Annekathrin Giegengack: Zum Thema Freie Schulen liegt nun Antrag zur Abstimmung vor, der das Urteil aufgreift und seine zügige Umsetzung einfordert

Redebeitrag der Abgeordneten Annekathrin Giegengack zum Antrag der Fraktionen GRÜNE, SPD, Linke "Umsetzung des Verfassungsgerichtshofurteils zu Ersatzschulen in freier Trägerschaft" (Drs 5/13292), 89. Sitzung des Sächsischen Landtages, 18. Dezember 2013, TOP 10

– Es gilt das gesprochene Wort –
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Meine Damen und Herren,
ohne jeden Zweifel, es besteht ein unmittelbarer Zusammenhang – quasi eine innere Verbindung zwischen dem herrschenden Gesellschaftssystem in einem Lande und seinem Bildungssystem. Und mir erscheint die Entwicklung Deutschlands als geradezu beispielhaft für diese Beziehung. „Je mehr im Ganzen das System herrscht, dass die Regierung das Volk bevormundet, desto mehr wird sie in das Erziehungswesen eingreifen", stellte schon Friedrich Schleiermacher fest und so musste meine Großmutter noch Loblieder auf den Kaiser lernen.
Der erste deutsche Staat, der sein Schulmonopol wirklich in Frage stellte war die Weimarer Republik. Mit klaren Vorgaben zu Genehmigung und Sonderungsverbot wurde in Artikel 147 der Weimarer Verfassung die Privatschulfreiheit erstmals gesetzlich garantiert. Dies währte nicht lange, meine Damen und Herren, knapp 15 Jahre später wurde diese Privatschulfreiheit wieder einkassiert und Ende der 30 Jahre hatten die Nationalsozialisten alle freien Privatschulen geschlossen. Nach 1945 wurde in der DDR das Einheitsschulsystem der Polytechnischen Oberschule etabliert, in der Bundesrepublik hingegen griff man die Weimarer Regelung zur Privatschulfreiheit wieder auf. Und angesichts der einschneidenden Erfahrungen, die man mit dem staatlichen Schulmonopol zu NS Zeiten gemacht hatte, wurde in das deutsche Grundgesetz darüber hinaus das Recht zur Errichtung freier Schulen festgeschrieben.
Dieses Recht, meine Damen und Herren, wurde 1990 dann auch in die sächsische Verfassung übernommen. Und auch die sächsischen Verfassungsgeber ließen sich leiten von ihren Erfahrungen und Einsichten, als sie den Schulartikel schrieben und gingen über die Grundgesetzregelung hinaus. So nahmen sie den Schulgeldersatz in die Verfassung auf und stellten öffentliche und freie Schulen gleich.
Meine Damen und Herren Art. 102 Absatz 2 ist nicht nur eine Absage an das staatliche Schulmonopol, er betont vielmehr, dass öffentliche wie freie Schulen gleichermaßen Adressaten des Bildungsauftrages der Verfassung sind „ohne dass ein Vorrang des einen oder anderen besteht“. Dementsprechend erteilen die Verfassungsrichter auch dem hier gern angewendeten Konnexitätsprinzip bei der Förderung freier Schulen eine klare Absage. Die freien Schulen bekommen keine Aufgaben übertragen oder erfüllen stellvertretend für den Staat eine Aufgabe. „Der Schulbetrieb an Ersatzschulen ist Ausdruck einer Grundrechtsbetätigung und nicht einer staatlichen Aufgabenübertragung.“ heißt es im Urteil.
Wir haben damit eine der fortschrittlichsten Regelungen zum Bildungssystem in Deutschland überhaupt, beispielhaft und kühn. Leider wird dies nicht ausreichend gewürdigt bzw. berücksichtigt.
So hat die Staatsregierung mit der Mehrheit der Koalition 2010 mit dem Haushaltbegleitgesetz große Einschnitte bei der Finanzierung der freien Schulen vorgenommen. Unter dem Vorwand des anhaltenden Schulsterbens im ländlichen Raum und einer angeblichen Finanzlücke von über einer Milliarde Euro im Landeshaushalt wurde die Wartefrist freier Schulen auf vier Jahre erhöht, die Schulgelderstattung für Kinder aus einkommensschwachen Elternhäusern gekappt und die Finanzierung freier Schulen an die Erreichung einer Mindestschülerzahl gekoppelt.
Meine Damen und Herren, ich will mich jetzt nicht daran abarbeiten, dass sie es doch hätten besser wissen müssen usw. mich hat vor allem eine Frage seit dem beschäftigt: Wie war das eigentlich möglich, eine Mehrheit für solche Einschnitte zu bekommen? Und ich bin zu der Auffassung gekommen, dass es bis heute in unserem Land eine große Skepsis gegenüber den Freien Schulen gibt, weiter Vorurteile ihnen gegenüber herrschen und Ressentiments gepflegt werden. Und da ist der Kannibalismusausspruch von Roland Wöller eigentlich nur die Spitze des Eisbergs.
So fand ich z.B. in der letzten Ausgabe der „Neuen sächsischen Lehrerzeitung“ dem Organ des sächsischen Lehrerverbandes unter der Überschrift „Freie Schulen im Erzgebirge“ folgende Einschätzung: „Diese Schulen dürfen eigene Lern- und Pädagogikkonzepte entwickeln und werden von der Schulaufsichtsbehörde nur überprüft, wenn der Wunsch besteht, anerkannte Prüfungen abnehmen zu können… Leider ist vielen Eltern nicht bewusst, dass Gleichwertigkeit nicht immer gegeben ist… Die Bewertung der Leistungen der Schüler wird intensiv mit den Eltern besprochen, um Konsens zu finden, der vielleicht auch in manchem Fall zu hinterfragen wäre. Grundsätzlich können freie Schulen sicher eine Bereicherung der Bildungslandschaft sein, aber staatliche Einrichtungen zu verdrängen, Bildungsqualität in vielen Fällen erst an zweite Stelle zu setzen, kann nicht das Anliegen der Politik in Dresden sein.“ Das ist die Auffassung des Landesvorstandes des sächsischen Lehrerverbandes!
Hier rächt sich, dass wir nie wirklich eine offene Diskussion über die Freien Schulen und ihren Beitrag zur Erfüllung des verfassungsmäßigen Bildungsauftrages geführt haben.
So ist es nicht wahr, meine Damen und Herren, dass die freien Schulen verantwortlich sind für das Schulsterben im ländlichen Raum. Sie sind der Sündenbock, dafür, dass wir nicht runter kommen von unseren starren Mindestschülerzahlregelungen, die an der Realität im ländlichen Raum vorbeigehen. Ich konnte durch zwei Landtagsanfragen klar nachweisen, dass keine einzige staatliche Schule wegen einer freien Schule geschlossen wurde – die freien Schulen vielmehr die geschlossenen staatlichen ersetzten.
Es ist auch nicht wahr, das freie Schulen nur etwas für die Kinder der Besserverdienenden sind, schon gar nicht hier in Sachsen. Und das man an freien Schulen nur „rumlungert“ oder das „Alphabet tanzt“. Die Schülerleistungen von Schülern an freien Schulen sind signifikant besser – auch nach Herausrechnung des familiären Hintergrunds – ich verweise auf die Untersuchungen von Prof. Wössmann vom ifo Institut München. Die Durchschnittsleistungen von Schülern in Bundesländern mit einem größeren Anteil privat geleiteter Schulen sind tendenziell höher – und das hat nicht nur damit zu tun, dass die privaten Schulen besser abschneiden, sondern auch die staatlichen, wenn sie dem Wettbewerb durch freie Schulen ausgesetzt sind. Das Entscheidende dabei ist jedoch – und das stellt Wössmann dezidiert heraus – die Finanzierung muss stimmen.
Und da sind wir an dem neuralgischen Punkt. Wir wissen alle, was die freien Schulen besonders auszeichnet, ist die hohe Identifikation der Lehrer, Eltern und Schüler mit ihren Schulen und diese Identifikation schlägt sich nieder in einem großen Engagement. Doch hier ist der Bogen überspannt worden in den letzten Jahren, meine Damen und Herren. Mit einer willkürlich festgelegten Sachkostenpauschale, die seit 2007 nicht mehr angepasst wurde und Personalkosten, die letztlich nur zu knapp 50-60 Prozent die realen Kosten abdecken, ist die Grenze der Belastung erreicht.
Meine Damen und Herren, die Anforderungen an die Erteilung einer Genehmigung einer Schule in freier Trägerschaft sind hoch, denn sie sollen die Qualität und – mit Blick auf das Sonderungsverbot – die Integrationsfunktion des Schulwesens in unserer demokratischen Gesellschaft gewährleisten. „Daher muss – und ich zitiere aus dem Urteil des Verfassungsgerichtshofes – der Staat dem Ersatzschulwesen, soll die Freiheit zur Gründung von Ersatzschulen nicht zu einer rechtlichen Gewährleistung ohne tatsächliche Ausübungsmöglichkeit werden, Schutz und Förderung zukommen lassen.“
Und dieser Schutz und diese Förderung, meine Damen und Herren, muss erfolgen ohne besondere Bedingungen. Ist eine Ersatzschule genehmigt, weil sie die Anforderungen aus Artikel 102 Abs.3 erfüllt (d.h. nicht hinter den Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrer nicht hinter öffentlichen Schulen zurücksteht und die Schüler nicht nach den Besitzverhältnissen der Eltern gesondert werden), darf der Gesetzgeber sie grundsätzlich nicht gegenüber öffentlichen Schulen benachteiligen oder bestimmte Ersatzschulen im Verhältnis zueinander ohne Weiteres bevorzugen. Damit können sie ihren Parteitagsbeschluss vom 9.11.2013 liebe FDP zu den freien Schulen zur Hälfte eindampfen.
Meine Damen und Herren von der Koalition. Von mir werden sie keine Häme hören in Bezug auf das Urteil. Ich räume ein, die Klarheit und Eindeutigkeit, mit der die Verfassungsrichter hier geurteilt haben, hat auch unsere Erwartungen überstiegen. Ich habe bereits zur PK nach der Urteilsverkündung unsere Zusammenarbeit angeboten. Jetzt liegt hier ein Antrag zur Abstimmung vor, der das Urteil aufgreift und seine zügige Umsetzung einfordert.
Sowohl Herr Bienst von der CDU als auch Herr Bläsner von der FDP haben für ihre Fraktionen über Pressemitteilungen erklärt, dass sie dieses Anliegen teilen. Dass sie heute nicht über ihren Schatten springen können und den Antrag in den Ausschuss schieben wollen finde ich enttäuschend, denn es geht hier nicht um irgendwelche Eitelkeiten, sondern die Freien Schulen.

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