Volkmar Zschocke: Sterben betrifft jeden – aber das verdrängen wir gern

Rede des Abgeordneten Volkmar Zschocke zum Antrag der Fraktionen CDU/SPD „Sterbenden, Angehörigen und Trauernden beistehen. – Hospizarbeit stärken“ (Drs. 6/4468)
31. Sitzung des Sächsischen Landtags, 17. März 2016, TOP 7

– Es gilt das gesprochene Wort –

Herr Präsident, meine Damen und Herren,
Sterben betrifft jeden – aber das verdrängen wir gern. Eine gute Palliativmedizin und ausreichend Hospizplätze sind dringend notwendig, um ein selbstbestimmtes Sterben in Würde zu garantieren. Auch in Sachsen sterben viele Menschen nach wie vor allein, in  fremder Umgebung und unter Schmerzen.
Die im Oktober letzten Jahres veröffentlichte Bertelsmann Studie "Faktencheck Palliativversorgung" belegt, in Deutschland sterben die meisten Menschen im Krankenhaus. Krebspatienten werden deutlich besser schmerzlindernd versorgt im Vergleich zu anderen Krankheitsbildern. Die Bertelsmann Stiftung warnt und weißt darauf hin, dass einige Personengruppen kaum versorgt werden, zum Beispiel Wohnungslose, behinderte Menschen und MigrantInnen. Das Fazit der Studie ist alarmierend: 600.000 Menschen in Deutschland bekommen trotz Bedarf keine Palliativversorgung.
Eine gute Palliativmedizin und ausreichend Hospizplätze sind dringend notwendig, um ein selbstbestimmtes Sterben in Würde zu ermöglichen. Bereits in der aktuellen Debatte zum Thema, im November haben wir darauf hingewiesen, hier gibt es nichts zu beschönigen. Die Antwort auf eine Kleine Anfrage unserer Fraktion zeigt, die Suizidrate in Sachsen ist die zweithöchste im Bundesvergleich. Es fällt auf, dass die Suizidfälle im Alter deutlich zunehmen und mit Renteneintritt nochmals ansteigen. Das bedeutet wir brauchen mehr Aufmerksamkeit für alte Menschen, die nicht mehr leben wollen. Suizidprävention darf nicht bei Krankheit und Alter enden. Die Suizidfälle und der Wunsch nach aktiver Sterbehilfe hängen auch davon ab, ob wir diese Aufgabe angehen oder daran scheitern.
Sachsen ist hier besonders in der Pflicht. Wir sind das älteste Bundesland. Rund ein Viertel unserer Einwohner sind über 65 Jahre alt. Deshalb habe ich kein Verständnis dafür, dass die Staatsregierung immer auf die Verantwortung der Bundesebene verweist. Auch dieser Antrag der Koalition stellt wieder darauf ab, die Krankenkassen und die Umsetzung des Bundesgesetzes anzumahnen. Auch der Landtag, die Staatsregierung, das Sozialministerium müssen ihren Beitrag leisten, dass der letzte Lebensabschnitt würdevoll, möglichst schmerzfrei gelebt werden kann.
Unsere Fraktion beschäftigt sich schon seit vielen Jahren intensiv mit dem Thema. Wir haben im letzten Jahr einen Antrag umfassenden dazu in den Landtag eingebracht. Der Antrag wurde im November im Sozialausschuss angehört. Es zeigte sich, das Interesse am Thema ist groß. Etwa 40 Zuhörer waren gekommen.
Es gab eine klare Botschaft: Hospiz- und Palliativversorgung ist mehr als die Bereitstellung von Haushaltsmitteln. Ja, Sachsen steht im Ländervergleich gut da, was die Finanzierung der ambulanten und stationären Hospizversorgung anbelangt. Dennoch: es gibt Versorgungslücken.  v.a. im ländlichen Raum. Das bedeutet, Sachsen muss an den Versorgungsdefiziten arbeiten, die in der Hospizstudie von 2013 und in der Anhörung angesprochen worden!
Und es gab eine zweite klare Botschaft: Die Sachverständigen unterstützten unsere Forderung nach einer Fortschreibung der Konzeption zur Hospiz- und Palliativarbeit in Sachsen. Mit Blick auf Ihren Antrag, Frage ich Sie – KollegInnen der CDU und SPD Fraktion – ernsthaft, warum wollen Sie die fachliche Arbeit an Externe geben und die Hospizstudie von 2013 fortschreiben? Die wurde im Auftrag des Sozialministeriums vom Gesundheitsökonomischen Zentrum der Technischen Universität Dresden (GÖZ) erarbeitet. Die Studie ist nicht schlecht, aber Sie ist eine Bestandsaufnahme.
Was fehlt ist ein klares Bekenntnis des Sozialministeriums woran in Sachsen gearbeitet werden soll. Deshalb fordert unsere Fraktion seit Jahren die Fortschreibung der Hospiz- und Palliativkonzeption des Freistaates, die zuletzt 2007 erfolgte. Die Konzeption wurde damals von Sozialministerin Orosz, mit vielen Fachleuten in verschiedenen Arbeitsgruppen erarbeitet. Sozialministerin Klepsch, ich sehe es als Ihre Aufgabe an, Weiterentwicklungsbedarfe in Sachsen klar zu benennen, sich Aufgaben zu setzen und diese mit Unterstützung von Fachleuten in ihrem Haus zu bearbeiten. Das sollten nicht Dritte für Sie erledigen müssen!
Auch in anderen Bereichen ist das Sozialministerium verschlafen oder schlicht unwillig, eigenes Engagement zu zeigen. Dr. med. Sylvia Schneider, Vorstandsvorsitzende vom Landesverband für Hospizarbeit und Palliativmedizin Sachsen e.V., fordert die Staatsregierung und das Sozialministerium auf, endlich die Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland zu unterzeichnen. Seit 2013 fordert auch unsere Fraktion die Unterzeichnung der Hospiz-Charta. Auch das war ein viel diskutiertes Thema in der Anhörung. Denn Sachsen ist das einzige Bundesland, das den Charta-Prozess nicht offiziell unterstützt.  Meine Euphorie hält sich in Grenzen, wenn die Charta nun „zeitnah“ unterzeichnet werden soll. Der Charta-Prozess ist bereits in der dritten und letzten Phase. Das Sozialministerium hat die Chance über Jahre hinweg nicht genutzt, an der Verbesserung der Situation schwerstkranker und sterbender Menschen fachlich mitzuarbeiten.
Kurzum: Unser Antrag verfolgt ähnliche Ziele, ist in der Sache aber konkreter und politischer als der der Koalition. Unsere Forderungen wurden von den Sachverständigen in vielen Punkten geteilt. Sie forderten im November vom Landtag ein politisches Signal, durch die Gründung Runder Tische in den Landkreisen und kreisfreien Städte mehr Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit zum Thema würdevolles Sterben, ein aktives Werben für neue Ehrenamtliche.
Dennoch haben CDU und SPD den Antrag vor zwei Wochen im Sozialausschuss abgelehnt. Stattdessen wollen Sie heute einen Berichts-, Forschungs- und Prüfauftrag auf den Weg bringen, der eben in vielen Punkten kein klares politisches Signal ist. Ob mit diesem Antrag die Erwartungen erfüllt werden, bleibt abzuwarten. Wir stimmen dem Antrag zu und werden kritisch prüfen, was dabei rauskommt.
Vielen Dank!
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