Annekathrin Giegengack: Fehlende Daten sind das eine – schieres Desinteresse das andere
Redebeitrag des Abgeordneten Annekathrin Giegengack zur Großen Anfrage
"Entwicklung des Hortes als Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe und Betreuung nach § 16 Schulgesetz" (Drs 5/13728)"
100. Sitzung des Sächsischen Landtages, 09. Juli 2014, TOP 8
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,
lassen Sie mich mit drei grundlegenden Punkten beginnen:
1) Der Hort gehört in Sachsen zwar wie die Krippe und der Kindergarten zu den Kindertageseinrichtungen. Der zentrale Unterschied ist allerdings, dass, anders als im frühkindlichen Bereich, kein Rechtsanspruch auf Hortbetreuung besteht. Insbesondere berufstätige Mütter und Väter in den Großstädten sind daher bei Schuleintritt ihres Kindes mitunter mit der Situation konfrontiert, dass die Betreuung ihres Kindes nicht mehr abgesichert ist.
2) Obwohl der Bereich Kindertagesstätten beim Kultusministerium angesiedelt ist und das Landesjungendamt beim Sozialministerium, existieren auf Landesebene nur wenig fundierte Daten und Einschätzungen zur Situation und möglichen Problemlagen im Hort. So habe ich zum Beispiel im Dezember-Plenum 2013 angefragt, für welche Horte in Sachsen Anträge auf Betriebserlaubnis gestellt wurden und wo es zu Ausnahmegenehmigungen kam, weil die Platzkapazität überschritten wurde. Die Antwort nach – zwei! – Monaten lautete, man könne mir keine Auskunft geben.
In der Großen Anfrage erklärt man zu diesem Thema: "Die Unterlagen lassen eine Auswertung in dieser Detailliertheit nicht zu." Das heißt, es gibt keine Informationen über die Zahl der neu erteilten oder verlängerten Betriebserlaubnisse und keine Zahl, für welche Horte eine Erweiterung der Betriebserlaubnis beantragt wurde — und das, obwohl das Landesjugendamt unmittelbar beim Sozialministerium unterstellt ist.
Allein die Zahl der laufenden Verfahren lässt die Dimensionen, um die es geht, erahnen. So liegen beim Landesjugendamt 3.421 Anträge vor — 2013 gab es in zwei von drei Kindertageseinrichtungen Veränderungen bezüglich Personal, Kapazität oder Räumen. Neben den neun Personen des Amtes, die mit der Bearbeitung betraut sind, sind zusätzlich vier Personen bis Jahresende befristet eingestellt, um diesen Verfahrensstau zu beseitigen. Leider, und das zeigt die Schwierigkeit, sich auf Landesebene einen Überblick zu verschaffen, wird hierbei nicht nach Einrichtungsart, also Krippe, Kita bzw. Hort differenziert, sodass man nur spekulieren kann, wie viele der betreffenden Einrichtungen Horte sind und welche Dynamik es in diesem Bereich gibt.
Fehlende Daten sind das eine. Die Antwort der Staatsregierung auf die Große Anfrage dokumentiert mitunter ein schieres Desinteresse für die Probleme des Hortes. So gibt es angeblich keine Informationen, wie viele Schüler einer Schule in mehreren Horten betreut werden, wie der Transfer dieser Schüler geregelt ist, wie weit die Entfernungen zwischen den Standorten sind, wer die Aufsichtspflicht trägt oder wie die Finanzierung geregelt ist. Die Staatsregierung verweist dabei auf die Grenzen des jeweiligen Verantwortungsbereichs. Die Lücke, die dazwischen entsteht, scheint ihr egal.
3) Bei der Finanzierung werden die Horte ebenso wie Krippe und Kita von Landesseite eher stiefmütterlich behandelt. Die Große Anfrage konnte zeigen, wie die Grundlage der Finanzierung des Hortes immer wieder wechselte. Erst orientierte man sich an den Betriebs-, dann an den Personalkosten, dann reichte man einen pauschalen Anteil an den Gesamtkosten aus, dann hantierte man wieder mit Durchschnittswerten.
Seit 2002 gibt es nun die Landespauschale, die seit 2005 eingefroren ist, mit Aussicht auf die erste Erhöhung nach zehn Jahren zum 1. Januar 2015. 2012 summierten sich die Kosten für einen Hortplatz auf monatlich 462,80 Euro. Da kann man bei einem Landesanteil von 104,20 Euro pro Monat und Platz nicht mehr von einer Drittelfinanzierung sprechen, wie sie ja eigentlich für alle Kindertageseinrichtungen gelten soll. Ein Drittel wären 154,26 Euro.
Welche konkreten Baustellen gibt es nun aus unserer Sicht?
Zuerst sehe ich ein zunehmendes Kapazitätsproblem. Es ist längst keine Ausnahme mehr, dass Eltern trotz Berufstätigkeit plötzlich ohne Betreuung dastehen oder erst einmal Auswahlkriterien erfüllen müssen, um einen Hortplatz für ihr Kind zu bekommen. Hier seien stellvertretend Dresden, Delitzsch oder Wermsdorf genannt.
In der 68. Grundschule in Dresden wird dem Platzproblem bereits mit diversen "kreativen" Lösungen begegnet. So werden die Betreuungsverträge befristet und die Schule wird in Zukunft mit drei verschiedenen Hortstandorten zusammenarbeiten. Dem Landtag liegt dazu mittlerweile eine Petition mit 1.250 Unterschriften vor und ich kann nur nachdrücklich appellieren, diesen Vorgang nicht auszusitzen. Er weist auf Probleme hin, die sich aufgrund steigender Schülerzahlen eher vermehren als vermindern dürften.
Neben den logistischen Problemen für die Eltern ergeben sich durch Auslagerung und "Hort-Shuttle" auch handfeste Nachteile für die Kinder: sie können die Ganztagsangebote ihrer Schule nicht mehr wahrnehmen. Wie Markert und Weinhold in ihrer Studie von 2009 feststellten, wird die räumliche Nähe von Schule und Hort jedoch als wichtige Basis für den Austausch und die Zusammenarbeit gesehen – ein gemeinsames Gebäude gar als Voraussetzung für ein kooperatives Ganztagsangebot. Zitat: "Eine gleichwertige Zusammenarbeit mit mehreren Horten", so heißt es, "erscheint auf Grundlage der Studien als illusorisch. […] Je mehr Horte mit einer Grundschule kooperierten, desto schlechter wurde von dieser die Zusammenarbeit bewertet."
Die zweite Baustelle. Der Hort ist seit Jahren weder Fisch noch Fleisch und der Ausbau von Ganztagsangeboten verstärkt dieses Problem. Die Staatsregierung macht es sich einfach, wenn sie ausführt: "Voraussetzung für eine gelingende Kooperation zwischen Grundschule und Hort/en sind Kommunikationsprozesse, die Inhalte, Organisationsformen, Verantwortlichkeiten und zu lösende Probleme bei der Planung und Umsetzung von Ganztagsangeboten (GTA) in den Mittelpunkt stellen." Dabei gibt es keinerlei Auskunft, welche Grundschulen mit GTA überhaupt mit Horten kooperieren. In der Antwort auf die Große Anfrage heißt es: "Es ist davon auszugehen, dass alle Grundschulen mit mindestens einem Hort eine Kooperationsvereinbarung abgeschlossen haben." Man vermutet also.
Angesichts der Bedeutung, die dem Bildungsplan zukommt, war es nur selbstverständlich, auch den Hort mit einzubeziehen. Umso erstaunlicher ist es, dass er bei der Evaluation des Bildungsplanes bis heute ausgeklammert wird. Der Bildungsplan gilt für Kinder bis zum 10. Lebensjahr und ist kein schulischer Lehrplan. Es wird höchste Zeit, dem Rechnung zu tragen und zu untersuchen, wie der Bildungsplan in den Horten umgesetzt wird, denn die Einrichtung hat einen eigenen Bildungsauftrag und auch einen anderen Blick auf die Bildungsprozesse als die Schule.
Die Beziehung zwischen Hort und Grundschule ist die eine Seite, die zur Ganztagsgrundschule die andere. Die Vision der Staatsregierung lautet: "Es geht also auch weiterhin um eine Qualifizierung der Zusammenarbeit von Hort und Schule unter Beibehaltung der bestehenden Systeme."
Meine Damen und Herren, dabei wird verkannt, dass sich hier zwei Systeme gegenüberstehen: auf der einen Seite der Hort als Ergänzung der Halbtagsschule und auf der anderen Seite die Ganztagsschule.
Ganztagsangebote der Schule konterkarieren z. T. sogar die Umsetzung des Bildungsplans in den Horten. Es wird mitunter davon gesprochen, dass Erzieherinnen zu "Dispatchern" herabgestuft werden, die nur noch dafür zu sorgen haben, dass die Kinder zwischen Schule und Ganztagsangeboten zur rechten Zeit am rechten Fleck sind — das kann nicht Ziel und Auftrag der Horte sein. Horte sind weder Kontroll- und Verschickungsinstanz noch Erfüllungsgehilfe oder Lückenbüßer, sondern, zumindest im Idealfall, Partner.
Sie spielen eine wichtige Rolle beim gemeinsamen Konzept für Bildung, Erziehung und Betreuung.
Es ist kein Geheimnis, dass wir GRÜNE für Ganztagsschulen streiten. Fakt ist aber auch: nur eine sehr kleine Minderheit der Grundschüler besucht tatsächlich rhythmisierte Ganztagsgrundschulen, wie der Aktionsrat Bildung in seiner Zwischenbilanz aufzeigt. Auch wenn die gebundene Ganztagsschule die Zukunft sein mag, so muss jetzt eine Lösung gefunden werden im Sinne der Kinder und deren Eltern, denn die Nachfrage nach einem Hortplatz ist da und sie steigt seit Jahren weiter an: trotz des Ausbaus der Ganztagsangebote liegt die Teilnehmerquote beim Hort bei über 80 Prozent.
Doch so lange der Freistaat nicht bereit ist, diese Problematik anzugehen, bleiben die Horte notwendigerweise hinter ihren Möglichkeiten zurück, werden weder im Zuge des Bildungsplans genannt noch bei der Betrachtung von Ganztagsangeboten. Nehmen Sie die Große Anfrage zum Anlass, sich insbesondere den konzeptionellen Fragen zu stellen — über den Bildungsplan und die Ganztagsangebote, ggf. auch über die Fördermittel im Schulhausbau hat der Freistaat durchaus Stellschrauben. Der Freistaat sollte nicht allein auf die kommunale Verantwortung und die Bedeutung von Kommunikation verweisen, sondern selbst ernsthaft hinterfragen, wohin die Reise denn gehen soll.