Dr. Gerd Lippold: Diese Staatsregierung schafft es, eine LOSE-LOSE-Situation aus ihrer Chance zu machen

Redebausteine des Abgeordneten Gerd Lippold zur Aktuellen Debatte der Linken:
"Lausitz nicht verkohlen – Ja zum Strukturwandel, mit oder ohne Vattenfall"
3. Sitzung des Sächsischen Landtags, 13. November 2014, TOP 4

– Es gilt das gesprochene Wort –

Meine Damen und Herren von der Linken,
danke für ihren Debattenvorschlag zu diesem wirklich aktuellen Thema.
Natürlich wären Ihre hier geäußerten Positionen deutlich glaubwürdiger, wenn sie für Ihre Partei auch dann gelten würden, wenn Sie in einer Regierung sind. Weil dies leider nicht so ist, haben Ihre Genossen in Brandenburg soeben eine große, gelbe Karte vom Wahlvolk bekommen.
Dasselbe Schicksal droht übrigens auch Ihnen in knapp fünf Jahren, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion. Denn auch Ihre potenzielle Wählerschaft will nach Umfragen mehrheitlich eine echte Energiewende und vor allem einen schrittweisen Kohleausstieg. Ihre Landespartei hat nicht die Wahlgarantie wie die Staatspartei ihrer Genossen in Brandenburg.
Dass in Sachsen nun möglicherweise die Totalblockade bei den Erneuerbaren Energien gelockert wird, klingt gut. Doch bei Lichte betrachtet, ist die Rücknahme des Verhinderungsplanungsinstrumentes  der pauschalen Abstandsregeln nicht mehr als die Wiederwegnahme eines ohnehin nicht gerichtsfesten Hindernisses, das man zuvor bewusst hingestellt hatte. Die neuen Ausbauziele für Erneuerbare Energien im Koalitionsvertrag sind einfach geltendes Bundesgesetz. Wenn man bereits feiert, dass man sich an Bundesgesetze gebunden fühlt, dann dürften Millionen gesetzestreue Sachsen ja wohl aus dem täglichen Feiern nicht mehr rauskommen.
Wie sieht es nun dort aus, wo es in der sächsischen Energiepolitik wirklich ans Eingemachte geht – bei der Braunkohle?
Liebe Kolleginnen und Kollegen – Sachsen hat eine Chance bekommen. Ein großes, internationales Energieunternehmen wird von seinen Eigentümern auf die Reise in eine nachhaltige Zukunft geschickt. Dieses Unternehmen ist in Sachsen stark engagiert und ein wichtiger Arbeitgeber. Deutschland ist ebenfalls auf dem Weg in eine neue Energieversorgung und kann starke Verbündete dabei sehr gut gebrauchen. Klingt doch eigentlich nach einer WIN-WIN-Situation, oder?
NICHT mit dieser Staatsregierung. Die schafft es, eine LOSE-LOSE-Situation daraus zu machen. Da meinen die Eigentümer dieses großen Energieunternehmens Vattenfall, man müsse im gemeinsamen Interesse aller Menschen dieses Planeten endlich ernst machen mit dem Klimaschutz.
Und diese Staatsregierung hatte, noch ehe sie Staatsregierung war, nichts Besseres zu tun als zu fordern:
Wenn der schwedische Staat nicht mehr skrupellos genug sei, auch weit im 21. Jahrhundert weiter Menschen hier in Deutschland für ein höchst zweifelhaftes und ob der Realität des Klimawandels gemeinschädliches Geschäft von Haus und Hof zu vertreiben, dann solle er halt an jemanden verkaufen, dem das egal sei.
Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, begründen die Komplettverweigerung eines wenigstens kleinen Einstiegs in Kohleausstieg und wirksamen Klimaschutz mit der hiesigen Versorgungssicherheit. Aber sie können doch diese Art der Versorgungssicherheit gern haben. Die heutigen rund 75 Prozent Braunkohlestrom in Sachsens Strommix – die können sie noch eine ganze Weile haben. Nur könnten sie dazu locker jeden zweiten Kohlekraftwerksblock abschalten und hätten immer noch denselben Braunkohlenanteil, allerdings mit einem um ein Drittel gesenkten CO2-pro-Kopf-Ausstoß in Sachsen.
Wir produzieren nämlich in Sachsen doppelt so viel Braunkohlenstrom, wie wir für das Versorgungssicherheitsargument auf heutigem Niveau verbrauchen. Sachsen allein steht mit einem jährlichen Kohlestromüberschuß von rund 15 Mrd. kWh für fast die Hälfte des deutschen Stromexportüberschusses im vergangenen Jahr. Exportwirtschaft ist doch super, meinen Sie? Die Konsequenz DIESES Exportgeschäftes ist: Sie baggern doppelt so viel sächsische Kulturlandschaft ab, wie für Ihr Versorgungssicherheitsargument nötig wäre, sie lassen doppelt so viel Treibhausgas, doppelt so viel Feinstaub, doppelt so viel Quecksilber und andere Schwermetalle hier in unserem gemeinsamen Sachsen über ihre Landsleute verteilen, wie für ihr Versorgungssicherheitsargument nötig.
So lange Sie das nicht mit einem Einstieg in den Ausstieg ändern, so lange geht es Ihnen nicht um Versorgungssicherheit. Es geht ihnen um ein Kohlestromexport-Geschäftsmodell, es geht um Kohlestromexport zu Dumping-Preisen. Auch Sie wissen, warum das heute ein Geschäft ist. Dieses Geschäftsmodell rechnet sich genau so lange, wie wirksamer Klimaschutz nicht funktioniert. Es rechnet sich so lange, wie wirksamer Gesundheits- und Umweltschutz nach dem Stand der Technik nicht gefordert wird. Es rechnet sich so lange, wie auch weiter keinerlei Gegenleistungen für diesen Bodenschatz in Form von Förderabgaben und Wasserentnahmegebühren eingefordert werden.
Mit IHRER Entscheidung FÜR dieses Geschäftsmodell sind ihre Haltungen in all diesen Fragen vorfestgelegt. Sie müssen sich gegen ernsthaften Klimaschutz einsetzen, weil er das Geschäftsmodell beschädigen würde, auf das sie sich politisch festgezurrt haben. Das, meine Damen und Herren, ist ein Klima- und energiepolitischer Offenbarungseid.
So bleibt die Erkenntnis: Gerade Sie sind am richtigen Ort und in der richtigen Zeit, eine einmalige Chance zu bekommen, einen großen Schritt in eine nachhaltige Energiezukunft Sachsens zu gehen und zu zeigen, dass man ein hoch entwickeltes Industrieland sein kann, ohne dass ein Mensch in Sachsen pro Kopf doppelt so viel CO2 auszustoßen muss wie ein Mensch in China. Und sie verspielen diese Chance. Verspielen ist das falsche Wort: Sie tun sie einfach ab.
Herr Staatsminister Dulig, Herr Ministerpräsident,
Ihre Kinder und Enkel werden ihnen die Frage nach dem Warum wieder und wieder stellen stellen. Und Sie werden sie Ihnen auch dann noch stellen, wenn IGBCE Gewerkschaftsboss Vassilidis längst mit Ihrer heutigen SPD-Generalsekretärin seinen gut vergoldeten Ruhestand genießt.
Machen Sie sich das klar und gehen sie endlich erste, ernsthafte Schritte in Richtung wirksamen Klimaschutz. Unsere Unterstützung haben Sie dabei! Das Kohlezeitalter geht mit oder ohne Sie zu Ende. Sie haben die Chance, in diesem Prozess aktiv zu gestalten, anstatt zu sitzen zu bleiben, bis sie als Letzter aus dem Lokal gekehrt werden.
Und was einen möglichen Investorenprozess angeht: tun sie nichts – tun sie stellvertretend für den Freistaat Sachsen nichts, was den Menschen hier jetzt oder später hohe Risiken auferlegt und Spielräume für künftige Entwicklung beschädigt. An dieser Stelle kündigen wir höchste Aufmerksamkeit und entschlossenen Widerstand an.