Petra Zais: Koalition ist ein Mindestmaß an kritischer Reflexion ihrer bisherigen Handlung im Hinblick auf das Thema Asyl und Flucht schuldig geblieben

Rede der Abgeordneten Petra Zais zur Aktuellen Debatte "Herausforderungen bei der Unterbringung von Asylsuchenden & Flüchtlingen gemeinsam meistern"
16. Sitzung des Sächsischen Landtags, 8. Juli 2015, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident!
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
lassen Sie mich beginnen mit der Formulierung von Kollegen Pallas und Hartmann, dass sich dieser Landtag erneut mit dem Thema Asyl befassen muss, will und auch sollte. Ich möchte hierzu bemerken, dass es leider nicht so ist, dass wir das aufgrund eines Antrags, zum Beispiel der Regierungskoalition, zum Thema Asyl machen, dass wir das nicht aufgrund eines Antrags zum Thema "Konzept für die Erstaufnahmeeinrichtungen im Freistaat Sachsen" machen, dass wir das aufgrund eines Antrags der Regierungskoalition machen, wie man Rassismus bekämpfen kann, dass wir das aufgrund eines Antrags der Regierungskoalition machen, wie wir Asylsuchende und Flüchtlinge im Freistaat schützen oder wie wir Bürgerinnen und Bürger mitnehmen wollen. Jede Debatte, die wir hier zu diesem Thema bisher geführt haben, ging von den Oppositionsfraktionen – von LINKEN und GRÜNEN – aus. Und da, meine Damen und Herren von der CDU und der SPD, haben Sie sich bisher nicht mit Ruhm bekleckert.
Ich möchte an dieser Stelle nur an die Debatte erinnern, die wir im Januar zu unserem Antrag zur Sicherheit von Asylsuchenden und Flüchtlingen, die Zustände in Hoyerswerda nicht erneut zuzulassen, geführt haben. Sie, Herr Kollege Hartmann, haben sich damals hier hingestellt und gesagt, dass wir heute im Freistaat Sachsen eine völlig andere Situation als Anfang der 1990er Jahre haben. Die damaligen 400.000 Asylsuchenden in Deutschland seien mit der heutigen Situation überhaupt nicht zu vergleichen. Sie haben jegliche Hinweise auf steigende Asylzahlen, die wir von der Opposition, insbesondere von den GRÜNEN, gebracht haben, mit einem Federstrich weggewischt. Das ist an Ignoranz nicht zu übertreffen. Es wundert mich schon, mit welcher Chuzpe Sie sich hier hinstellen und sagen: Ja, das ist eine Herausforderung, und der müssen wir uns stellen.
Ich habe mich am Anfang gefragt, wozu diese Debatte dienen könnte. Soll das ein Befreiungsschlag sein? Soll das ein Ablenkungsmanöver sein? Soll der Ministerpräsident bei seiner Regierungserklärung – morgen zum Beispiel – weniger zu diesem Thema etwas sagen?
Ich bin nach den ersten Wortmeldungen von CDU und SPD wirklich der Überzeugung, dass es wiederum nur eine fadenscheinige Debatte ist. Es wird nur suggeriert, wir tun etwas, wir haben eine Absicht, ohne dass dahinter wirklich Handlungswille steht.
Was könnte diese Debatte aus der Sicht der GRÜNEN bewirken? Sie könnte – das möchte ich positiv betrachten – endlich einen Schlusspunkt setzen hinter Wochen, Monate und Jahre, die beim Thema Asyl bis heute geprägt sind von Ignoranz, Versagen, Kleinrederei, eklatanten Fehleinschätzungen, Verdrängung, Handlungsunfähigkeit und einem – bis auf wenige Ausnahmen – kaum noch steigerungsfähigen Maß an Fahrlässigkeit der politischen Klasse innerhalb der Regierungskoalition.
Sie sind ein Mindestmaß an kritischer Reflexion Ihrer bisherigen Handlung im Hinblick auf das Thema Asyl und Flucht schuldig geblieben und wie Sie die tatsächlichen Herausforderungen in Sachsen bewerkstelligen möchten.
Frau Kollegin Nagel ist bereits darauf eingegangen, dass das Problem steigender Zahlen von Asylsuchenden nicht erst seit heute – seit dem Jahr 2015 – existiert.
Sie hat ebenfalls die Probleme der Erstaufnahmeeinrichtung in Chemnitz angesprochen. Ich komme aus Chemnitz. Bis heute müssen wir feststellen, dass sich an der Situation, der mangelnden Kooperationsbereitschaft und Handlungsfähigkeit der Regierung nichts geändert hat. Wir finden eine schwierige Situation vor. Die gesundheitlichen Erstuntersuchungen – die Wut geht mit mir durch – sind nicht mehr realisierbar. Der Arbeitsschutz ist gefährdet. Im Juni hat die Chemnitzer Oberbürgermeisterin erneut ein Schreiben an den Innenminister gesandt. Bis heute erfolgte keine Reaktion.
Nun stellen Sie sich heute hier hin und behaupten, dass der Minister ein Konzept vorgelegt hätte und wir die Herausforderungen bewältigen könnten. Welches Konzept meinen Sie genau? Welches neue Konzept meinen Sie? Wo ist das alte Konzept? Bisher liegt uns keines vor. Wir haben in diesem Landtag noch nie über ein Papier mit der Überschrift "Konzept für die Unterbringung in der Erstaufnahme" geredet.
Wir haben uns beständig darüber ausgetauscht, in welchem Umfang sich das Versagen des Innenministers auch auf die Situation in den Kommunen und in den Landkreisen niederschlägt. Ich möchte an Böhlen und das dort Geschehene erinnern.
Sehr geehrte Damen und Herren von der Regierungskoalition. Die Liste der Fehleinschätzungen lässt sich, das werden wir in der zweiten Runde machen, fortsetzen.
Kollege Hartmann, leider sind Sie das, was ich von Ihrer zweiten Äußerung erwartet habe, schuldig geblieben, nämlich etwas Konstruktives in Bezug darauf: Wie wollen wir zukünftig das, was Sie im Titel dieser Aktuellen Debatte benannt haben, gemeinsam umsetzen? Ich betone: gemeinsam; denn es ist auch der Wille der GRÜNEN, und ich gehe davon, dass es auch der Wille der LINKEN ist.
Wir haben hier oft zum Ausdruck gebracht, dass wir Bürgerinnen und Bürger einbinden wollen und Hass und Rassismus ablehnen. Wir haben das über eigene Anträge zum Ausdruck gebracht, und, lieber Henning Homann: Es reicht eben nicht, sich hier hinzustellen und über die Metaebene zu sprechen. Ich erwarte, dass auch die SPD sich zu den konkreten Dingen hier im Freistaat Sachsen äußert, und ich erinnere an die Wortmeldung der SPD zu unserem Antrag im Januar, als wir gesagt haben: Entschlossen und effektiv gegen Rassismus und Diskriminierung vorgehen. Dazu kann man im Protokoll nachlesen, was Henning Homann gesagt hat: Dass das nicht nötig sei, dass die Regierungskoalition schon wesentlich weiter sei, als es dieser Antrag der GRÜNEN vom Inhalt her atmet, und man ab 2016 in Sachsen einen Monitor zum Thema Rassismus machen werde. Das war ein wenig dünn, und das, was heute seitens der SPD gekommen ist, übrigens auch.
Ich erwarte, dass im Ergebnis der heutigen Aktuellen Debatte endlich ernst gemacht und mit dem Konzept zur Erstaufnahme gehandelt wird. Ein guter erster Schritt wäre – das möchte ich auch ein wenig als Erwartung äußern; dabei würden wir auch gern mitmachen – zum Beispiel die verbindliche Festlegung von Unterbringungsstandards im Sächsischen Flüchtlingsaufnahmegesetz.
Ich danke.

Kollege Fischer, ich fand es schon ein wenig schwierig, wie Sie über diesen Bürgerdialog, über Ihren großen Ethos als Landtagsabgeordneter gesprochen haben und wie Sie dabei mit Beifall aus den Reihen Ihrer Fraktion bedacht wurden.
Allerdings frage ich mich wirklich, inwieweit Ehrlichkeit und Transparenz eine Rolle spielen, wenn Mitglieder Ihrer Fraktion – Sie wissen genau, wer es ist und es ist nicht nur Herr Krauß aus dem Erzgebirge – Ressentiments gegenüber Flüchtlingen schüren und damit Öl ins Feuer gießen. Es sind nicht nur die bekannt gewordenen Aussagen, sondern es haben sich Leute, die an Veranstaltungen im Erzgebirge teilgenommen haben, an mich gewandt, weil sie es unerträglich fanden, dass dort Äußerungen wie – ich zitiere – gemacht wurden: "Ja, die Gesundheitskarte ist etwas ganz Schlimmes, dann kommen die ganzen Asylsuchenden und Flüchtlinge aus aller Welt nach Sachsen, um sich ihre Hüften machen zu lassen." Oder: "Es ist richtig, die Migrationsberatung nicht zu finanzieren, weil sie die Leute auffordern würden, ihre Ausweispapiere wegzuschmeißen."
Ich finde nicht, dass das etwas mit dem Ethos als Landtagsabgeordneter zu tun hat.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

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