Annekathrin Giegengack: Staatsregierung versäumt, die Weichen im Bildungssystem in Sachsen neu zu stellen

Rede der Abgeordneten Annekathrin Gioegengack, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, in der Debatte um den Doppelhaushalt 2013/2014, 66. Sitzung des Sächsischen Landtages, 11. Dezember 2012, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

als wir hier im Dezember 2010 den letzten Doppelhaushalt debattierten, hat wohl keiner von uns geahnt, was in den kommenden zwei Jahren alles passieren würde.
In seiner Haushaltsrede sprach Minister Wöller damals von „Bildung als Währung der Zukunft“ und davon, dass man sich ganz auf die bildungspolitischen Schwerpunkte der kommenden Jahre konzentrieren wolle. Die Bildung habe in Sachsen weiterhin Vorfahrt und der Doppelhaushalt mache deutlich, dass es in Sachsen nicht nur um finanzielle, sondern auch um bildungspolitische Nachhaltigkeit gehe.

Nun, der Bildungshaushalt der Staatsregierung und der Koalition war so nachhaltig, dass er bereits ein Jahr später durch ein Bildungspaket nachgebessert werden musste. Nur drei Monate später, am 20. März 2012, trat der Minister, der in seiner Haushaltsrede noch vollmundig von „Bildung als Währung der Zukunft“ gesprochen hatte, wegen der strittigen Finanzierung dieses Bildungspaketes, nämlich über 100 Millionen Euro, überraschend zurück.

Doch auch nach dem Ministerwechsel, der Umstrukturierung im Kultusministerium und der Einstellung der fehlenden Millionen Euro blieb die Situation weiter sehr angespannt. Am 10. Mai fand die Großdemonstration des Landesschülerrates in Dresden mit der Aktion „Bildet die Rettung, reffet die Bildung!“ statt. Einen Monat später, am 13. Juni 2012. verweigerten 5.000 Lehrer symbolisch die Annahme des Bildungspaketes 2020, packten vor dem Finanzministerium ein neues und zogen anschließend zur Kundgebung vor den Sächsischen Landtag.

Am 1. September 2012 schließlich — und das war eine sehr einschneidende Geschichte — trat Thomas Colditz, der langjährige bildungspolitische Sprecher der CDU, zurück. Der neue Etatentwurf der Regierung zum Doppelhaushalt 201 3/20 14 gehe im Bereich Bildung völlig an der Realität vorbei, sagte er der Presse. Nun verlange die FDP auch noch einen Nachschlag für ihr Prestigeprojekt Oberschule und werde von den Spitzen der CDU und der Regierung dabei unkritisch unterstützt.
Das sei zu viel für ihn.

Eine Woche später, am 7. September2012, demonstrierten 15.000 Lehrerinnen und Lehrer vor dem Landtag für mehr Stellen und eine bessere Entlohnung.

Dies alles, denke ich, sollte doch zu denken geben. Aber heute Morgen haben wir wieder die gleichen tollen Sprüche gehört wie vor zwei Jahren. Ministerpräsident Tillich sprach von Sachsen als einem Land der Möglichkeiten. Die Regierung habe eine große Überschrift und die heiße „Bildung und nochmals Bildung‘, und die Sicherung der Bildungspolitik sei der erste Schwerpunkt der Koalition. Noch nie sei in Sachsen so viel Geld für Bildung und Forschung ausgegeben worden wie in diesem Haushalt. – Ich fühle mich bei solchen Reden – bitte nehmen Sie es mir nicht übel – unweigerlich erinnert an die Berichte von der erfolgreichen Ernteschlacht und welches Kombinat schon wieder die Norm der Konsumgüterproduktion erfüllt hat.

Noch nie sei in Sachsen so viel Geld für Bildung und Forschung ausgegeben worden wie in diesem Haushalt. Meine Damen und Herren, machen wir uns doch nichts vor: wenn mehr Geld in die frühkindliche Bildung fließt, dann doch deshalb, weil es mehr Kinder zu betreuen gibt. Aber pro Kind wird nicht ein einziger Cent mehr ausgegeben.

Wenn wir mehr Lehrer einstellen, dann deshalb – es wurde bereits ausgeführt – weil wir Altersabgänge in Größenordnungen haben, die wir ersetzen müssen. Wenn wir pro Studienjahr doppelt so viel Lehramtsstudenten ausbilden wie noch vor einem Jahr, dann deshalb, weil 2016/17 doppelt so viel Lehrer in Rente gehen, die wir ersetzen müssen, sonst sind unsere Schulen leer.

Meine Damen und Herren, dafür mehr Geld auszugeben, ist Ihre Pflicht. Wäre hier nicht nachgelegt worden, hätte es de facto eine Kürzung im Bildungsbereich gegeben — und das bei Steuermehreinnahmen in Größenordnungen. Das hätte niemand von Ihnen mehr rechtfertigen können.

Wenn das die Pflicht ist, dann frage ich mich: Was ist denn dann die Kür, die die tollen Sprüche von heute früh rechtfertigt? Die 5 Millionen Euro vielleicht, die die Koalition im Bereich frühkindliche Bildung drauflegt? „Bei der Bildung kommt es auf den Anfang an“ – Herr Tillich hat es heute früh wieder gesagt —‚ und wie viel Ihnen der Anfang wert ist, sieht man an diesem Antrag, der nicht auf qualifizierte Fachkräfte setzt, sondern auf den Einsatz von Hilfskräften, die in der Kita aushelfen sollen.
Ministerin Orosz hatte mal den Bildungsplan eingeführt. Da sind wir wirklich weit gekommen. Oder sind die Kür vielleicht die 2 Millionen Euro, die die Koalition für Lehraufträge im Schulbereich zur Unterrichtsabsicherung zur Verfügung stellt? Herr Tillich hat heute früh gesagt: „Der erste Schwerpunkt der Koalition ist, die Bildungsqualität zu sichern.“ – Wie wollen Sie langfristig die Bildungsqualität sichern, wenn Sie auf Honorarkräfte und nicht auf fest angestellte Lehrkräfte bauen?

Oder sind die Kür vielleicht die knapp 9 Millionen Euro für die Oberschule? Herr Tillich hat heute früh gesagt: “Es kommt nicht auf das neue Schild am Schulhaus an, sondern darauf, dass unsere Kinder gute Bildungschancen bekommen.“ – Ich würde gern wissen, was diese Oberschule effektiv an Bildungschancen für die Kinder verbessert, die keinen Abschluss bekommen, oder wie sie die Bildungschancen für Kinder mit Behinderungen in unserem Schulsystem verbessert.

5 Milliarden Euro für Bildung und Forschung, so viel wie noch nie. Für den Bereich Bildung – dazu kann ich mit Shakespeare sagen: „Viel Lärm um nichts.“ Sie haben ein weiteres Mal versäumt, die Weichen im Bildungssystem in Sachsen neu zu stellen.
Wir haben keine Veränderung im Betreuungsschlüssel in der Kita. Wir haben keine grundlegende Höhergruppierung der Lehrer, mit der wir als Sachsen konkurrenzfähig wären, wenn wir um neue Lehrer werben. Wir haben keinen wirklichen Stellenaufwuchs bei den Lehrkräften, die wir brauchen, weil wir mehr Schüler haben.
Wir haben keinen wirklichen Ansatz im Bereich Inklusion, und wir haben keine gezielte Fortbildungsoffensive für unsere Lehrer.

Wenn Sie unseren Änderungsanträgen heute nicht zustimmen, sehen wir uns außerstande, Ihrem Haushalt zuzustimmen.

Vielen Dank.

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