Eva Jähnigen: Nahverkehrskürzungen – unverschämt – unglaublich – unhaltbar

Redebeitrag der Abgeordneten Eva Jähnigen zur Aktuellen Stunde „Bezahlbare Mobilität für alle – Keine Kürzung im ÖPNV in Sachsen“ in der 19. Sitzung des Sächsischen Landtages, 01.09., TOP 1
Es gilt das gesprochene Wort!
—————————————————————————-
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
die von der Staatsregierung vorgeschlagenen Kürzungen bei Betriebs- und Investitionsmitteln für den öffentlichen Nahverkehr stehen für uns GRÜNE unter drei großen U: unverschämt – unglaublich – unhaltbar.
Unverschämt sind die Kürzungen wegen der guten finanziellen Ausstattung Sachsens aus dem Bundeshaushalt: kommendes Jahr erhalten wir 14 Mio. Euro, ab 2012 sogar 19 Mio. Euro mehr als 2010 allein an Betriebsmitteln für den Öffentlichen Verkehr.
Summa summarum bekommt Sachsen 33 Mio. mehr vom Bund, will aber im Doppelhaushalt den Verkehrsverbänden 43 Mio. Euro weniger für den Betrieb des Öffentlichen Nahverkehrs weiterreichen.
Außerdem sollen die Entflechtungsgelder des Bundes (früher hieß das GVFG) statt bisher im schon unakzeptablen Verhältnis von 75/25 Prozent nunmehr zu 85,3 Prozent für den kommunalen Straßenbau und nur noch 14,7Prozent für den Öffentlichen Nahverkehr verwendet werden – weitere 18 Mio. Euro die beim Öffentlichen Verkehr fehlen.
Höhere Zuwendungen vom Bund für Bus und Bahn und dann 100 Mio. Euro Kürzungen beim Öffentlichen Verkehr – das ist unverschämt. Unverschämt auch deshalb, weil im öffentlichen Nahverkehr bereits 70 Prozent seiner Kosten durch Einnahmen aus der Tasche seiner Kunden deckt – dieser Wert ist Bundesniveau und Spitze in Ostdeutschland.
Zum Dank wird das Landesinvestionsprogramm für Bus und Bahn gleich noch mit abgeschafft. Im finanzpolitischen Bermudadreieck des Leipziger Citytunnels drohen Bus und Bahn von Plauen bis nach Görlitz unterzugehen.
Und da sorgt sich Kollege Herbst FDP von der FDP scheinheilig darum, dass halbleere Bahnen durch Sachsen fahren!
Wann beschäftigen sie sich eigentlich mal mit den dreiviertelleeren Straßen, die das Ressort ihres Kollegen Morlok für dreiviertelleere Autos weiter ganz ungebremst planen will? Hier sind Sie blind. Allein die Haushaltsreste, die das Ministerium 2009 aus den EFRE-Mitteln im Bereich Straßenbau nicht verbaut bekommen hat – 144 Mio. Euro mehr, als Sie beim Nahverkehr kürzen wollen – sprechen eine eigene Sprache!
Unglaublich ist das Nichtbegreifen – Wollen der drohenden Kürzungen. Die öffentlichen Einlassungen von Verkehrsminister Morlok zeigen ein erschreckendes Unverständnis von Verkehrswirtschaft.
Meinen Sie wirklich, dass Sachsen angesichts abbestellter Bahnstrecken und zurückgefahrener Investitionen im Öffentlichen Verkehr gute Karten bei den Neuverhandlungen um die Bundesmittel nach 2014 haben wird? Mit dieser Steilvorlage an die Konkurrenz aus anderen Bundesländern schwächen Sie die Position Sachsens in der Bahnpolitik noch mehr.
Durch gleichzeitigen Verlust von Betriebs- und Investitionsgeldern treffen Sie gerade mittelständische Verkehrsunternehmen und Fahrgäste in ländlichen Räumen. Und Sie verstoßen mit der Veränderung der bis 2014 geltenden ÖPNV-Finanzierungsverordnung gegen das Rückwirkungsverbot und gleichzeitig den selbst mit den kommunalen Spitzenverbänden ausgehandelten Finanzausgleich. Folgerichtig protestieren Landräte und Oberbürgermeistern in ganz Sachsen.
Bei den Verkehrszweckverbänden und der deutschen Bahn erzeugen Sie Folgen, die vom Fehlen jedweden Wirtschaftssachverstandes zeugen. Durch die ad hoc erzwungenen Abbestellungen der Verkehrsverbände aus Verträgen mit 10 – 20 Jahren Laufzeit entstehen Vertragsstrafen bis zu 50 Prozent. Diese müssen zusätzlich eingespart und Ersatzverkehre finanziert werden. Die Deutsche Bahn wird nicht auf  Fördermittelrückzahlungen und verlorene Investitionen für ihre Trassen sitzen bleiben wollen.
Durch Kurzfristigkeit und Höhe ihrer Kürzungen stehen auch nachfragestarke Angebote in Frage – z. B. die Nahverkehrszüge auf der Sachsen – Franken – Magistrale und im so teuren Leipziger Citytunnel.
Das Selbstlob der Regierung für die wenigen Verbesserungen im Bahnnetz geht schon jetzt im Protest gegen die Ausdünnung des Angebots auf diesen Strecken unter.
Aber gerade mit diesen nachgefragten Bahnen – auf denen Sie jetzt schon in überfüllten Zügen stehen müssen wenn Sie einmal Zug fahren, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP –  macht der öffentliche Verkehr seine Einnahmen!
Ausdünnungen und Tariferhöhungen im Jahrestakt. Dann stimmen die Fahrgäste mit den Füßen ab. Die Einnahmen sinken; weitere Kürzungen folgen und dem öffentlichen Verkehr droht eine Abwärtsspirale. Unglaublich, dass wir trotz guter Finanzdecke in diesem Bereich diese Debatte überhaupt führen müssen.
Offensichtlich soll die Haushaltkrise genutzt werden um die Weichen im Wettbewerb der Verkehrsmittel von der Schiene auf die Straßen gestellt werden. Wird so aber Geld gespart?
Unhaltbar: Sie sagen Sie wollen Sparen. Aber Sie kürzen ohne zu Sparen! Sie verschwenden Geld und verzichten auf künftige Einnahmen. Mit dieser Politik tun sie nichts für Nachhaltiges Haushalten. Sie sichern sich höchstens einen prominenten Platz im Schwarzbuch des Steuerzahlerbundes.
An dieser Stelle muss ich allerdings auch sagen: hier haben bereits mehrere Regierungen ihre Hausaufgaben nicht erledigt. Unter sozialdemokratischen Verkehrsminister Jurk wurde ebenso wenig ein zukunftsweisender ÖPNV – Konzept erarbeitet wie unter seinen Vorgängern von der CDU.
Sachsen hat gute Potenziale im Bahn- und Nahverkehr. Westdeutsche Länder haben uns bisher um unser dichtes Schienennetz beneidet.
Doch dieses Potenzial muss endlich erschlossen werden.
Sachsen braucht ein landesweites, grenzüberschreitendes Konzept für einen integralen Bahntakt und die Verknüpfung von Schienen- und Busverkehr.
Die GRÜNE Landtagsfraktion hat 2008 unter der Agenda meines Kollegen Johannes Lichdi nach Vorbild von Rheinland-Pfalz und der Schweiz eine Studie Sachsentakt 21 erstellen lassen und gezeigt, dass so Effizienzpotenziale und Mehreinnahmen erschlossen werden können.
So ein Ausbaukonzept brauchen wir für den öffentlichen Verkehr Sachsens.
Deshalb halten wir GRÜNEN die vorgeschlagenen Kürzungen für unsozial und umweltschädlich. Sie schwächen die Mobilität besonders im ländlichen Raum, widersprechen den Klimaschutzzielen des Freistaates und gefährden Arbeitsplätze.
Schluss deshalb mit diesem Unfug. Umdenken ist angesagt, Alternativen müssen auf den Tisch. Im Verkehrshaushalt werden wir bei gemeinsamen Willen im Parlament Alternativen zum Morlok-hausgemachten Nahverkehrschaos finden. Ich appelliere deshalb an die Abgeordneten aus allen demokratischen Fraktionen: geben Sie grünes Licht für den öffentlichen Verkehr!