichende Meinungen im demokratischen Spektrum. Das heißt, Minderheitenrechte sind im Interesse der Wahrheitsfindung wichtig für die Mehrheit hier im Landtag.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es hat vorbereitende Gespräche zwischen den demokratischen Fraktionen gegeben und ich bin der Alterspräsidentin ausgesprochen dankbar, dass sie die Konstituierung auf den heutigen Tag festgesetzt hat. Sonst wäre die Zeit sehr, sehr knapp geworden und ernsthafte Diskussionen nicht mehr möglich. Diese Gespräche sind in einer sehr offenen und konstruktiven Atmosphäre abgelaufen und ich habe die Hoffnung, dass dies auch auf den parlamentarischen Stil in dieser 5. Legislaturperiode ausstrahlen wird.
Wir finden eine Reihe unserer GRÜNEN Vorhaben im Geschäftsordnungsentwurf der Koalition: die Kurzintervention als belebendes Element, die Verdichtung der Sitzungswochen bei Verkürzung der Sitzung auf zwei Tage, Redezeiten in der ersten Runde zu begrenzen, das sind belebende Punkte. Ich möchte noch einmal besonders hervorheben, dass es uns gelungen ist, die Verpflichtungserklärung für uns Abgeordnete in Text und Sinngehalt mit der sächsischen Verfassung in Übereinstimmung zu bringen und heute schon anzuwenden. Es verbleiben aber auch in unserer Fraktion eine Reihe von Differenzen, die sich in Änderungsanträgen niederschlagen.
Wenn ich vorhin von Transparenz und Debattenkultur gesprochen habe, dann frage ich sie natürlich, warum sind sie nicht dem Modell des Prioritätenblocks gefolgt? Warum soll es nicht möglich sein, hier im sächsischen Landtag wichtige Tagesordnungspunkte in einem ersten Block zusammenzufassen mit verkürzten Redezeiten und dort mit großer medialer Aufmerksamkeit die wirklich wichtigen Dinge eines Tages zu debattieren?
Ich frage sie weiterhin, warum beharren sie darauf, das die Öffentlichkeit aus Ausschusssitzungen ausgeschlossen wird? Der Landtag ist die Stätte der politischen Willensbildung, dazu gehört die Diskussion der Anträge. Wenn aber zunehmend mehr Anträge in den Ausschuss überwiesen werden, wenn nur noch eine Große Anfrage hier in einer Plenarwoche hier im Plenum behandelt werden soll, dann ist es umso wichtiger, Ausschusssitzungen nicht weiter hinter verschlossenen Türen stattfinden zu lassen. Das stärkt auch das Vertrauen der Bevölkerung in die parlamentarische Arbeit.
Wenn es um die Stärkung des Parlaments geht, dann ist natürlich auch das Fragerecht in Ausschüssen angesprochen. Es gibt in Artikel 51 der Sächsischen Verfassung dort eine klare Festlegung zum Fragerecht der Abgeordneten. Solche Fragen sind nach besten Wissen und Gewissen unverzüglich und vollständig zu beantworten, und zwar im Landtag und in seinen Ausschüssen. Die Versuche, das zu beschneiden, haben wir in der vergangenen Legislaturperiode erlebt. Dies ist schlichtweg verfassungswidrig, Es wäre wichtig gewesen. dies in der Geschäftsordnung klarzustellen.
Zur Ministerbefragung ist gesprochen worden. Ich glaube, die Minister hier im Feistaat Sachsen haben noch nicht erkannt, wie das in Bayern läuft. Dort wird es sehr wohl zur Darstellung der Ministerinnen und Minister genutzt. Wenn die Minister das schon nicht wollen, dann sollte sich doch zumindest der Ministerpräsident, der heute von uns gewählt wurde, dem Sächsischen Parlament in einem regelmäßigen Rhythmus stellen. Wer die angelsächsischen Länder kennt, weiß, es ist ein Höhepunkt des Parlamentarismus.
Ich habe vorhin von der Chancengleichheit der Opposition und insbesondere kleiner Fraktionen gesprochen. Da will ich einen Punkt nennen, das ist das Sitzverteilungsverfahren. Wir bleiben bei d’Hondt nach dem Willen der Koalitionsfraktionen und zumindest die FDP-Fraktion weiß es besser, dass es mit Sainte-Laguë/Schepers ein Verfahren gibt, das den Wählerwillen ohne Verzerrungen abbildet.
Herr Herbst hat vor 5 Jahren der SPD unter dem gleichen Gesichtspunkt vorgeworfen, Macht verdirbt den Charakter. Ich fand das damals ziemlich scharf. Heute muss ich sagen, Herr Herbst, ich befürchte, sie hatten recht.
Wir haben nicht die Erwartung, dass alle unsere Vorschläge berücksichtigt werden. Politik ist das Bohren dicker Bretter, das dauert erheblich länger. Aber zwei Vorschläge, die Öffentlichkeit von Ausschusssitzungen und das Sitzverteilungsverfahren, die wären für uns wichtig. Dann könnten wir zustimmen.
Ich habe vorhin von Toleranz im demokratischen Spektrum gesprochen. Ich glaube, wichtig für diesen Landtag ist es auch, auf Grundlage seiner Geschäftordnung keine Toleranz mit Nazis zu üben. Wir haben hier keine Geschäftsordnungstricks eingeführt, um Rechte der NPD-Fraktion zu beschneiden. Das wäre Wasser auf ihre Mühlen. Wir werden aber alle Möglichkeiten nutzen, hier in diesem Parlament wie auch draußen im Lande, um den Antidemokraten und Verfassungsfeinden entgegen zu treten. Was die NPD wirklich will, hat Herr Apfel im März auf dem NPD-Parteitag gesagt. Er bezeichnete dort, dieses Parlament als eine Schwatzbude, die Karikatur einer wirklichen Volksherrschaft und er betonte, sie nutzten das Parlament als eine wertvolle Schule und Ausbildungsstätte. Ein Parlament ist Mittel zum Zweck der NPD – nicht mehr und nicht weniger.
Meine Damen und Herren, diesem versuch, das Parlament als Mittel zur Abschaffung der Demokratie zu nutzen, den werden wir ihnen versalzen.
Ich freue mich mit den demokratischen Fraktionen auf eine gemeinsame Zusammenarbeit in den kommenden fünf Jahren.