Petra Zais: Es ist genau dieses Verdrehung der Zahlen und Fakten, die dazu beitragen, dass wir eine besondere Stimmung auf den Straßen Sachsens haben
Redebausteine der Abgeordneten Petra Zais (GRÜNE) zur Aktuellen Debatte von CDU-/SPD-Fraktion:
"Asyl und Integration in Sachsen – Unsere Verantwortung im Rahmen der europäischen und bundesdeutschen Flüchtlings- und Asylpolitik"
4. Sitzung des 6. Sächsischen Landtags, 17. Dezember2014, TOP 3
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Ja, Frau Petry, es ist genau Ihre holzschnittartige Darstellung, Ihre Verdrehung der Zahlen und Fakten, die dazu beitragen, dass wir eine besondere Stimmung auf den Straßen Sachsens haben. Es ist Ihre Fehlinterpretation der Zahlen, zum Beispiel aus dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
Sie behaupten heute, nur 30 Prozent derer, die bei uns Schutz suchen, werden anerkannt. Das haben Sie übrigens in dieser Woche auch bei „Fakt ist …!“ getan. Leider ist es unwidersprochen geblieben.
Ich muss Ihnen da widersprechen. Die Anerkennungsquoten für Flüchtlinge steigen seit Jahren kontinuierlich an, die Ablehnungen sinken. Während wir im Jahr 2006 – die aktuellen Zahlen der Statistik können Sie auf der Website nachlesen – noch 57,8 Prozent Abehnungen hatten, so ist im Jahr 2014 die aktuelle Zahl 32,6 Prozent. Alle anderen erhalten einen Status oder – das vergessen Sie in Ihren Darstellungen gern – werden formal erledigt. Dazu gehört übrigens auch Dublin. Das heißt, ein anderes EU-Land ist für den Antrag zuständig. Sie vermengen das, und das ist unredlich, Frau Petry.
Wenn wir darüber sprechen, was Sachsens Verantwortung in den Fragen der Asyl-, Flüchtlings- und Integrationspolitik ist, dann genügt es uns natürlich nicht, nur auf den Bund und nach Europa zu schauen, sondern wir GRÜNEN schauen zuerst nach Sachsen: Was geht dort im Moment ab? Wir haben tatsächlich einen großen Riss, der auch durch die sächsische Politik geht.
Es gibt diejenigen, die sich hinstellen und sagen: Wir stimmen denen zu und biedern uns bei denen an, die das Bild vom einfachen, ehrlichen Deutschen bedienen, der gegenüber jenen, die als gesetzliche Minderheit markiert werden – das sind Flüchtlinge und Asylbewerber –‚ stets benachteiligt wird. Das ist der Stammtisch, das ist Populismus, bei dem versucht wird, ihn von der Straße ins Parlament zu tragen.
Wir konnten alle hören, dass Pegida im Januar bei der AfD zu Gast sein wird.
Es ist die andere Seite in der Politik, wenn ich von diesem Riss spreche, und ich weiß, dass es in den Fraktionen der CDU und der SPD, also auch in den Koalitionsfraktionen, Politiker gibt, die für das Grundrecht auf Asyl, für die Verteidigung dieses individuellen Rechts stehen, und, Frau Petry, nicht Sie und auch nicht der Stammtisch entscheiden, wer das Recht auf Asyl hat. Es ist ein individuelles Grundrecht. Dafür gibt es die Prüfung, die auf gesetzlicher Grundlage erfolgt, und das ist gut so; denn wir leben in einem Rechtsstaat und in einer Demokratie.
Wir werden heute sicher noch Gelegenheit haben, weiter zu diesen Positionen zu sprechen.
Wir GRÜNEN sagen: Bevor wir zum Bund und zum Land schauen, schauen wir nach Sachsen. Wir sind dafür, dass wir die humanitären Bedingungen für die Flüchtlinge in Sachsen verbessern müssen. Es ist ganz klar: Eine Reihe neuer Unterkünfte werden gebraucht. Es gibt den Heim-TÜV des ehemaligen Ausländerbeauftragten Herrn Prof. Gillo. Dieser TÜV – das fordern wir – muss auch für die neuen Unterkünfte eingeführt werden. Wir brauchen – das ist ebenfalls eine Forderung, die die Ausländer- und Integrationsbeauftragten bei ihrem Bremer Treffen formuliert haben – bundesweit verbindliche Standards für die Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen, und wir GRÜNEN wollen, dass dies verbindlich im Flüchtlingsaufnahmegesetz geregelt wird. Das dient der Verbesserung der humanitären Situation und es wird auch die Situation in vielen kleineren Gemeinden und Orten klarstellen.
Wir brauchen – auch das fordern wir GRÜNEN –‚ wenn es um die sächsische Verantwortung geht, eine flächendeckende Flüchtlingssozialarbeit und – das Papier der Liga der Wohlfahrtsverbände kennen Sie seit mehr als zwei Jahren – einen Betreuungsschlüssel von mindestens 1:100 in einem ersten Schritt und in einem zweiten Schritt von 1:80. Auch dies wird dazu beitragen, viele Probleme sowohl auf der Seite der Flüchtlinge als auch auf der Seite der Aufnahmegesellschaft zu lösen.
Nicht zuletzt brauchen wir eine Verbesserung der medizinischen Versorgung. Auch dies gehört zu unseren humanitären Verpflichtungen, und auch hier gibt es positive Signale im Bund, was die Einführung einer Gesundheitskarte betrifft. Wir hoffen sehr, dass sich die Koalition aus CDU und SPD dazu positionieren wird und den Weg dafür in Sachsen öffnet.
…
Herr Kollege Hartmann, es ist genau das, was Sie hier jetzt geboten haben, was tatsächlich zu einer Spaltung der Gesellschaft führt. Es gibt seit Jahren – wenn wir zum Beispiel die sogenannte Kriminalitätsstatistik anschauen – keine exorbitanten Ausrutscher bei den „kriminellen Asylbewerberinnen und Asylbewerbern“. Deswegen hat auch zu Recht der Dresdener Polizeipräsident dem sächsischen Innenminister widersprochen, als dieser Sondereinheiten für „kriminelle Asylbewerber‘ forderte. Das muss man hier doch einmal ganz klar sagen.
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Wenn Sie über Dialog reden, dann muss man natürlich fragen: Mit wem wollen sie den Dialog führen? Pegida verwehrt auch Ihnen, der CDU-Fraktion, den Dialog. Die einzigen, die sich öffnen und mit denen sie reden werden, ist die AfD. Das müsste Ihnen doch Anlass zum Nachdenken geben. Was ist mit denen, die seit 16, 20 Jahren für die Rechte von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern, soziale Betreuung, humanitäre Versorgung kämpfen und den Dialog mit Ihnen wegen Verbesserungen suchen und nichts erreichen? Die gehen nicht auf die Straße. Die schweigen nicht. Die suchen den Dialog mit Ihnen, aber es gelingt ihnen nicht, bei Ihnen Gehör zu finden. Auch das müsste Ihnen zu denken geben.
…
Ich habe eine Zwischenfrage. Herr Hartmann, meinen Sie, dass diejenigen, die meinen, einen Grund zur Flucht zu haben, nicht mehr herkommen, wenn wir zum Beispiel Tunesien oder Tschetschenien als sicheres Herkunftsland einstufen? Sie haben die Russische Föderation angesprochen. Es ist egal, über welches Land wir reden. Meinen Sie, dass das dazu führen wird, dass diese Men