Antje Hermenau: Es geht um Zukunft und Nachhaltigkeit und die Frage, wie die zukünftigen Generationen leben werden

Redebeitrag der Abgeordneten Antje Hermenau zur 1. Aktuellen Debatte von CDU und FDP "Nein zum grünen Umerziehungsstaat – Sachsen lässt sich nicht alles (ver)bieten", 82. Sitzung des Sächsischen Landtages, 18. September 2013, TOP 1
– Es gilt das gesprochene Wort –
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen,
na, da werden ja einige Herren von der Palme wieder herunterkommen müssen, auf die sie gerade geklettert sind.
An Ihrer Stelle, Herr Zastrow, wäre ich etwas demütiger.
Wenn Sie auf Ihre Stammwählerschaft zurückfallen, dann können Sie auf Stelzen und im aufrechten Gang unter der 5-Prozent-Hürde hindurchmarschieren. Wenn wir auf unsere Stammwählerschaft zurückfallen, dann dreht sich die Diskussion um Ein- oder Zweistelligkeit.
Das Nächste ist der Plakate-Dschungel, der gerade die Straßen verunziert.
Was sehe ich? Es gibt eine Partei, die permanent und ständig überall sagt: Wir wollen das abschaffen! Keine das, keine das! Wir verhindern das, wir verhindern das. Das sind diese ganzen gelben Plakate, die so lästig da herumhängen.
Wenn das, Herr Piwarz, heute Ihre Bewerbungsrede im Fraktionsvorsitz war, dann werde ich in Zukunft Herrn Kollegen Flath noch mehr vermissen, denn das Niveau ist unterirdisch gewesen – unterirdisch!
Wenn jetzt Grillfreundschaften zorniger junger Männer von der CDU und der FDP aus Dresden mit missionarischem Eifer in die Debatte eingreifen und uns unsere politische Leidenschaft und unser Verantwortungsgefühl vorwerfen, das mitunter auch einmal dazu führt, dass wir vielleicht ein wenig zu verbotsverliebt sind, als es allen guttut, dann frage ich mich, wohin das alles führen soll.
Gucken wir einmal nach dem Bundesland, wo ein grüner Ministerpräsident regiert, der übrigens im Gegensatz zum hiesigen seine Richtlinienkompetenz wahrnimmt: Da wurde ein Gesetz aufgehoben, das 2005 unter Schwarz-Gelb aufgebaut worden war, wo man die Windturbinen mit ganz wenigen Ausnahmen verboten hat. Das ist heute mit ganz wenigen Ausnahmen erlaubt. Darum ging es übrigens einmal zu Zeiten der Wende, Herr Piwarz. Vielleicht waren Sie da noch zu jung. (…)
In der DDR war eigentlich, was nicht ausdrücklich erlaubt war, verboten. (…) Und jetzt leben wir in einer Zeit, in der das, was nicht ausdrücklich verboten ist, natürlich erlaubt ist, richtig. Und dafür haben wir gekämpft, Herr Piwarz.
Wir haben in Baden-Württemberg gesehen, dass dort das Verbot der Tiefenbohrungen und der Geothermie aufgehoben worden ist. Es sind also ganz viele schwarz-gelbe Verbote aufgehoben worden, die einen wichtigen Punkt berühren: nämlich die Zukunft und die Nachhaltigkeit und die Frage, wie die zukünftigen Generationen leben werden. Dass Sie das hier lächerlich machen, finde ich sehr merkwürdig. Ich will auch sagen, warum. Ich finde das merkwürdig, weil auch hier in Sachsen ein gutes Erbe existiert – gerade bei der sächsischen Union.
Man kann das auch erkennen, wenn man die Verfassung oder das sächsische Schulgesetz studiert, das auf den Konziliaren Prozess zurückgeht. Wer jetzt nicht davon Bescheid weiß, dem will ich es kurz erklären: Es war die DDR-Delegation, die in den Achtzigerjahren in Vancouver auf der 6. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen vorgelegt und gesagt hat: Wir wollen auf eine alte Idee von Dietrich Bonhoeffer aus den Dreißigerjahren zurückgehen und ein gemeinsames Friedenskonzil machen. –  Dieser Konziliare Prozess wurde dann um "Gerechtigkeit" und um die "Bewahrung der Schöpfung" erweitert.
Jetzt fangen wir einmal an aufzuschlüsseln, was denn theoretisch eine CDU in Sachsen in den letzten Jahren hätte machen müssen, wenn sie das, was sie selbst vorgetragen hat, ernst genommen hätte. Das Recht der Menschen auf volle Mitwirkung ist ein Grundsatz dieses Prozesses. Wo sind denn die abgesenkten Quoren für die Volksgesetzgebung in der Verfassung? Armut sei ein Skandal und ein Verbrechen. Ja, unser Lebensstil schafft aber weltweit Armut. Das ist ein Skandal.
Wir wollen versuchen, unseren Lebensstil zu ändern und anzupassen, um eben nicht dafür verantwortlich zu sein, dass anderswo Menschen Hunger leiden müssen.
"Alle Menschen, Rassen und Völker sind gleichwertig" ist ein Grundsatz des Konziliaren Prozesses. Wo sind denn das Adoptionsrecht und die Gleichstellung für Lebenspartnerschaften? Wo ist denn die Arbeitsmöglichkeit für Asylbewerber? Wo ist denn die doppelte Staatsbürgerschaft?
Ein weiterer Grundsatz ist es, den patriarchalischen Strukturen zu widerstehen, die die Gewalt gegen Frauen rechtfertigen.
Wissen Sie, wie schwer es war, die sexuelle Gewalt in der Ehe abzuschaffen? Ich habe die Debatte dazu 1997 im Bundestag erlebt. Was habe ich mir – gerade aus den Reihen der CDU – zum Thema Vergewaltigung in der Ehe anhören müssen? Ich fand es unglaublich, was da noch in den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts vorgetragen wurde.
Dass man Kinder als Erziehungsmaßnahme nicht mehr prügeln darf, konnten wir erst unter Rot-Grün lösen, das war gar nicht mit der CDU lösbar. Wahrheit und Wahrhaftigkeit und die einzige mögliche Grundlage für einen dauerhaften Frieden ist Gerechtigkeit – übrigens auch für den inneren Frieden in einem Bundesland, zum Beispiel beim Thema Mindestlohn. Die Schöpfung Gottes ist gut und schützenswert.
Warum haben wir den Atmosphärenschutz nicht in die Verfassung geschrieben? Es hätte einer angemessenen Ergänzung bedurft.
Der Anspruch der Kinder auf Würde, die Rechte der jungen Generationen: Wir berauben der nächsten Generation ihre Freiheit, indem wir jetzt die Ressourcen so verbrauchen, dass nicht viel übrig bleibt, und die haben dann keine Freiheit mehr, ihr Leben so zu gestalten, wie sie es möchten. Und Sie schwadronieren hier von Freiheit. Die CDU hat im letzten Jahr 2012 "das Jahr der Nachhaltigkeit“ in ihrem Programm gefeiert. Ja, wo ist es denn?
Wo sind denn diese Nachhaltigkeiten? Wir sprechen heute noch über Kinderrechte.
Wie gesagt: Theoretisch haben Sie damals in der sächsischen Union ein mögliches politisches Erbe angelegt. Praktisch setzen Sie es nicht um.
Wir sehen uns wieder.
(2. Debattenbeitrag von Antje Hermenau)
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen!
Ich versuche gar nicht mehr, herauszufinden, wo der Sachsen-Bezug in
dieser Aktuellen Debatte ist. Aber natürlich stelle ich mir einige Fragen, zum Beispiel, wie Sie darauf kommen, Allgemeinplätze zu verbreiten. Dass ich zum Beispiel rauche, ist hinlänglich bekannt und hat auch für Irritationen gesorgt, habe ich gehört.
Kiffen würde ich beispielsweise nie. Aber das sind Petitessen. Wo gibt es, bitte
schön, einen grünen Umerziehungsstaat? Zeigen Sie mir bitte weltweit einen,
vielleicht auch in Deutschland. Gibt es irgendwo einen Umerziehungsstaat? Allein mit der Wortwahl „Reeducation", Umerziehung – das war ein wichtiger Bestandteil der Entnazifizierung nach dem Zweiten Weltkrieg -‚ wäre ich vorsichtig gewesen. Aber das haben Sie so entschieden.
Es ist richtig, Rigorismus, daran sind auch die GRÜNEN nicht unschuldig. Aber
Rigorismus ist in jeder Partei, die eine politische Debatte haben möchte, natürlich ein Problem.
Jeder in der Politik möchte gern die Moral auf seiner Seite haben. Das widerspricht aber der Vielfalt und der Komplexität unseres Lebens. Es gibt eine eigene grüne Lernkurve. Das kann ich Ihnen garantieren.
Liberalismus ist für mich eine Grundhaltung, die ein Mensch innehat. Er ist in der Lage, seine eigene Meinung klar und deutlich zu sagen. Er ist in der Lage, die andere Meinung anzuhören. Er sollte liberal und tolerant in der Grundhaltung sein.
Die politischen Vorschläge müssen aber klar und streitbar sein. Das ist doch ganz klar.
Ich zitiere einmal den grünen Ministerpräsidenten aus Baden-Württemberg Winfried Kretschmann:
„Verbote und Gebote, eigentlich besser: Regeln sind der Inhalt von Gesetzestätigkeit. Denken Sie nur an die Impfpflicht von Herrn Minister Bahr.
Die Frage ist nur, ob wir zu viele haben oder an der falschen Stelle."
"Helmut Schmidt wollte einen fernsehfreien Tag. Brauchen wir internetfreie,
fernsehfreie oder verkehrsfreie Tage? Der autofreie Tag ist alt und vernünftig. Das sind Nachdenkvorschläge. Ich selbst hätte ab und zu gern einen politikfreien Tag."
Das kann ich verstehen.
Wenn wir in Sachsen mitregieren würden, dann würden wir zum Beispiel abschaffen, dass Asbestmüll von Bürgermeistern unter Kitas vergraben wird.
Wir würden die verbotenen Orte im sächsischen Versammlungsgesetz abschaffen.
Wir würden das Kommunalwahlverbot für Ausländer abschaffen.
Wir würden den Zwang zur Schaffung von Stellplätzen oder zur Zahlung einer Stellplatzabgabe abschaffen.
Und wir würden das taufrische Verbot des Baus von Windturbinen abschaffen, das Sie hier auf die Reihe gebracht haben, wofür Sie aber, wie wir
inzwischen alle wissen, nicht einmal eine Bundesratsmehrheit bekommen werden.
Die Maßlosigkeit unserer Zeit, Herr Mackenroth, ist das brutale Erbe des
20. Jahrhunderts – mit all seinen Facetten.
Die Gesellschaft wird langsam wieder sensibler für moralische Fragen. Das halte ich für richtig. Die Selbstmäßigung wird nach der Maßlosigkeit, die das vergangene Jahrhundert über uns hereingebracht hat, der wichtigste politische Beitrag zur Zivilisation im 21. Jahrhundert in Deutschland sein – der wichtigste zivilisatorische Beitrag!
Von mir aus gerne freitags Fisch und samstags Salat. Ich bin dabei völlig diskussionsoffen. Das ist überhaupt kein Problem.
Mein Arzt würde es super finden, wenn ich nur einmal oder zweimal pro Woche Fleisch essen würde. Was denken Sie, was wir für Diskussionen führen. Sie sehen es ja an meinem Körperbau. Die Sächsinnen und Sachsen wissen selbst, was sie wann und wie viel zu essen haben. Notfalls hören Sie auf ihren Arzt oder sie lesen die „Apothekenumschau", was ihnen ein freiwilliger Verzicht auf den einen oder anderen Genuss an Lebensqualität an anderer Stelle bringt. Darüber mache ich mir keine Sorgen.
Sie haben aber die Pädophilie-Debatte ins Spiel gebracht. Vorsicht!
Sie wissen, dass diese Ereignisse, auf die Sie abgezielt haben, ungefähr 30 Jahre zurückliegen.
Manche Partei hat in der Nachkriegsphase oder in ihrer Gründungsphase ihre
Probleme gehabt, bis sie auf einem verfassungsrechtlich sauberen Grund und Boden stand. Ich denke nur an die vielen Mitglieder der NSDAP oder der SA, die nach dem Krieg sowohl in der CDU als auch in der FDP noch heimisch waren.
Es gibt lange Listen. Joschka Fischer hat als Außenminister eine Studie in Auftrag geben müssen, um das [für das Auswärtige Amt] herauszufinden. Es waren sehr viele Liberale dabei.
Wer hat, um ein anderes Beispiel zu nennen, nach der Wende die Blockflöten
übernommen? – BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist eine Neugründung.
Ich kann Sie aber beruhigen: So mancher Altnazi und so mancher Kommunist hat sich im Laufe der Zeit zu einem guten Demokraten entwickelt.
Auch die GRÜNEN haben ihre Lernprozesse durchgemacht.
Sie, Herr Mackenroth, haben damals, im Jahr 2003, als Vorsitzender des Richterbundes, also in einer sehr hohen Position, kurzweilig darüber räsoniert, ob die Androhung von Folter in Ordnung wäre. Es ging damals um den Fall Jakob von Metzler. – Sie wissen, wovon ich rede. Sie haben sich dann eiligst davon distanziert, wie ich finde, zu Recht; denn Folter sollte verboten sein.
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