Antje Hermenau: Mit dem, was sie heute zum Besten gegeben haben, wird Sachsen die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht bestehen können

Es gilt das gesprochene Wort!
(…) Wir machen so weiter wie bisher und wir haben uns alle wieder lieb!? Es scheint, Herr Tillich, als seien Sie zum Amte gekommen wie die Jungfrau zum Kinde. Dass es vorher einen Skandal um die Sachsen LB gab, dass Dresden den Welterbetitel verlieren wird und dass hier in unserer Heimat die Rechten fröhliche Urstände feiern, das findet in Ihrer Rede alles nicht statt. Vielleicht haben wir das alle nur geträumt? Das kann man doch nicht ignorieren oder verdrängen!
Tja, liebe Genossinnen und Genossen von der SPD – war da was? Gab es da eine Koalitionskrise? Die war nur wegen des Poltergeistes Georg Milbradt, ansonsten ist der Koalitionsvertrag in Ihren Augen vom Feinsten, nehme ich an? Hauptsache Regierung, egal wofür und wie lange.
Drei große Themen treiben Sie für die nächsten 16 Monaten also um: Arbeit, Bildung und Solidarität.
Nun, bei Arbeit führten Sie nur ein „Weiter so!“ aus. Bei Bildung haben Sie, wie ich finde, ein paar unumgängliche Korrekturen vorgetragen. Und bei Solidarität haben Sie ein riesiges Thema, ein Spitzenthema, ein gefühltes Brot-und-Butter-Thema der ostdeutschen Gesellschaft ausgepackt und dann verweisen Sie auf Dorfgemeinschaft, die Freiwillige Feuerwehr und die Sportvereine. Nichts davon ist schlecht. Aber meinen Sie wirklich, dieses Engagement könnte die fehlende Politik der Staatsregierung ersetzen? 
Ihr eigener Maßstab ist, dass Sie der Ministerpräsident aller Sachsen sein wollen. Wer aber nicht auf dem Dorf lebt, nicht in einem Verein ist und keine vollständige Familie hat – der hat hier in Sachsen schlechte Karten.
Wie ist es denn, mit den vielfältigen Lebensentwürfen in jeder Altersgruppe?
Mit einem Land, das attraktiv für Frauen?
Mit Migration und Integration?    
Ihre Rede klingt sehr nach den guten, alten ländlichen Idyllen des 19. Jahrhunderts, in denen Gessner u.a. das Goldene Zeitalter beschreiben und bukolische Hirtenszenen. Vielleicht steht einem Land, das auch vom Barock stark geprägt wurde, ein bisschen Schäferdichtung gut zu Gesicht – aber in einer Regierungserklärung?!
Menschenwürde durch Selbstbestimmung? Vielfalt der Lebensentwürfe? Fortschritt durch Vernunft statt Wachstum um jeden sozialen und ökologischen Preis? Demokratisierung der Gesellschaft? Vielleicht auch eine kluge Reform des Kapitalismus?
Davon habe ich wenig gehört.
Wir kriegen stattdessen nur wieder Milbradts Politik, etwas kuschliger verpackt. Im Gegensatz zur SPD hat mich die Kantigkeit des Alt-Ministerpräsidenten nie mein Hauptproblem – einige seiner politischen Prämissen hingegen schon. (…)
Vollständigen Wortlaut als PDF herunterladen:
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