Annekathrin Giegengack: Sachsen braucht eine regionalisierte Bedarfsprognose für die Kindertagesbetreuung
Redebeitrag von Annekathrin Giegengack zum Antrag der GRÜNEN-Fraktion "Regionalisierte Personalbedarfsprognose Kindertagesbetreuung" (Drs.5/10365), 73. Sitzung des Sächsischen Landtages, 17. April 2013, TOP 11
– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
zu später Stunde noch ein Antrag von uns zum Thema Kita. Ab dem 1. August 201 3 gibt es nicht nur einen gesetzlichen Anspruch auf einen Kindergartenplatz, sondern bundesweit auch einen gesetzlichen Anspruch auf einen Krippenplatz. Das stellt die Bundesländer vor erhebliche Herausforderungen. Zum einen müssen die Plätze geschaffen werden. Dazu hat der Bund lnvestitionsmittel zur Verfügung gestellt. Zum anderen muss das nötige Fachpersonal vorgehalten werden. Das müssen die Länder selbst regeln.
Im Jahr 2010 hat der Vorstandsvorsitzende und Direktor des DJI, Prof. Rauschenbach, gemeinsam mit Thomas Schilling eine erste Modellrechnung zum sogenannten U3-Ausbau und seine personellen Folgen für alle Bundesländer vorgelegt. Auf der Basis der prognostizierten Geburtenentwicklung, eines kontinuierlich steigenden Betreuungsbedarfes, des Alters des Fachpersonals und der Ausbildungskapazitäten wurden für alle Bundesländer Entwicklungsszenarien für den Personalbedarf veröffentlicht.
Dieser länderspezifische Personalbedarf wurde Ende 2012 noch einmal aktualisiert. Es wurden in den Jahren nicht nur mehr Personen eingestellt, sondern auch der Betreuungsgrad hat sich verändert. So besuchen mittlerweile in Sachsen im Durchschnitt 42 Prozent der Einjährigen und 68,5 Prozent der Zweijährigen eine Einrichtung. Diese veränderten Bedarfe mussten in den neuen Berechnungen berücksichtigt werden, denn der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz besteht, egal, von welchem Ausgangsniveau man kommt.
Auch die Staatsregierung, das SMK, hat auf der Basis der Vierten und Fünften Regionalisierten Bevölkerungsprognose, der Betreuungsgrade und des Altersdurchschnitts des jetzigen Personals bei gleichbleibenden Personalstandards – also einem Personalschlüssel, wie wir ihn jetzt haben — eine Prognose für die erforderlichen Fachkräfte in den Kindertagesstätten Sachsens bis zum Jahr 2030 erstellt. Leider hält uns das SMK mit Informationen immer sehr kurz. So wurde als Antwort auf meine letzte Frage, die ich dazu gestellt habe, ein Personalbedarf in Vollzeitäquivalenten pro Jahr bis zum Jahr 2030 ausgewiesen.
Ich glaube, es wäre ein Leichtes für das Ministerium gewesen, uns in diesem Zusammenhang mitzuteilen, wie viele Personen pro Jahr in Rente gehen und wie viele junge Fachkräfte ihre Ausbildung beenden werden. Diese Daten liegen auf jeden Fall vor.
Die entscheidende Frage ist doch: Können wir den Bedarf tatsächlich decken? Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft schließt Engpässe in Zukunft nicht aus. Seit dem Jahr 2007 hat der Freistaat zwar seine Fachschulkapazitäten für staatlich anerkannte Erzieher von knapp 400 Plätzen auf 1.600 Plätze vervierfacht. Von den derzeit 26.500 Erzieherinnen und Erziehern in Sachsen gehen jedoch in den kommenden 15 Jahren 14.000 in Rente.
Die Altersstruktur der Erzieherinnen ist aufgrund der unterschiedlichen Personalpolitik der Kommunen in den Neunzigerjahren nicht in allen Regionen Sachsens gleich. Ebenfalls unterschiedlich sind der Betreuungsgrad und der Betreuungsbedarf.
So liegt der Anteil der betreuten Kinder unter drei Jahren – gemessen an allen Kindern in diesem Alter – in den Landkreisen Leipzig und Nordsachsen bei 54 Prozent. Die niedrigste Betreuungsquote gibt es im Erzgebirgskreis mit 41 Prozent. Auch dies hat erheblichen Einfluss auf den Personalbedarf.
Es ist in allen Bundesländern so, dass es regionale Unterschiede gibt. Darauf haben auch die Autoren der bundesweiten Studie hingewiesen und – um den begrenzten Untersuchungsansatz auszugleichen – eine regionalisierte Betrachtung des Personalbedarfs und der Personaldeckungsmöglichkeiten empfohlen. Das Land Hessen ist dieser Empfehlung gefolgt. Dabei wurde deutlich – Sie haben es vielleicht in der Begründung gelesen -, dass drei Viertel des errechneten Fehlbedarfs an Erzieherinnen und Erziehern nur in vier der 33 Jugendamtsbezirke in Hessen zu erwarten ist. Konkret heißt das: Von den 3.500 fehlenden Erzieherinnen und Erziehern in Hessen fehlen allein 1.400 in Frankfurt. Das bedeutet, dass es zum Beispiel nicht sinnvoll ist, die Ausbildungskapazitäten im Landkreis Kassel zu erhöhen, sondern eher in Frankfurt und in Offenbach.
Wir halten auch für Sachsen eine solche regionalisierte Personalprognose für sinnvoll. Es macht keinen Sinn, wenn wir zum Beispiel in Plauen Erzieherinnen und Erzieher in Größenordnungen ausbilden, die vor allen Dingen in Leipzig und in Dresden gebraucht werden. Denn — dies mussten wir schon bei den Grundschullehrern und Grundschullehrerinnen zur Kenntnis nehmen — auch diese
Berufsgruppe ist sehr heimatverbunden. Bei den Grundschullehrerinnen und Grundschullehrern haben wir reagiert und in Chemnitz eine Ausbildungsstätte eröffnet. In Zukunft kann man in Chemnitz sogar wieder Grundschullehramt studieren.
Lassen Sie uns auch bei den Erzieherinnen und Erziehern den Bedarf genau analysieren, um adäquat darauf reagieren zu können. Die Kosten einer solchen Studie – wir haben uns informiert – belaufen sich auf circa 15.000 Euro.
Ich glaube, hier kann mit einer für den Freistaat vergleichsweise geringen Summe eine ganze Menge erreicht werden.
In diesem Sinne bitte ich um Ihre Zustimmung.
Schlusswort:
Sehr geehrte Frau Präsidentin, vielen Dank.
Frau Klepsch, genau das ist ein wesentlicher Punkt. Die Übergangsquote in der Kita liegt nämlich bloß bei ca. 65 Prozent.
Ich habe von einer Zwischenfrage abgesehen, liebe Frau Saborowski-Richter, weil die Fachfrau der CDU-Fraktion heute nicht da ist, sonst hätte ich etwas schärfer reagiert.
Die kommunale Bedarfsplanung, Demografie-Monitor, regionale Bevölkerungsprognose, das stellt alles auf den Betreuungsbedarf ab und nicht auf den Bedarf an Personal. Wenn die CDU-Fraktion so überzeugt ist, dass es da keine Problematik gibt, dann kann die CDU-Fraktion uns ja zusichern, dass wir am 01.08. den gesetzlichen Anspruch auf einen Krippenplatz für alle sicherstellen können.
Was das Land für einen Durchblick im Bereich Personal hat, kann man, denke ich, nur allein daran ablesen, dass vor einem halben oder dreiviertel Jahr das Land die Grundausbildung für die Erzieherausbildung, den Sozialassistenten, alternativlos komplett abschaffen wollte und damit innerhalb von zwei oder drei Jahren die Erzieherausbildung Sachsens komplett lahmgelegt hätte. So einen großen Durchblick hat unser Land.
Zur erwähnten Studie komme ich nachher noch einmal, wenn ich auf Frau Kurth eingehe. Frau Schütz, Sie haben gesagt, mit einem Betreuungsgrad von 46 Prozent liegen wir bereits über dem angepeilten Ziel bei der Betreuung der unter Dreijährigen. Dazu muss man sagen: Egal, von welchem Niveau wir starten, wir müssen den gesetzlichen Anspruch auf einen Kitaplatz sicherstellen. Auch wenn der Betreuungsgrad bei 75 Prozent liegen würde, müssten wir dementsprechend Plätze und Personal zur Verfügung stellen. Dass Sie sich keine Sorgen machen, freut mich.
Dann könnte vielleicht die FDP-Fraktion konkrete Aussagen dazu treffen, ob wir den Personalbedarf tatsächlich sicherstellen können.
Frau Kurth, Sie sagen, die Ergebnisse der regionalisierten Personalprognose liegen in sechs Wochen vor, sind jedoch immanenter Teil der Studie „Den demografischen Wandel gestalten, lebenslanges Lernen und lnnovationsfähigkeit befördern“. Es ist wirklich ein absoluter Hohn! In der Stellungnahme sagen Sie, über den Zeitpunkt und die Form der Veröffentlichung dieser Studie wird nach Vorliegen der Gesamtergebnisse zu entscheiden sein. Ja, wann sagen Sie es uns denn? Nächstes Jahr? In zwei Jahren?
Was Sie mit diesen Studien machen, das sehen wir zum Beispiel auch an der Evaluation der Ganztagsangebote. Die Studie hat über 1 Million Euro gekostet und liegt bei Ihnen im Ministerium. Wir haben sie nie gesehen.
Was ist mit der Studie über die selbstständigen Schulen? Sie liegt bei Ihnen im Ministerium. Wir haben sie nie gesehen.
Was machen wir mit den ganzen Studien, wenn sie uns nicht zur Verfügung gestellt werden?
Geben Sie uns in sechs Wochen die Ergebnisse.
Sichern Sie uns das hier zu. Dann ziehen wir unseren Antrag zurück.
Ansonsten bitte ich um Zustimmung.
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