Große Anfrage „Sachsen in der EU“ – Kallenbach: Auf Symbolik haben wir einfach keine Lust mehr

Regierung ignoriert die tatsächlichen Zukunftsaufgaben – Auf Symbolik haben wir einfach keine Lust mehr
Redebeitrag der Abgeordneten Gisela Kallenbach zur Großen Anfrage "Der Freistaat Sachsen in der Europäischen Union" (CDU/FDP, Drs. 5/6367), in der 47. Sitzung des Sächsischen Landtages, 15.12., TOP 4
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
das Projekt der europäischen Vereinigung vorwiegend über das liebe Geld zu definieren wäre sträflich und würde eine Erfolgsgeschichte von Jahrzehnten torpedieren. Wenngleich in Europa das Geld eine zentrale Rolle spielt; das grandiose Prinzip der Solidarität zwischen starken und weniger entwickelten Partnern ist schlichtweg einmalig.
Die Europäische Union nur als Binnenmarkt zu begreifen, kann weitreichende Auswirkungen haben. Exemplarisch dafür steht der Satz des Britischen Premier, David Cameron am 09.12.2011: «Die EU interessiert uns nur als Absatzmarkt für unsere Produkte.» Zynischer kann man es nicht ausdrücken. Wer die EU auf seinen wirtschaftlichen Vorteil reduziert, steht mit leeren Händen da, sobald die Bilanz nicht mehr stimmt.
Nun konkret zur Großen Anfrage – dafür meinen Dank an die Koalition, bekommen wir doch eine Ahnung von der europapolitischen Strategie der Staatsregierung, die bisher als Geheime Verschlusssache betrachtet wird und zumindest der Opposition verweigert wird.
Dabei, Sie erinnern sich bestimmt – hat meine Fraktion 2006 erfolgreich geklagt, weil die Regierung den Landtag bei Beschlüssen zum Einsatz der EU-Fördermittel überging und das Budgetrecht des Landtags verletzte. Der Erfolg vor Gericht nützte uns zwar damals nicht viel, denn die Messen waren gesungen. Nun aber stehen die nächsten Entscheidungen an und wir fordern eine echte Parlamentsbeteiligung.
Darauf komme ich später nochmals zurück.
Wenn man Neues wagen will, lohnt sich ein Blick zurück.
Daher die spannende Frage, ob die Ziele des aktuellen Operationellen Programms und ihre Umsetzung sinnvoll, nachhaltig und effizient sind. Die Antwort auf die Große Anfrage suggeriert: Alles bestens, der Rubel, ach nein der Euro rollt.
Aber: noch so viele Allgemeinplätze täuschen nicht über Probleme hinweg. Ich veranschauliche Ihnen das gerne an dem Strukturfonds EFRE.
Trotz vieler guter Worte, wurde bei der Mittelverteilung das Thema Demographie außen vor gelassen. Statt zukunftsfähige, lebensfähige Strukturen zu schaffen und zu stärken, fließen in Sachsen hohe Anteile der EFRE-Mittel in den Neubau von Straßen. Jeder vierte Euro war das in der Zeit von 2000-2006. 20 Prozent der 574 Millionen EURO sind es derzeit. Dabei liegt die Netzdichte bereits 30 Prozent über dem Bundesdurchschnitt. Ein weiterer Ausbau des Straßennetzes ist absurd und bürdet den kommenden Generationen schwere Lasten auf.
Das Anwachsen des Straßenverkehrs führt zur Landschaftszerschneidung, mehr Luftschadstoffen und Lärm, zur Verschlechterung der Lebensqualität.
Der Radverkehr, als umweltfreundlicher Verkehrsträger wurde bisher halbherzig gestärkt, nicht die Schiene, nicht der ÖPNV. Das nenne ich wahrhaft bescheiden.
Sachsens Präferenz für den Straßenbau ist – nebenbei bemerkt – nichts, was die EU verordnen würde: Die Förderprogramme sind eine politische Entscheidung des Freistaates und nicht mehr allein des Kabinetts.
Ein Wort zum Hochwasserschutz: "Den Flüssen mehr Raum geben", hieß es nach der Flut 2002. Während Sie beim technischen Hochwasserschutz hunderte Millionen in Beton investieren, ist beim naturnahen Hochwasserschutz nicht viel zu sehen.
Zehn Maßnahmen für Retentionsräume halten kaum die Waage gegen 96 Kilometer Deich und 60 Kilometer Hochwassermauern. Mit Ihrer Ausrichtung auf Deiche und Flutmauern setzen Sie sehr, einseitige und vor allem teure Prioritäten.
Seit 2007 hat die "städtische Dimension" aus guten Gründen auf EU-Ebene eine deutliche Aufwertung erfahren. Eine integrierte Stadtentwicklung bietet Chancen, vielseitigen gesellschaftlichen Problemen zu begegnen. Sachsen hat dafür ganze 110 Millionen Euro vorgesehen. Das macht einen Anteil von sagenhaften 3,5 Prozent der EFRE-Mittel. Damit gehört Sachsen zu den bundesweiten Schlusslichtern.
Die Umweltauswirkungen der Förderpolitik werden in der Großen Anfrage  besprochen, sofern positive Effekte zu berichten sind. Klar, die Revitalisierung von Industriebrachen ist zu begrüßen.
Aber dass zeitgleich Flächenverbrauch und Bodenversiegelung auf 10 Hektar pro Tag angestiegen sind, wird nicht einmal angetippt.
Der Förderschwerpunkt Klimaschutz/Erneuerbare Energien war der Staatsregierung 67 Millionen Euro und damit ganze 2 Prozent wert. Das Förderprogramm zur Heizkesselumstellung war 2009 schnell ausgeschöpft. Anstatt dem hohen Bedarf durch eine Aufstockung von Fördermitteln zu entsprechen, wurde das Programm einfach eingestellt.
Ein deutliches Zeichen, wie sehr diese Regierung die tatsächlichen Zukunftsaufgaben ignoriert. Warum bei einzelnen Maßnahmen, wie Nutzung von Erdwärme von 4,3 Millionen noch kein Cent abgeflossen ist, erklärt die Staatsregierung nicht.
So ehrenwert die Große Anfrage ist, hat sie doch viele blinde Flecken.
Wichtige Fragen werden nicht gestellt und somit nicht beantwortet. Das Thema Armut kommt zum Beispiel gar nicht erst vor. Dabei hat Sachsen eine Armutsquote von fast 20 Prozent.
Viele Gründe, die Strategie, zu ändern – auch durch intensive Bewertung der Evaluationsberichte – daraus ergibt sich Stoff für intensive Diskussionen.
Für Diskussion sollen eigentlich auch die Beteiligungsstrukturen sorgen.  Der Artikel 11 der Allgemeinen Verordnung legt fest, dass die Planung und Umsetzung der Programme in Partnerschaft mit relevanten Partnern der Zivilgesellschaft erfolgen soll.
Fragen Sie doch mal die Vertreter in den Begleitausschüssen, wie sie die Partnerschaft mit den Fondsverwaltern erleben: als Einbahnstraße von Informationen über gefasste Beschlüsse. Partnerschaft sieht anders aus.
Die durchaus zu begrüßende heutige Debatte trägt leider den Makel, symbolisch zu sein. Symbolisch, weil bereits übermorgen der Bundesrat die deutsche Position zu den EU-Fondsverordnungen 2014-20 beschließen wird.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen: hat jemand von Ihnen eine Vorlage gesehen, welche Position der Freistaat Sachsen im Bundesrat vertritt? Ich nicht, denn die hält das Kabinett unter Verschluss. Das ist ein unglaublicher Vorgang!
Und das, obwohl wir hier vor einem Jahr auf eine Subsidiaritätsvereinbarung angestoßen haben, die die frühzeitige und umfassende Beteiligung des Landtags an der Entscheidungsfindung in wesentlichen Angelegenheiten festschreibt. Sind die Messen wieder gesungen? Was sagt der Landtagspräsident dazu?
Soll das heute die angebliche Beteiligung sein?
Auf Symbolik haben wir einfach keine Lust mehr.
Vergessen wir nicht: Die Entscheidungen, die wir heute für Sachsen wohl per Akklamation bestätigen sollen, haben Auswirkungen bis ins Jahr 2020- da regieren Sie, die das heute festlegen, garantiert nicht mehr!
Es wäre jetzt die Zeit gewesen, dem Ruf von 30 führenden europäischen  Agrarökonomen  zu folgen, die bereits vor einem Jahr eine radikale Reform der europäischen Agrarpolitik gefordert haben. Sich dem anzuschließen wäre tatsächlich innovativ gewesen.
Ja, wir brauchen den Systembruch hin zu einer klima- und umweltgerechten Landwirtschaft.
Und das geht nur, wenn man die Direktzahlungen schrittweise streicht. Die bisherigen Maßnahmen der Cross Compliance haben sich doch als zahnlose Tiger erwiesen, wer kontrolliert denn die Umsetzung, z.B. in Sachsen, Herr Kupfer?
Glauben Sie wirklich daran, dass die Direktzahlungen, von denen 80 % an 20 % der landwirtschaftlichen Betriebe gehen, ausreichend konditioniert sind, um die Auswirkungen – insbesondere durch agrarindustrielle Produktionsweisen auf Umwelt und Natur, auf Klima und Gesundheit auch nur in etwa zu kompensieren? Ökologische Vorrangflächen – wie von der Kommission vorgeschlagen- könnten in der Tat einen Beitrag zur Reduzierung der gesellschaftlichen Kosten bewirken. Diese 7% als Gefahr für die Welternährung herauf zu beschwören, halte ich schon für absurd.
Es ist doch schon lange kein Geheimnis mehr, dass unsere billigen, weil auch durch Betriebsprämien subventionierten Exporte den Markt in den Entwicklungsländern – dort wo Hunger herrscht-! zerstören. 40% der gesamten deutschen Schweinefleischproduktion werden exportiert und der Anteil daran soll in Sachsen durch Ihre Politik, Herr Kupfer erhöht werden!
Die weltweite Lebensmittelversorgung ist am ehesten zu sichern, indem man fairen Handel treibt, Exportsubventionen streicht und die Produktivität in den Entwicklungsländern erhöht.
Es hilft auch nicht, sich für die Ökologie in der sächsischen Landwirtschaft zu loben; auch da ist  interessant, was Sie verschweigen:
Sie loben das pfluglose Bestellen der Ackerflächen zur Verminderung von Erosion, verschweigen aber, dass dabei Totalherbizide eingesetzt werden und das auch noch mit jährlich 3,6 Millionen € bezuschusst wird. Sie nehmen hin, dass dadurch bereits 40 % der Ackerwildkräuter ausgestorben sind und 54 % gefährdet sind.
Sie loben das Sächsische Programm für die 2.Säule, in die ja nur ein Bruchteil der Gesamtförderung geht. Verdient haben Sie das Lob bezüglich der vorgesehenen Vereinfachung des Verwaltungsverfahrens – endlich wenden Sie EU-Recht 1:1 an und streichen sächsische Sonderregelungen. Aber inwieweit tragen die Mittel zur wirklichen Entwicklung des Ländlichen Raumes bei? Dazu gebe ich Ihnen gerne ein Beispiel aus Ihrer eigenen Wahlkreisregion Ostelbien: 60% von 30 Projekten flossen in den Straßenbau; man kann also den Raum schneller in alle Richtungen verlassen. Ich höre Sie schon.. die Entscheidung fällt vor Ort, richtig, aber als Umweltminister kann man auch Vorgaben machen, wenn man die Entwicklung beeinflussen will.
Diese geben Sie auch heute nicht und nutzen die bequemere Variante: Festhalten an Althergebrachtem und entscheiden ohne die Stimme des Parlamentes zu hören. Wir hätten erwartet, dass Sachsen sich gezielt für die Ökologisierung der Landwirtschaft  und die Förderung bäuerlicher Strukturen einsetzt und der Politik der Industrialisierung der Landwirtschaft eine klare Absage erteilt. Dass dem nicht so ist, verwundert wiederum doch nicht.