Antje Hermenau: Herr Unland, Sie haben politisch einen größeren Schaden angerichtet, als vielleicht 140 Millionen Euro Einsparungen wert sein dürften
Redebeitrag der Abgeordneten Antje Hermenau zum GRÜNEN-Antrag „Kassenmäßiger Abschluss des Haushalts 2009 und Haushaltsvollzug 2010“, Drs. 5/2088, 14. Sitzung des Sächsischen Landtages, TOP 6
Es gilt das gesprochen Wort!
—————————————————————————-
Wir stehen nach meiner Schätzung in diesem Jahr – und das wird die Steuerschätzung am 6. Mai auch zeigen – an einem Wendepunkt in der Ausgaben- und Finanzpolitik des Freistaates für die ganze nächste Dekade.
Nach vielen Jahren des Zuwachses der öffentlichen Finanzen in Sachsen geht es jetzt in klaren, harten Schritten mit den öffentlichen Finanzen nach unten. Das wird durch die Wirtschaftskrise und die damit verbundenen Steuerausfälle verstärkt. Das wird ein ganz langer Weg, bei dem wir alle aufeinander angewiesen sein werden. Deshalb finde ich, dass man den Anfang nicht gleich verstolpern sollte. Aber genau das haben Sie getan.
Ganz offensichtlich betreten beide Koalitionsfraktionen politisches Neuland. Mit solchen Rahmenbedingungen hatten Sie es von der CDU in den letzten 20 Jahren noch nicht zu tun. Jetzt umzulernen fällt Ihnen offensichtlich schwer.
Ich habe hier schon verschiedentlich davor gewarnt, dass die nächsten Jahre schwierig werden. Ein Mangel an Realismus oder ein Mangel an Seriosität – wie ich das gehört habe – ist mir da nicht vorzuwerfen. Ich setze eben mehr auf Transparenz und Partnerschaftlichkeit mit allen Partnern und Empfängern, statt auf Einschüchterung und Drohung. Ich setze auch mehr auf die volle Budgetverantwortung des Parlaments als auf Führungslosigkeit im Kabinett und eine sehr undurchsichtige Rücklagenbewirtschaftung im Finanzministerium.
Um diese Verfahrensgrundsätze geht es, das ist die politische Dimension.
Was ist nun finanzpolitisch angesagt? Seit genau vier Wochen, seit dem
27. März dieses Jahres, liegt die Schlussabrechnung des Haushaltes 2009 vor. Wenn man das mit der Vermögensrechnung 2008 zusammen betrachtet, bekommt man ein interessantes Bild, nämlich eine Chronologie von möglichen Defiziten und tatsächlichen Rücklagen.
Diese Rücklagenwirtschaft in der Staatsregierung bzw. im Finanzministerium jenseits der laufenden Haushalte mit mangelnder Information des Parlamentes ist – wie ich finde – eine schwerwiegende Angelegenheit. Denn der durch das Parlament beschlossene Haushalt wird ungefähr zutreffend sein, abzüglich irgendwelcher Rücklagen. Das kann eigentlich nicht angehen, schon gar nicht, wenn man jetzt auf vertrauensbildende Maßnahmen für die nächsten Jahre setzen muss.
Im Mai 2009, nach der Steuerschätzung, wurde für 2010 ein Defizit von über einer Milliarde Euro geschätzt. Dann hat man für 2009 ein Defizit von einer reichlichen halben Milliarde Euro geschätzt. Da hat man gesagt: Wir machen da 119 Millionen Euro Bewirtschaftungsmaßnahmen und nehmen 135 Millionen Euro aus der Haushaltsausgleichsrücklage. Im November hat man diese Prognosen des Steuerloches verbessern können. Es ist nicht ganz so schlimm ausgegangen. Da war es für 2009 keine halbe Milliarde, sondern ungefähr 360 Millionen Euro, 2010 keine ganze Milliarde, sondern vielleicht 864 Millionen Euro. Das waren also jedes Jahr als Haushaltsloch 200 Millionen Euro weniger als befürchtet.
Im November nach dieser Steuerschätzung, wurde von Ihnen, Herr Finanzminister Unland, dann gesagt, wie Sie das Einnahmeloch in 2010 stopfen wollen: Da werden wir erst einmal 572 Millionen Euro aus der allgemeinen Haushaltsausgleichsrücklage nehmen. Die ist dann damit aufgelöst, denn mehr ist da nicht drin. Und dann brauchen wir noch 100 Millionen Euro Bewirtschaftungsmaßnahmen, die dann Anfang Januar auf 140 Millionen Euro hochgesetzt wurden.
Ich habe diese 140 Millionen Euro Anfang des Jahres sogar für einigermaßen sinnvoll gehalten, muss aber sagen: Wenn die Begründung nicht stimmt, unter der wir zu einer solchen Maßnahme greifen, dann ist diese Maßnahme auch nicht mehr sinnvoll. Im Prinzip merken wir jetzt an den Kürzungen im Sozial- und Jugendbereich, dass sie sogar schädlich ist, weil sie das Diskussionsklima für die nächsten Jahre vergiftet.
Wenn das so ist, dann muss man diesen Fehler korrigieren.
Im November 2009 haben Sie noch gesagt, dass die Haushaltsausgleichs-rücklage aufgebraucht wäre und ab 2011 nichts mehr zur Verfügung stünde. Wir haben daraufhin noch im November beantragt, diese Haushaltsaus-gleichsrücklage nicht vollständig aufzulösen und lieber mit den strukturellen Maßnahmen anzufangen, weil man ja weiß, dass in den Jahren ab 2011 richtig drastisch Kosten und Ausgaben im Freistaat gesenkt werden müssen. Wir wollten das Ganze im Parlament diskutieren und einen Nachtragshaushalt verabschieden. Wenn Strukturänderungen anstehen, ist das Parlament zuständig. Das ist keine Notmaßnahme des Finanzministeriums. Das Parlament hat „Njet“ gesagt. Die Staatsregierung guckt ein bisschen so wie „Kommt Zeit, kommt Rat, kommt Rücklage“. Strukturelle Veränderungen sind jedenfalls nicht wissentlich gemacht worden, sondern eher en passant, aus Versehen. Dadurch, dass man im Sozial- und Jugendbereich so gekürzt hat, wie man gekürzt hat, verändert man Strukturen und geht damit am Parlament vorbei.
Im Januar kam die mittelfristige Finanzplanung bis 2013. Es wurde noch einmal gesagt, dass diese 140 Millionen Euro 2010 zusammen mit den 50 Millionen Euro schon beschlossenen globalen Minderausgaben eingespart werden sollen.
Mit der Erkenntnis aus der Kleinen Anfrage Drs. 5/1232, nach der die Haushaltsausgleichsrücklage zum 31.12.2009 812,4 Mio. Euro auswies und der Erkenntnis aus dem Ende März 2010 vorgelegten Bericht über den kassenmäßigen Abschluss des Haushalts 2009 sind wir zu dem Schluss gekommen, dass zum 31.12.2009 ebenfalls 915,8 Mio. Euro in der Haushaltsausgleichsrücklage schlummern.
Das heißt die im Jahr 2009 geplanten Entnahmen aus der Haushaltsausgleichsrücklage sind nicht benötigt worden. Es müssten also mindestens noch 350 Millionen Euro in der Haushaltsrücklage drin sein. Trotzdem wollen Sie Bewirtschaftungsmaßnahmen in Höhe von 140 Millionen Euro machen und ziehen das durch.
Das ergibt für mich keinen Sinn. Es gibt keine Haushaltsnotlage, es gibt auch keinen Grund für Bewirtschaftungsmaßnahmen, denn das ist ja der einzige Grund für so ein Vorgehen.
Ich füge hinzu, dass im vergangenen Jahr 100 Millionen Euro Zinsen weniger verausgabt werden mussten. Das wird auch in diesem Jahr wieder so sein. Die Niedrigzinspolitik im europäischen Raum hält an. Man darf davon ausgehen, dass auch in diesem Jahr wieder 100 Millionen Euro weniger an Zinsausgaben getätigt werden müssen als geplant. Daher gehe ich davon aus, dass Sie im laufenden Haushalt zwischen 300 und 400 Millionen Euro über haben. Trotzdem nehmen Sie diese dramatischen Kürzungen vor, unverhältnismäßig im Sozial- und Jugendbereich und in anderen Bereichen.
Wir beantragen heute, nachdem das alles jetzt klar ist, dass diese Notmaßnahmen eingestellt werden, denn es gibt im Jahr 2010 keine Haushaltsnotlage. Wir erwarten, dass Sie das zurücknehmen. Ich habe den Verdacht, dass Sie diese Maßnahmen eingeführt haben, weil Sie vielleicht einen Ausgleich zum Wachstumsbeschleunigungsgesetz machen wollten. Dabei verliert das Land durch diese Beschlusslage in diesem Jahr bekanntlich über 100 Millionen Euro. Dazu könnte man zusammenfassend feststellen: Jugendclub zu, damit der Hotelier etwas besser zurechtkommt. Das finde ich ziemlich grenzwertig.
Man könnte auch meinen, Sie haben vielleicht Angst, dass sogar mehr als die schon zurückgelegten 900 Millionen Euro fällig werden für die Rücklage zur Bürgschaft zum Verkauf der SachsenLB, dass die Baden-Württemberger in diesem Jahr also mehr als 1 Milliarde Euro ziehen würden. Ich glaube das nicht. Die Bilanzpressekonferenz ist heute gewesen. Natürlich muss man sich an der dortigen Struktur beteiligen, aber das geht ja über die Verkäufe.
Also ich glaube, dass Sie hier einen Popanz aufgebaut haben, der unnötig ist. Sie haben in Bereiche hineinregiert, indem Sie Strukturen verändert haben, ohne dass das Parlament daran beteiligt gewesen ist. Ich finde aber nicht, dass Struktur verändernde Maßnahmen durch die Regierung als Notmaßnahmen durchgesetzt werden können. Das geht einfach nicht.
Sie haben das Gesprächsklima verschlechtert. Sie haben eine Rücklagenwirtschaft eingeführt, die sehr undurchsichtig ist und die verlangt, dass man jeden Monat oder jeden zweiten Monat irgendwelche Informationshäppchen nachzurechnen und zu bearbeiten versucht. Das geht so nicht.
Dabei haben Sie eigentlich einige sehr vernünftige Rücklagenbestandteile, die ich finanzpolitisch überhaupt nicht infrage stelle. Natürlich ist es nötig, im Länderfinanzausgleich Überzahlungen zurückzuzahlen, und natürlich ist es sinnvoll, die Bürgschaft für die SachsenLB weiter aufzustocken, immer wenn man Geld übrig hat. Das ist gar keine Frage. Aber ich hätte im Parlament gern darüber entschieden. Das ist der Unterschied.
Ich stelle durchaus zum Beispiel die 5,8 Millionen Euro im Budgetausgleichfonds Forst strittig. Dieser Fonds soll eigentlich mittelfristig bis zu 10 Millionen Euro betragen. Er enthielt aber bereits über 30 Millionen Euro und soll weiter aufgestockt werden. Das ist eigentlich unsinnig. Warum also diese Sparbüchsen anlegen? Was ist der Hintergrund?
So gibt es eine ganze Reihe von Fragen. Das alles belastet im Prinzip die notwendige breite Diskussion über den Einsparpfad, den wir in Sachsen gemeinsam mit den Kommunen in den nächsten Jahren einschlagen müssen. Sie hätten eine viel willigere Empfängerstruktur vorgefunden, wenn Sie in dieser Frage nicht wie ein Elefant durch den Porzellanladen gelatscht wären, wobei Sie aus einem hehren kleinen Grundsatz mehr Schaden angerichtet haben, als diese vielleicht 140 Millionen Euro Einsparungen wert sein dürften. Politisch ist das jedenfalls ein Verlustgeschäft 1. Klasse, und das diskutieren wir jetzt hier.