Dr. Gerd Lippold: Sachsen muss mehr als die meisten anderen Bundesländer leisten, um die nationalen Ziele zu schaffen

Redebausteine des Abgeordneten Gerd Lippold zur Aktuellen Debatte der GRÜNEN-Fraktion:
"Auch auf Sachsen kommt es an – Konsequenzen aus dem UN-Klimagipfel 2014 ziehen"
4. Sitzung des Sächsischen Landtags, 18. Dezember 2014, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat eine Aktuelle Debatte zum Thema Klimaschutz beantragt. Es wird Ihnen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, auch angesichts des Klimagipfels in Lima in der öffentlichen Kommunikation sehr viel schwerer fallen als in der Vergangenheit, ein fundiertes, sächsisches Klimaschutzgesetz einfach von Tisch zu wischen.
In Lima hat der US-Außenminister erklärt: "Wenn wir scheitern, werden und sollen zukünftige Generationen denjenigen nicht vergeben, die diesen Moment ignoriert haben!"
"Sie werden wissen wollen", so der Außenminister, "wie wir nur so dermaßen blind, wie wir nur so ideologielastig und so entsetzlich dysfunktional gewesen sein konnten."
Für jene von Ihnen, denen der Außenminister eines demokratischen US-Präsidenten vielleicht nicht zitierfähig genug ist, habe ich noch eine andere Autorität zu bieten: Der Papst mahnt anlässlich des Klimagipfels in Lima, die Zeit liefe davon und kündigt eine Enzyklika zum Ende des fossilen Zeitalters an. Er spricht von einem "klaren, endgültigen und unaufschiebbaren ethischen Imperativ", jetzt etwas zu tun, bevor es zu spät ist – und zwar mit vereinten Kräften und ohne Rücksicht auf Einzelinteressen.
Genau da ist es nun an der Zeit, auf Sachsen zu sprechen zu kommen.
Warum, so fragen wir, ist die letzte sächsische Staatsregierung bei diesem Thema so entsetzlich dysfunktional gewesen und warum spielt auch im aktuellen Koalitionsvertrag das Thema Klimaschutz bestenfalls eine Statistenrolle?
Dafür werden ja immer wieder Ausreden an den Haaren herbei gezogen. Weil wir diese sattsam bekannten Begründungen sicherlich auch heute wieder in diesem Hause hören werden, wollen wir einige davon jetzt betrachten:
Sachsen sei längst Vorreiter, meinen sie, denn Sachsen hätte gegenüber 1990 seine CO2-Emissionen schon um 47 Prozent reduziert und damit das nationale CO2-Einsparziel bis 2020 bereits übererfüllt.
Wie haltlos diese Argumentation ist, sehen sie schon daran, dass Sachsen aus derselben Ursache heraus in der Vergangenheit schon viel besser war: 1998 hatten wir gegenüber 1990 sogar schon 64 Prozent eingespart. Der Grund war damals wie heute nicht etwa vorausschauende Nachhaltigkeitspolitik, sondern schlicht der Zusammenbruch der maroden DDR-Energiewirtschaft und -wirtschaft, die eine etwa viermal so hohe CO2-Intensität wie in der alten Bundesrepublik hatte.
Fakt ist: Seit 1998 sind die CO2-Emissionen in Sachsen um etwa 25 Prozent gestiegen.
Fakt ist, dass wir in Sachsen mit rund 13 Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr eine um ca. ein Drittel höhere Treibhausgasemission haben als im Durchschnitt der Bundesrepublik. Soviel zum Thema "Hausaufgaben gemacht – Einsparziele übererfüllt". Sachsen muss und kann nicht etwa weniger, sondern MEHR als die meisten anderen Bundesländer leisten, um die nationalen Ziele zu schaffen.
Welche Instrumente bietet Sachsen unter dieser Regierung dafür auf?
Da ist das Energie- und Klimaprogramm des Freistaates. Was dort als Klimaschutzziel benannt wird, ist verantwortungslos.
Man beschränkt sich bei Klimaschutzzielen ausschließlich auf den "Nichtemissionshandelsbereich". Dort will man die 15 Millionen Tonnen Jahresemission bis 2020 um immerhin etwa drei Millionen Tonnen, etwa 25 Prozent reduzieren. Aber selbst in diesem vergleichsweise kleinen Nichtemissionshandelsbereich, wo sie Ziele formulieren, geht es nicht voran. So bescheinigt Ihnen der kürzlich erschienene Bundesländerindex Mobilität der Allianz pro Schiene, wissenschaftlich begleitet durch die Universität St. Gallen, dass Sachsen zu den wenigen Bundesländern gehört, in denen sich die CO2-Emissionen des Verkehrs signifikant erhöht haben.
Das eigentliche Verantwortungslosigkeit ist aber: Sachsen emittiert nicht etwa 15 Millionen Tonnen, sondern rund 50 Millionen Tonnen CO2. Der Löwenanteil kommt aus einer einzigen Hauptquelle – das sind die Überkapazitäten in der Braunkohleverstromung. Die ignorieren Sie einfach.
Das Kabinett hat am 2. Dezember 2014 die Förderrichtlinie "Klimaschutz" verabschiedet. Damit stellen Sie bis 2020 ein 45 Millionen Euro-Paket für Effizienzmaßnahmen und Klimaschutz zur Verfügung, um, jetzt halten Sie sich fest, jährlich 40.000 Tonnen CO2 zu sparen.
Setzen wir das mal in ein Verhältnis: Wenn ein Sturmtief über Deutschland zieht und sich die Windkraftanlagen munter drehen bringt allein die damit verbundene Lastabsenkung der deutschen Braunkohlenkraftwerke um etwa zehn Gigawatt in einem Zeitraum von vier Stunden eine CO2-Einsparung in Höhe dieser 40.000 Tonnen.
Die Abschaltung eines einzigen der 35 Jahre alten Blocks im Kraftwerk Boxberg brächte fast vier Millionen Tonnen CO2-Einsparung im Jahr – hundertmal so viel wie Ihr 45 Mio. Euro Paket. Wenn sie mit der Effizienz ihrer neuen Förderrichtlinie eine solche, echte Einsparung erreichen wollten, dann müssten Sie 4,5 Miiliarden Euro auf den Tisch legen.
Packen Sie endlich das Problem an der Wurzel, meine Damen und Herren! Wenn Sie die diese 45 Millionen Euro für Wirtschaftsförderung in der Lausitz einsetzen und akzeptieren, dass dort in den nächsten Fünf Jahren auch nur ein einziger alter Block seine Grenznutzungsdauer erreicht, dann sparen Sie pro Jahr hundertmal so viel CO2 wie mit dieser Plazebo-Pille! Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass mit dem Auslaufen eines alten Blockes kein einziger Standort geschlossen würde und dass dann die Kohle aus Nochten deutlich länger für noch verbleibenden, moderneren Blöcke reichen würde; dass Dörfer zu retten wären und außerdem auch noch sinnvolle Effekte am Energiemarkt erreicht würden.
Wenn wir im Emissionshandelsbereich hier bei uns einsparen, so die Ausrede, emittiert woanders jemand mehr. Die Summe bleibe konstant und damit könnten wir Einsparungen auch gleich bleiben lassen.
Das ist deshalb nicht wahr, weil der Emissionshandel nicht als Begrenzungsinstrument funktioniert. Es ist viel zu billig, unsere Atmosphäre als Deponie zu benutzen. Zertifikate sind nicht etwa knapp, sondern überreichlich vorhanden. Die CO2-Emissionsreduktion ist nämlich viel rascher erfolgt, als das mit der Herausnahme von Zertifikaten erreicht werden sollte. Wenn wir hier und heute eine Tonne CO2 einsparen, dann fährt eben niemand woanders ein Kohlekraftwerk hoch, um diese Tonne zusätzlich zu erzeugen. Er macht das deshalb nicht, weil er es vorher nicht wegen des Preises für die Tonne CO2 runterfahren musste. Und er tut es deshalb nicht, weil Überkapazitäten existieren. Außerdem: Tschechiens Kohle ist in 15 Jahren alle – da baut keiner ein Kraftwerk. Polen hat heute schon Kapazitätsengpässe und kann die Kohleverstromung nicht steigern. Gleichzeitig haben diese Länder einen gewaltigen Überschuss an Zertifikaten bekommen.
Warum Sie gar keinen wirksamen Klimaschutz vorantreiben können? Weil sie sich und damit auch ganze Regionen in Sachsen auf das Geschäftsmodell Braunkohleverstromung – und zwar ganz überwiegend nicht für die eigene Versorgung, sondern für den Export – vorfestgelegt haben. Sie wissen, dass dieses Geschäftsmodell nur so lange wirtschaftlich funktionieren kann, wie wirksamer Klimaschutz blockiert wird. Deshalb blockieren Sie.
Die Komplettverweigerung der schwarz-roten Koalition, einen gangbaren Pfad des Einstieges in den Kohleausstieg zu suchen, bedeutet damit automatisch auch weitere Jahre der Blockade wirksamen Klimaschutzes in Sachsen. Wir und unsere Kinder können es uns nicht leisten, zu warten, bis diese Regierungsparteien ihre internen Probleme bei der Wahrnehmung der Realität lösen. Aktiver Klimaschutz kann nicht warten. Auch und besonders auf Sachsen kommt es dabei an. Für Sachsen gibt es in diesem globalen Megatrend Klimaschutz Chancen, wenn wir Vorreiter sind. Das setzt voraus, dass sie von ihrem toten Pferd absteigen und umsatteln. Das werden wir hier und in der Öffentlichkeit drängender und drängender thematisieren, meine Damen und Herren!