Annekathrin Giegengack zur Aktuellen Debatte über den demografischen Wandel

Redebeitrag der Abgeordneten Annekathrin Giegengack zur Aktuellen Debatte "Gestaltung des demografischen Wandels in Deutschland – Sachsen ist Vorbild" in der 43. Sitzung des Sächsischen Landtages, 13.10., TOP 1
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Es ist schwer, nach einer so hitzigen Debatte nun wieder zum Thema zurückzufinden. Ja, es gibt hier eine Art im Landtag, die mich von Anfang an befremdet und abstößt: dass es hier immer wieder zu Lobhudelei und Setbstbeweihräucherung kommt. Gerade das heutige Thema „Gestaltung des demografischen Wandels in Deutschland — Sachsen ist Vorbild“ ist für mich ein Ausdruck dessen.
Ich kann in diesem Bereich, in dem ich unterwegs bin, in der Bildungspolitik, wenig Vorbild und wenig Gestaltung in Bezug auf demografischen Wandel erkennen. Was war denn die Antwort des Freistaates auf den massiven Rückgang der Schülerzahlen, vor allem im ländlichen Raum? Eine massive Schulschließungspolitik. Das ist außerordentlich "innovativ" und "vorbildhaft", würde ich sagen.
Es wurde das Schulmoratorium angesprochen. Das hat für mich nichts mit Gestaltung des demografischen Wandels zu tun, sondern hier werden einfach Entscheidungen ausgesetzt. Hier wird ausgesessen, weil man keine Entscheidung treffen will oder kann.
Ein weiteres Problem: die Lehrer. Welche Strategie hat der Freistaat hinsichtlich des Personalmanagements bei den Lehrern verfolgt? Dazu muss man sagen: gar keine,überhaupt nichts.
Das ist wirklich "sehr empfehlenswert" und "nachahmenswürdig". Ich kann es nicht nachvollziehen. Herr Fritzsche sagte, alle Entscheidungen im Freistaat werden einer Demografiefähigkeitsüberprüfung — oder so ähnlich — unterzogen. Nur: Was ist denn mit der Problematik, wenn überhaupt keine Entscheidungen getroffen werden? Dann wird dahin gehend auch überhaupt keine Überprüfung vollzogen, und damit sind wir handlungsunfähig.
Ich könnte Ihnen nun Zahlen und Fakten herbeten in Bezug auf die Altersstruktur der Lehrer, den Lehrermangel, die fehlenden Studierendenzahlen im Bereich Lehramt, die vielen Absolventen im Lehramt, die Sachsen den Rücken gekehrt haben, weil sie keine Referendariatsstelle bekommen haben, die Anzahl der Schüler ohne Abschluss, die hohe Förderschulquote usw.
Für mich ist es nicht nachvollziehbar, wie man sich hinstellen und sagen kann, dass wir den demografischen Wandel in diesem Bereich gestalten und für Deutschland Vorbild sein wollen.
Bildung ist eine wesentliche Voraussetzung für den beruflichen Erfolg, für persönliche Zufriedenheit und gesellschaftliche Teilhabe. Es ist nicht nur eine ethisch-moralische Verpflichtung, jedes Kind optimal zu fördern, sondern auch eine wirtschaftliche Herausforderung angesichts des Fachkräfte- bzw. Arbeitskräftemangels, dem wir entgegengehen.Jn allen Qualifikations- und Tätigkeitsbereichen.
Im Jahr 2030 werden voraussichtlich bundesweit 450 000 Lehrerinnen und Lehrer, 580 000 Ingenieure fehlen. Nach aktuellen Prognosen steuert Sachsen bereits im Jahr 2014 auf eine schwierige Situation zu. Dann wird nämlich erstmals die Anzahl der jährlichen Berufsausteiger die Anzahl der Berufseinsteiger übertreffen. Damit sind wir doch an dem Punkt, bei dem wir schon längst hätten gestalten müssen. Wenn es uns gelänge, die Quote der Schul- und Ausbildungsabbrecher jeweils um 50 zu senken, bekämen auf einmal 22 000 junge Menschen in Sachsen eine berufliche Perspektive. Eine 20%ige Senkung des Anteils der Geringqualifizierten würde 19000 Fachkräfte für Sachsen gewinnen. Von daher ist die Nachwuchsförderung eine außerordentliche Herausforderung und die entscheidende Investition in die Zukunft unseres Landes.
Was aber hat Sachsen bezüglich der abschlussgefährdeten Kinder und Jugendlichen gemacht? Wir veranstalten Feriencamps und produktives Lernen und sagen: Das ist unsere Förderung dieser Jugendlichen. Dazu muss man aber sagen, dass diese Maßnahmen zum größten Teil über EU-Mittel finanziert werden. Wie sieht es aber in Zukunft aus, wenn die EU-Mittel nicht mehr in dieser Größenordnung fließen? Was machen wir dann? Dann bleiben wir bei der Quote, die wir jetzt haben oder was?
Wir brauchen eine langfristige Überlegung in Bezug auf die Schulnetzplanung. In dem Handlungskonzept — es ist heute schon angesprochen worden — zwischen den ostdeutschen Ländern und dem Bundesbeauftragten wird vorgeschlagen, die Schulen zu konzentrieren und größere Schüler in Internate zu schicken. Das ist doch nicht innovativ, das kann doch nicht unsere Antwort auf den demografischen Wandel sein.
Wir sagen ja die Gestaltung des demografischen Wandels muss unbedingt erfolgen, man muss endlich mal anfangen und loslegen. Ich halte Sachsen — jedenfalls im Bereich Bildung — diesbezüglich nicht für ein Vorbild.
Vielen Dank.