Datum: 19. April 2017

Unland-Interview: Der sächsische Finanzminister hat eine verzerrte Realitätswahrnehmung – Jahrelanges Kaputtsparen hat nichts mit solider Finanzpolitik zu tun

(2017-101) Franziska Schubert, finanzpolitische Sprecherin und stellv. Fraktionsvorsitzende der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Sächsischen Landtag, reagiert ungehalten auf die Äußerungen von Finanzminister Prof. Georg Unland (CDU) im heute veröffentlichten Interview mit der Freien Presse.

"Ich wundere mich, dass ein Finanzminister, der eigentlich für solide Finanzpolitik stehen will, solche Vorschläge macht. Der sächsische Finanzminister hat eine verzerrte Realitätswahrnehmung. Sollte sich seine Linie durchsetzen, dann steht die Funktionsfähigkeit des Staates auf dem Spiel. Dass er mit keiner Silbe auf die finanzielle Situation in den Städten, Gemeinden und Landkreisen eingeht, wundert mich nicht. Denn die ist Sachsens Achillesferse – aber Totschweigen und Aussitzen sind gängige Instrumente sächsischer Finanzpolitik."

"Wohin hat uns die hochgelobte konservative Finanzpolitik in Sachsen denn gebracht? Jahrelanges Kaputtsparen hat nichts mit solider Finanzpolitik zu tun! In Sachsen fehlt es an Personal für Schulen, bei der Polizei, im öffentlichen Dienst – all das sind Bereiche, die für die Bürgerinnen und Bürger Leistungen erbringen sollen. Für mich ist deshalb unlauter, wenn der Finanzminister darüber redet, dass er den Bürgern etwas zurückgeben will. Doch Schulschließungen, Stellenabbau, Zurückfahren sozialer Projekte und Kürzungen im Jugendbereich – all das hat Sachsens Chancen für eine gute Zukunft nachhaltig verschlechtert. Die jahrelange Linie des Finanzministers und der gesamten Sächsischen Staatsregierung hat uns in einen beispiellosen Personalnotstand bei den Lehrkräften und in der Polizei geführt. Es wird Jahre brauchen, bis nach dem kurzsichtigen Personalabbau für diese Bereichen wieder genug Personal ausgebildet worden ist. Und der Personalnotstand in Sachsen geht weit über die Bereiche Schule und Polizei hinaus! Sachsens öffentlicher Dienst ist so unattraktiv, dass man selbst, wenn man neue Stellen schafft, noch lange keine Menschen hat, die diese besetzen wollen."

"Besonders interessant finde ich Unlands Aussage >>Besser, man hat mehr in der Kasse als zu wenig<<. Sachsens Finanzminister hortet seit Jahren Geld – und er tut dies in einer Art und Weise, dass es immer schwieriger wird, die Finanzströme nachzuvollziehen. Schon mehrfach habe ich die Struktur des sächsischen Haushalts kritisiert. Und hier sehe ich auch einen deutlichen Widerspruch: nach außen hin wird das Thema Sparen hochgehalten, aber nach innen ist Geld da und zwar für Themen, die man mehr als kritisch hinterfragen muss. Ich denke nur an die wahnwitzige Expansionsstrategie des Traditionsunternehmens Meissen Porzellan, in dem der Freistaat alleiniger Eigentümer ist – die Zuschüsse aus dem Staatssäckel in Millionenhöhe waren Steuergelder. Solide war das nicht, ganz und gar nicht.“

"Schuldenabbau heißt in Sachsen derzeit Zweckentfremdung! Denn zur Zeit tilgt Prof. Unland Schulden aus einem Kapitel, das im Haushalt für die Bundeszuweisungen aus dem Asylpaket eingestellt ist. Der Finanzminister hat dafür ein Sondervermögen eingerichtet. Und zwar mit einem Handstreich, wie er das schon mit dem Sondervermögen aus dem Kommunalinvestitionspaket des Bundes getan hat. Es ist nicht transparent, was er macht. Daher ist die Idee, Sondertilgungen zu machen, verständlich. Aber das Geld brauchen wir für andere Bereiche, insbesondere im Bereich Gesellschaft. Ich sehe auch nicht die zwingende Notwendigkeit, das jetzt in dieser Höhe zu tun, wenn es überall im Freistaat brennt. Gebt es den Menschen, den Vereinen, den Kommunen – es soll vor Ort arbeiten; vor Ort Wertschöpfung anregen, die nachhaltig eigene Steuereinnahmen bringt – das ist nachhaltiger und sinnvoller in meinen Augen."

"Ganz grundsätzlich widerspreche ich Prof. Unland darin, dass uns Investitionen in Beton weiterbringen werden. Wir brauchen kluge Köpfe, junge, engagierte Menschen, neue Wege und innovative Projekte im Land, um in den modernen Zeiten gestalten zu können – das ist alles im nicht-investiven Bereich. Aber das sind die Bereiche, wo tatsächlich Zukunft gemacht wird."
"Die Investitionsträume des Finanzministers sind unlautere Luftschlösser und Wahnsinn – allein die Folgekosten in Form von Instandhaltungskosten würden Sachsens Haushalt auf Jahrzehnte belasten. Neue Tunnel, neue Autobahnen – und dann bringt der Finanzminister auch noch die seit Jahren rote Zahlen schreibenden Flughäfen ins Spiel. Ich kann da nur den Kopf schütteln über so viel Ignoranz und Fehleinschätzung. Der Rechnungshof hat längst angemahnt, dass Sachsen mehr Geld für die Instandhaltung von Straßen aufbringen sollte anstatt neu zu bauen. Auch in der Sachverständigenanhörung zum Doppelhaushalt 2017/218 wurde klar gesagt, dass Sachsen über seine Verhältnisse lebt. Wir leisten uns exorbitante Investitionsquoten – all das muss aber auch erhalten werden."
"Von den Kommunen wird verlangt, dass diese über die Form der doppischen Buchhaltung Abschreibungen bilden, die eben deutlich machen, was es braucht, um Investitionen langfristig halten zu können – und der Freistaat macht das nicht. Das ist alles andere als solide. Das ist fahrlässig."

"Wir sollten bei allen Finanzdiskussionen nie vergessen, dass die Hälfte des Gelds, das Sachsen ausgibt, nicht in Sachsen eingenommen wird. Seit Jahrzehnten investiert Sachsen vorrangig mit Geld, was uns die Geberländer Jahr für Jahr über den Länderfinanzausgleich zukommen lassen. Die sprudelnden Steuereinnahmen sprudeln vor allem woanders – und wir kriegen etwas ab davon, weil wir ein armes Bundesland sind. Die geäußerten Investitionsträume des Finanzministers sind nicht nur äußerst unoriginell; sie zeigen auch, dass sie an Sachsens wirklichen Problemen völlig vorbeigehen."