Datum: 02. September 2013

PM 2013-218: Hochwasservorsorge ohne Denkverbote – Positionspapier vier ostdeutscher GRÜNEN-Fraktionsvorsitzender

Die GRÜNEN-Fraktionsvorsitzenden Axel Vogel (Brandenburg), Antje Hermenau (Sachsen), Dr. Claudia Dalbert (Sachsen-Anhalt) und Anja Siegesmund (Thüringen) treffen sich heute im Thüringer Landtag, um gemeinsam ein Positionspapier mit dem Titel ‚Für eine nachhaltige Hochwasservorsorge – Ursachen erkennen, Positionen beziehen, entschlossen Handeln‘ zu unterzeichnen. Dort fordern sie weitreichendere Maßnahmen und Investitionen in Richtung einer ganzheitlichen, naturnahen und ökologischen Hochwasservorsorge.
In dem Papier wird die bisherige Hochwasserschutzpolitik der Bundesländer als Risiko kritisiert und gefordert, die Hochwasservorsorge dem Klimawandel anzupassen. Die GRÜNEN-Fraktionsvorsitzenden setzen sich für mehr Raum für die Flüsse ein, mahnen aber auch davor, Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligung zu beschneiden.
Wer Flüssen mehr Raum geben will, muss zwangsläufig vor allem landwirtschaftlich genutzte Flächen in Anspruch nehmen. Die Fraktionsvorsitzenden bekennen sich zu Ausgleichszahlungen für Ertragsausfälle mit Grünlandbewirtschaftung. Wenn in Überschwemmungsgebieten Ackerbau betrieben wird, soll dies hingegen auf eigenes Risiko erfolgen.
Zudem fordern die Fraktionschefs die Etablierung eines umfassenden Informationsmanagements. » Beschluss Positionspapier Hochwasser Antje Hermenau, die Vorsitzende der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Sächsischen Landtag, erklärt dazu:
"Hochwasserschutz ist eine Generationenaufgabe. Investitionen werden für sehr lange Zeiträume getätigt und müssen den Anspruch haben, auch aus der Sicht kommender Generationen sinnvoll zu sein. Wir brauchen mehr Überflutungsflächen in der Breite. Technische Bauten allein verschieben die Flut nur auf die Unterlieger."
"Die ostdeutschen Landesregierungen sind alle aufgerufen, ihre Anstrengungen beim Hochwasserschutz zu verstärken. Sachsens Regierung hat in den letzten Jahren eine Menge Geld in den Hochwasserschutz investiert, aber weniger als ein Prozent in die Schaffung von Überschwemmungsflächen. Nur ganze zwei Maßnahmen von insgesamt 49 wurden bis zum Juni-Hochwasser 2013 auf nur 1,5 Prozent der ursprünglich geplanten Fläche realisiert. Die Prioritätensetzung muss geändert werden. Als verantwortungsvolle Opposition haben wir in Zusammenarbeit mit dem WWF Auen-Institut eine Studie mit 17 konkreten Vorschlägen zur Schaffung von mehr Überflutungsflächen in Sachsen vorgelegt."
"Finanzielle Zuschüsse für Umsiedlungen sollten insbesondere dann geprüft werden, wenn Flächengewinne für Überschwemmungsflächen zu erzielen sind. Eine vollständige Entschädigung wie nach der Flut 2002 in Röderau Süd ist finanziell kaum zu leisten. Auch die Kommunen sollten in der Frage von Umsiedlungen Verantwortung übernehmen. Sie sollten Umsiedlungswilligen vor allem dann neue Baugrundstücke anbieten, wenn diese zuvor Grundstücke von der Kommune gekauft haben, die erst nach 1990 als Baugebiete neu ausgewiesen wurden."
Die wichtigsten Inhalte des Papiers in Kürze:
I. Klimaschutz ist Hochwasserschutz
Hochwasserschutz beginnt mit einer ambitionierten, globalen und lokalen Klimaschutzpolitik. Ohne einen effektiven Klimaschutz werden wir die Entwicklung hin zu häufigeren und heftigeren Hochwasserereignissen mit all ihren negativen Folgen nicht bremsen können.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern endlich verbindliche klimapolitische Zielsetzungen von Bund und Ländern und deren konsequente Umsetzung in allen politischen Bereichen.
II. Hochwasservorsorge dem Klimawandel anpassen
Allein drei Hochwasserereignisse in den letzten elf Jahren, welche alle als „mehrhundertjährliche“ Hochwasser eingestuft wurden, haben das Bemessungskriterium eines hundertjährlichen Hochwassers relativiert.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern, die Hochwasserrisikomanagementpläne und Hochwasserschutzkonzeptionen für die jeweiligen Gewässer auf Grundlage einer Auswertung des letzten extremen Hochwasserereignisses sowie mit Bezug auf die aktuellsten Klimaprognosen länderübergreifend abzustimmen, zu erarbeiten beziehungsweise überarbeiten.
III. Kurzsichtige Hochwasserschutzpolitik wird zum Risiko
Die Grenzen des technischen Hochwasserschutzes wurden auch in diesem Jahr erschreckend sichtbar. Technischer Hochwasserschutz kann unsere Siedlungen, Infrastruktur und Kulturgüter immer weniger zu vertretbaren Kosten schützen. Das Hochrüsten der Deiche kann sogar zum Teil des Problems werden beziehungsweise zu dessen Verlagerung flussabwärts führen.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern, das gesamte Gewässersystem in den Blick zunehmen. Wir müssen den Wasserabfluss verlangsamen und mehr Überflutungsräume schaffen. Die dazu nötigen Ansätze sind nicht neu. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Umweltverbände und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben auch jenseits tagesaktueller Flutereignisse immer wieder darauf hingewiesen.
IV. Mehr Raum für Flüsse
Ökologischer Hochwasserschutz ist nur mit mehr Raum für unsere Flüsse möglich. Dies ist die notwendige Bedingung, um künftig die finanziellen Auswirkungen von Fluten und das damit verbundene persönliche Leid zu reduzieren.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern, die großen ehemaligen Auenflächen wieder mit dem Fluss zu verbinden und damit einen wirtschaftlichen und ökologischen Hochwasserschutz zu erreichen. Im Vorfeld von Deichsanierungen muss eine Rückverlegung geprüft und abgewogen werden.
V. Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligung nicht beschneiden
Öffentliche Wahrnehmung und politische Diskussion zu den Ursachen der erneut hohen Flutschäden in diesem Jahr verlaufen entlang der üblichen Konfliktlinien. Wahlweise werden Einspruch erhebende Bürgerinnen und Bürger, Bürgerinitiativen, Natur- und Umweltschutzverbände, die landwirtschaftlichen Nutzerinnen und Nutzer, Flächeneigentümerinnen und Flächeneigentümer oder die Länderzuständigkeiten für Verzögerungen von Hochwasserschutzmaßnahmen verantwortlich gemacht.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern die Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger beim lokalen Hochwasserschutz. Auf bewährte Instrumente, wie Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligung oder Umweltverträglichkeitsprüfungen, zu verzichten, lehnen wir ab. Eine umfassende und nachhaltige Hochwasservorsorge erfährt nur Akzeptanz über Beteiligung, Information und Integration aller. Für neue Planungs- und Umsetzungsprojekte ist ein intensiver Beteiligungsansatz zwingend vorzuschreiben.
VI. Nein zur Vollkasko – Ja zur Entschädigung für Grünlandflächen bei Überschwemmungen
Wer Flüssen mehr Raum geben will, muss zwangsläufig vor allem landwirtschaftlich genutzte Flächen berücksichtigen.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unterstützen Ausgleichszahlungen für Ertragsausfälle im Überschwemmungszeitraum für Flächen mit Grünlandbewirtschaftung. Wenn landwirtschaftliche Betriebe in Überschwemmungsgebieten Ackerbau betreiben, erfolgt dies auf eigenes Risiko. Eine Entschädigung kann dann nur auf Basis der Leistungen für Grünlandflächen erfolgen.
VII. Etablierung eines umfassenden Informationsmanagements
Das Informations- und Krisenmanagement hat sich spürbar verbessert. Dies ist ein Nebeneffekt der Häufung der Hochwasserkatastrophen. Gleichwohl gibt es Verbesserungsbedarf.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern die zeitnahe Einrichtung eines finanziell abgesicherten, leistungsfähigen, länderübergreifenden Hochwasserpegelnetzes. Die Hochwassermess- und -warnsysteme sind so auszubauen, dass sowohl bei lokalen Starkregenfällen als auch bei schnell ansteigenden Wasserständen nach Möglichkeit eine rechtzeitige Warnung der Betroffenen und das Ergreifen von Schutz- und Sicherungsmaßnahmen möglich sind. Die Hochwasserschutzkooperationen und das Flussgebietsmanagement sind mit den Nachbarstaaten Tschechien und Polen verbindlich zu regeln