Antje Hermenau: Es ist wichtig, ernsthaft und glaubwürdig zu neuen Formen der Bürgerbeteiligung zu finden
Rede der Abgeordneten Antje Hermenau, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, zum Antrag der Fraktion SPD: Die zwei Gesichter des Stanislaw Tillich – Schein und Sein beim Bürgerkompass, 67. Sitzung des Sächsischen Landtages, 13. Dezember 2012, TOP 1
– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrter Herr Präsident,
Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen!
Ich muss zugeben, auch ich habe bei dem Titel der Debatte einen Moment gebraucht, um das nachzuvollziehen, weil mir ein einziges, offenes, glaubwürdiges Gesicht des Ministerpräsidenten völlig gereicht hätte. Zwei muss er nicht haben.
Aber einmal zum Bürgerkompass. Die Schlagzeilen in der Zeitung waren: „Sachsen sagen Tillich die Meinung „Sachsen geben Tillich Tipps.“ Das war ungefähr der Spannungsbogen. Was denn nun? War das eine Veranstaltung zur Bewertung der Arbeit der Regierung? Oder war das eine Veranstaltung, um der Regierung einmal Vorschläge zu machen, was sie endlich machen soll?
Ganz klar wird das nicht. Das war keine Zweigesichtigkeit des Ministerpräsidenten, sondern eine Veranstaltung, die kein klares Ziel hatte, jedenfalls keines, das man Bürgerbeteiligung nennen könnte.
Das ist auch ganz logisch, weil die Volksparteien nicht wissen, wie sie aus ihrem alten Status als Kümmererpartei – und das betrifft auch Sie – herauskommen sollen in den „neuen Parteitypus“, die damit umgehen, wie es Peter Lösche formuliert, dass die sozialmoralischen Milieus erodieren. Das ist ein strukturelles Problem für alle Volksparteien. Hier in Sachsen ist es mit der starken LINKEN nicht deutschlandtypisch. Aber im Kern läuft es darauf hinaus.
Ich möchte Lösche noch einmal zitieren: „Erst mit dem Niedergang der Volksparteien wird klar, wie wichtig die sozialmoralischen Milieus für sie gewesen sind.“ Jetzt werden sie herausgefordert und müssen sich völlig neu mit der Bevölkerung ins Benehmen setzen.
Sie, Herr Tillich, so wurden Sie in der Zeitung zitiert, hätten bedauert, dass es im Vorfeld viele Absagen von Bürgern gegeben habe. „Die haben es sich Ihrer Meinung nach leicht gemacht nach dem Motto: Die da oben werden es schon richten“, bedauerte der Regierungschef. Vielleicht war es auch eine Abstimmung mit den Füßen, weil es eh nichts bringt.
Wenn man sich den gestrigen Haushaltsbeschluss insgesamt und die Forderungen der Bürger anschaut, die publik geworden sind. Kleine Schulklassen, gerechte Entlohnung der Lehrer, mehr Polizei in der Fläche, Mindestlöhne, haben Sie einige dieser Ziele meilenweit verfehlt.
Warum machen Sie das Ende November? – Im September, wenn die Parteien hier im Parlament die Diskussion des Haushalts beginnen, wäre es noch glaubhaft gewesen. Jetzt haben Sie Bertelsmanns Ruf geschädigt. Ich frage mich: Wer berät Sie eigentlich in der Staatskanzlei? – Das ist mir eigentlich wurscht, weil er sowieso überbezahlt ist, jedenfalls, wenn man sich das anschaut.
Die demoskopischen Untersuchungen ergeben, dass die Bürger mit dem Funktionieren der Demokratie nicht zufrieden sind. Das ist ein Befund, der alle Parteien interessieren muss, egal, ob sie regieren oder Opposition sind. Alle Parteien, die ernsthaft Politik machen, müssen sich damit befassen.
Meiner Meinung nach kann das auf Dauer auch Legitimationsprobleme für Regierungen und Parteien bedeuten. Es wäre also wichtig, ernsthaft und glaubwürdig zu neuen Formen der Bürgerbeteiligung zu finden. Alles andere ist Murks.
Wenn man das wirklich möchte, wenn Sie sich ernsthaft und glaubwürdig auf diesen Weg begeben wollen, bietet sich auch eine Gelegenheit dafür, die ernst genommen werden kann, und das sind die Verfassungsdiskussionen, die wir führen. Dort werden wir natürlich darüber sprechen, ob man bei der Volksgesetzgebung der Bevölkerung endlich einmal ein bisschen mehr entgegen kommen kann. Dann wird es darum gehen, dass man die Quoren demografisch anpassen muss, wir sagen sogar bis auf 5 Prozent herunter.
Andere haben andere Meinungen. Lassen Sie uns das diskutieren. Es wird auch darum gehen – zumindest schlagen wir das vor – dass die Bevölkerung auch einmal ein Gesetz per Volksentscheid durch eine Kassation kassieren kann. Natürlich wollen wir auch davon reden, dass der Landtag das Recht hat, dem Volk ein Gesetz zur Entscheidung vorzulegen.
Auch das halten wir für angemessen. Das muss man nicht mit jedem Gesetz machen, aber es gibt Gesetze, die das erfordern.
Diese Fragen der modernen Form der Mitbestimmung stehen in der Debatte, genauso wie vielleicht auch die Frage des Informationsfreiheitsgesetzes am Beispiel Brandenburgs. Das ist das modernste. Aber es gibt immerhin zehn Bundesländer, die eines haben. Die sind nicht alle nur von der SPD regiert. Es gibt jetzt auch im Bund ein lnformationsfreiheitsgesetz. Es wäre also nur das Aufschließen zum Normalmaß in Deutschland, wenn wir es in Sachsen auch endlich auf die Reihe bekämen.
Die modernen Formen der Mitbestimmung sind dann wirklich Planungszellen, Bürgerwerkstatt oder auch Mediation oder Quoren – wie ich eben sagte. Es gibt in der Gesellschaft einen Mangel an öffentlicher Debatte. Die Medien gleichen das nicht wirklich aus. Wenn man Ziele nicht gegen die Gesellschaft oder über der Gesellschaft oder für die Gesellschaft im alten Kümmererdenken erreichen will, ist es wichtig, dass man auch wirklich öffentliche Debatten hat, dass diese stattfinden. Dann kann man gemeinsam entscheiden. Die Regierung hat das dann zu exekutieren. Das ist eigentlich der Weg, um den es hier geht.
Ich würde mir wünschen, dass Sie es glaubhaft versuchen. Wie es jetzt gelaufen ist, wirkt es nicht glaubhaft. Es wirkt nicht ernsthaft. Es wirkt wie ein Wahlkampfmanöver oder eine Begleiterscheinung zum Haushalt, damit keiner merkt, wie schlecht er ist.
Ich finde das sehr bedauerlich und erwarte von Ihnen, dass Sie sich bei der Verfassungsverhandlung besser verhalten.
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