Annekathrin Giegengack zur Debatte „Medizinstudium weiterentwickeln“

Grünen Antrag erst ablehnen, dann kopieren, aber die wesentlichen Punkte – Aufwuchs der Humanmedizinstudienplätze – weglassen
Redebeitrag der Abgeordneten Annekathrin Giegengack zum Antrag der Fraktionen CDU und FDP „Medizinstudium weiterentwickeln – Vorsorge für den künftigen Bedarf von Ärzten treffen“ (Drs. 5/2702) in der 17. Sitzung des Sächsischen Landtages, 16. Juni, TOP 8
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wie immer wenn ich in den Landtag komme, gehe ich zuerst zu den Postfächern. So auch am 7.Januar diesen Jahres. Beim Durchsehen der Post stoße ich auf eine Anfrage zum Ärztemangel. Doch die Antwort auf diese Anfrage ist anders. Hier hängt ein Extrablatt dran, das sich in Form und Sprache von den üblichen Antworten unterscheidet. Es wirkt wie ein ministeriumsinternes Memo.
Das SMS hätte alle Möglichkeiten zur Nachwuchsgewinnung innerhalb der Ärzteschaft ausgeschöpft – heißt es da-, es müssten nun Maßnahmen im universitären Bereich forciert werden, um dem drohenden Ärztemangel entgegen zu wirken. Drei Maßnahmen werden aufgezählt:

  1. Erhöhung der Anzahl der Studienplätze für Humanmedizin als wirksamste Maßnahme gegen den Ärztemangel
  2. Modifizierung des Zulassungsverfahrens zum Medizinstudium und
  3. Einführung frühzeitiger Pflichtpraktika im ambulanten Bereich.

In dem Memo wird darauf verwiesen, dass das SMS seit vier Jahren auf die Umsetzung dieser Maßnahmen dränge, das SMWK jedoch jegliche Unterstützung hierbei ablehne.
Nach der Auswertung dieser Anfrage im Arbeitskreis entschließen wir uns zu einem Antrag, der die Forderungen des SMS komplett aufgreift. Da die Materie kompliziert ist, machen wir Ende Januar einen Termin bei der medizinischen Fakultät in Leipzig. Zurück in Dresden bauen wir die Anregungen der Fachleute aus Leipzig in unseren Antrag ein und bringen ihn am 19. Februar in den Geschäftsgang.
Am 12. März wird die Stellungnahme des SMWK zu unserem Antrag ausgereicht, sie ist niederschmetternd. Im Namen der Staatsregierung werden alle vom SMS vorgeschlagenen Maßnahmen in Bausch und Bogen verworfen. Bei der Erhöhung der Studienplätze zieht man sich auf den Hochschulpakt zurück. Bei der Modifizierung des Zulassungsverfahrens heißt es, dass die med. Fakultäten, die bestehenden Regelungen bereits sinnvoll nutzen würden. Und auch hinsichtlich der Einführung frühzeitiger Praktika im ambulanten Bereich würde von Seiten der med. Fakultäten bereits alles getan.
Am 31. Mai wird unser Antrag in den entsprechenden Ausschüssen behandelt. Im Hochschulausschuss müssen wir uns stellvertretend für das SMS vom hochschulpolitischen Sprecher der CDU Fraktion anhören, dass dies ja nun in keinster Weise geeignete Maßnahmen gegen den Ärztemangel seien und wir doch mal den Dialog mit den Praktikern suchen sollten, bevor wir so was in die Welt setzten. Im Anschluss an die kurze Diskussion wird auch noch der juristische Dienst bemüht, der absegnen soll, dass der Hochschulausschuss unseren Antrag bereits auf Vorrat ablehnen dürfe, auch wenn der mitberatende Sozialausschuss noch gar kein Votum abgegeben hat.
Drei Stunden später steht unser Antrag auf der Tagesordnung des Sozialausschusses. Frau Strempel von der CDU würgt in einer eigenartigen Mischung aus Lob und Kritik unseren Antrag ab und plädiert für Ablehnung. Die Ministerin, die die Antwort auf die Anfrage zum Ärztemangel persönlich unterschrieben hat, sagt kein Wort sondern fordert vielmehr den Vertreter des SMWK auf, zu unserem Antrag Stellung zu nehmen.
Vielleicht können Sie sich vorstellen wie überrascht ich nach dieser Geschichte war, als ich am 7. Juni den Antrag der CDU/FDP aus dem Briefkasten zog „Medizinstudium weiterentwickeln – Vorsorge für den künftigen Bedarf von Ärzten treffen“.
Dass sie ein solches Vorgehen nötig haben, spricht für sich, das muss ich nicht kommentieren. In meiner Achtung sind sie durch diese Aktion jedenfalls nicht gestiegen. Zustimmen können wir ihrem Antrag jedoch trotzdem nicht, auch wenn er viele Punkte von uns aufgreift, denn sie haben die ganze Sache – wie mein Professor zu sagen pflegte – nur verschlimmbessert.
Den wesentlichen Punkt unseres Antrages – Aufwuchs der Humanmedizinstudienplätze – haben sie ganz weg gelassen. Bei der Modifizierung des Zulassungsverfahrens schießen sie weit übers Ziel hinaus und bei den frühzeitigen Pflichtpraktika im ambulanten Bereich bleiben sie allgemein und unverbindlich. Nur beim vierten Punkt – Evaluation des Stipendienprogramms – können wir uneingeschränkt zustimmen, denn dies entspricht fast wortgleich unserer Forderung von vor einem halben Jahr in unserem Bedarfsplanungsantrag, den sie damals komplett abgelehnt haben. Deshalb bringen wir heute einen Änderungsantrag ein, den ich im Anschluss an die Debatte noch einmal gesondert begründen werde.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was wollen wir am CDU/FDP Antrag ändern?
Auch wenn Sie es vielleicht angesichts der gestern vom Kabinett vorgelegten Sparplänen bei den beiden medizinischen Fakultäten von 12 Mio Euro für vermessen halten, wir wollen einen – wenigstens zeitweisen – Aufwuchs von Studienplätzen in der Humanmedizin.
Nach Angaben des Statistischen Landesamtes liegt das Durchschnittsalter bei den  niedergelassenen Hausärzten derzeit bei 52 Jahre. Im Vergleich: Das Durchschnittsalter unserer sächsischen Lehrer beträgt 47.
Während im laufenden Schuljahr 7,3 Prozent der sächsischen Lehrer 60 Jahre und älter sind, liegt der Anteil dieser Altersgruppe unter den Hausärzten in Sachsen bei 27 Prozent.  Das heißt knapp ein Drittel aller Hausärzte wird voraussichtlich in den nächsten vier Jahren seine vertragsärztliche Tätigkeit beenden.
Das heißt über den Daumen gepeilt, werden in den nächsten Jahren rund 190 Allgemeinmediziner/ hausärztlich tätige Internisten pro Jahr ihre Praxis schließen. Jährlich machen jedoch nur 130 Mediziner in Sachsen ihre Facharztanerkennung Allgemeinmedizin / Innere. Die Nachbesetzungsquote bei den hausärztlichen Praxen betrug 2009 lediglich 72,65 Prozent. Das Problem, was bei den Lehrern in absehbarer Zeit auf uns zukommt, ist bei den Hausärzten schon da und es wird auch gesehen:
Ich zitiere Herrn Heckemann Vorstandsvorsitzender der KV Sachsen: „Mit Sicherheit werden mehr Ärzte aufhören als neue Mediziner anfangen. In den nächsten fünf Jahren wird sich das Problem der mangelnden Arztversorgung dadurch noch verschärfen. Besonders wird es an Hausärzten, Augen- und Kinderärzten fehlen.“
Ich zitiere das SMS: „Seit einigen Jahren verschlechtert sich die Versorgungsdichte im ländlichen Raum – die Wiederbesetzung von Arztsitzen, insbesondere von Hausarztpraxen, wird zunehmend schwieriger. Die Altersstruktur der niedergelassenen Ärzte lässt erwarten, dass sich dieses Problem in den nächsten fünf Jahren verschärfen wird.“
Ich zitiere die Staatskanzlei: „Der demografische Wandel spiegelt sich auch in der Altersstruktur der in Sachsen niedergelassenen Ärzte wider. In naher Zukunft werden mehr sächsische Ärzte altersbedingt in den Ruhestand treten als derzeitig Nachwuchs an den medizinischen Fakultäten der sächsischen Universitäten ausgebildet wird.“
Wenn sie nicht sehenden Auges in ein Versorgungsdesaster steuern wollen, müssen Sie die Kapazität an Medizinstudienplätzen erhöhen und die Sparpläne bei den beiden medizinischen Fakultäten zurücknehmen.
Zu unseren weiteren Änderungen:
Ja auch wir sind dafür, dass nicht allein der Numerus Clausus als Kriterium für die Zulassung zum Medizinstudium herangezogen wird. Den kompletten Ausstieg aus dem zentralen Zulassungsverfahren, wie von CDU/FDP gefordert, halten wir jedoch – und da sind wir uns mit den medizinischen Fakultäten in Leipzig und Dresden einig – für absolut nicht zielführend.  Der dafür notwendige finanzielle und organisatorische Aufwand, steht in keiner Relation zu dem erhofften Nutzen.
Ja, auch wir wollen, dass die Allgemeinmedizin stärker in den Fokus der medizinischen Ausbildung rückt. Dafür sehen wir konkret zwei Ansatzpunkte, die Famulatur und das PJ. Und übrigens Frau von Schorlemmer: Eine Verlängerung  der Famulatur im hausärztlichen Bereich wird modellhaft in Sachsen bereits gefördert – das SMWK sollte vielleicht beim SMS nachfragen, bevor es eine ablehnende Stellungnahme zu diesem Vorschlag schreibt.
Ich danke für ihre Aufmerksamkeit und bitte um ihre Zustimmung.