Datum: 15. Mai 2018

Anmeldezahlen für weiterführende Schulen: Oberschulen dürfen nicht die Verliererinnen des sächsischen Bildungssystems werden

(2018-123) Der Trend zum Gymnasium bleibt in Sachsen ungebrochen. Immer mehr Eltern entscheiden sich, ihr Kind an einem Gymnasium anzumelden. Und das auch dann, wenn die Kinder eine Bildungsempfehlung für die Oberschule bekommen haben. Das geht aus der Antwort von Kultusminister Christian Piwarz (CDU) auf eine Kleine Anfrage der Landtagsabgeordneten Petra Zais (GRÜNE) hervor. Danach unterscheiden sich die Anteile der Anmeldungen für die Oberschule und das Gymnasium innerhalb Sachsens enorm, gleiches gilt für die Bindungswirkung der Bildungsempfehlung.

Mit Stand vom 7. März 2018 wurden für das Schuljahr 2018/19 44,1 Prozent der Viertklässler (12.397 Schülerinnen und Schüler) an einem Gymnasium und 55,9 Prozent (15.737) an einer Oberschule angemeldet. Das ist erneut ein deutlicher Anstieg gegenüber dem Vorjahr. Für das Schuljahr 2016/17 lag das Verhältnis bei den Anmeldungen noch bei 39,6 Prozent (10.492) für die Gymnasien zu 60,4 Prozent (15.980) für die Oberschulen, für das Schuljahr 2017/18 bei 42,2 Prozent (11.609) zu 57,8 Prozent (15.897).

Die Unterschiede zwischen Stadt und Land sind erheblich. So wurden in der Stadt Leipzig 58,8 Prozent der Schülerinnen und Schüler an einem Gymnasium angemeldet, in der Landeshauptstadt Dresden waren es 56,5 Prozent. Dagegen lagen die Anmeldezahlen für die Gymnasien in allen Landkreisen unter dem sächsischen Durchschnitt (z.B. Erzgebirgskreis 32,6 Prozent, Landkreis Görlitz 35,6 Prozent und Mittelsachsen 37,4 Prozent).

„Die Motive für die Elternentscheidung sind vielfältig. Für mich liegt jedoch auf der Hand, dass das Schulangebot vor Ort maßgeblichen Einfluss hat. Lange Wege sind kein gutes Argument bei der Wahl der weiterführenden Schule, gerade, wenn es um zehnjährige Kinder geht. Das massiv ausgedünnte Schulnetz im ländlichen Raum beschneidet somit das Wahlrecht der Eltern“, erklärt Petra Zais, bildungspolitische Sprecherin der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Sächsischen Landtag.

Nicht alle Schülerinnen und Schüler gehen den Weg, den die Bildungsempfehlung vorschlägt. Dazu tragen auch die geänderten Zugangsvoraussetzungen für die Gymnasien bei. Jetzt sind nicht länger allein die Noten ausschlaggebend für den weiteren Bildungsweg, vielmehr obliegt die Entscheidung darüber den Eltern. Im Schnitt hat mehr als jede/r zehnte Schülerin bzw. Schüler (11,8 Prozent), die bzw. der an einem Gymnasium angemeldet wurde, eine Bildungsempfehlung für die Oberschule. Auch dieser Wert unterscheidet sich regional deutlich.

So haben im Landkreis Bautzen 12,1 Prozent der am Gymnasium angemeldeten Schülerinnen und Schüler eine Bildungsempfehlung für die Oberschule, im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge sind es hingegen nur 6,5 Prozent. An einigen Gymnasien hat fast jeder fünfte angemeldete Schüler eine Bildungsempfehlung für die Oberschule (z.B. Immanuel-Kant-Gymnasium Wilthen/Landkreis Bautzen 18,6 Prozent, Martin-Luther-Gymnasium Hartha/Landkreis Mittelsachsen 16,4 Prozent, Gymnasium Wilsdruff/Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge 16,4 Prozent). Auffällig hoch sind diese Werte für viele Gymnasien der Stadt Leipzig (z.B. Johannes-Kepler-Schule – Gymnasium der Stadt Leipzig 19,5 Prozent, Anton-Philipp-Reclam-Schule 19,1 Prozent, Goethe-Gymnasium 17,2 Prozent).

„Das Gymnasium ist aus Sicht vieler Eltern nach wie vor eine attraktive Schulform. Es ermöglicht höhere Schulabschlüsse und damit bessere Lebenschancen. Zu vermuten ist, dass auch die häufig bessere Ausstattung bei der Anwahl eine Rolle spielt – trotz aller Probleme, die natürlich auch am Gymnasium ‚ankommen‘, liegt beispielsweise der Unterrichtsausfall in der Regel unter dem sächsischen Durchschnitt und niedriger als der an Oberschulen“, erläutert die Abgeordnete.

„Auch wenn die Bildungsempfehlung nicht mehr verbindlich ist: Der Übergang von der Grundschule auf die weiterführende Schule bleibt eine Zäsur. Der Druck ist bereits in der 3. Klasse deutlich zu spüren. Trotz der Stärkung des Elternwahlrechts, bleibt die Bildungsempfehlung in der Wahrnehmung und oft auch faktisch weit mehr als eine Orientierung.“
„Das sächsische Schulsystem ist selektiv. Und nach den zuletzt publik gewordenen Plänen der CDU-Fraktion zur Reform der Oberschule soll es das wohl auch bleiben. Statt die Schülerschaft auszusieben, werbe ich für das längere gemeinsame Lernen, das auch die Mehrzahl der Eltern will. Um allen Schülerinnen und Schülern gerecht zu werden, in ihren Stärken und in ihren Schwächen, müssen die Schulen besser ausgestattet werden“, fordert Zais.

„Dabei darf – und sollte! – Ungleiches auch ungleich behandelt werden. Eine Oberschule in einem Stadtteil mit hoher Arbeitslosigkeit oder einem hohem Migrantenanteil braucht mehr, teils auch andere Ressourcen als ein gut situiertes Gymnasium in Dresden oder Leipzig. Eine gerechte Ressourcenverteilung muss soziale Lagen, messbar etwa anhand eines Sozialindex‘, berücksichtigen. Auch das ist eine Frage von Bildungsgerechtigkeit.“

Weitere Informationen:
» Antwort von Kultusminister Christian Piwarz (CDU) auf eine Kleine Anfrage der Landtagsabgeordneten Petra Zais (GRÜNE) ‚Bildungsempfehlungen für das Schuljahr 2018/19 (Aktualisierung Drs 6/8636)‘ (Drs 6/12996)
In der Antwort des Ministers sind alle sächsischen Grundschulen (Verhältnis Bildungsempfehlung Gymnasium-Oberschule nach Geschlecht mit Stand vom 28.03.2018) sowie die Anmeldezahlen für die 5. Klassen der weiterführenden Schulen (Stand 07.03.2018) aufgelistet.

Hintergrund:
» Vergleichszahlen für das Schuljahr 2017/18: Kleine Anfrage von Petra Zais „Bildungsempfehlungen und Schulwechsel im Freistaat Sachsen, Schuljahr 2016/2017 bzw. 2017/18“ (Drs 6/8636)
» Vergleichszahlen für das Schuljahr 2016/17: Kleine Anfrage von Petra Zais „Bildungsempfehlungen und Schulwechsel im Freistaat Sachsen, Schuljahr 2015/16 bzw. 2016/17“ (Drs 6/4412)