Antje Hermenau: Unsere Verantwortung ist es, nicht nur ein dankbarer Unterlieger der Tschechen zu sein, sondern auch ein verantwortungsvoller Oberlieger

 bbmRedebeitrag von Antje Hermenau zur Regierungserklärung "Hochwasser 2013: Helfen – wiederaufbauen – schützen. Gemeinsam für Sachsen!", 78. Sitzung des Sächsischen Landtages, 19. Juni 2013, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort –
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Ich habe soeben etwas erheitert gelernt, dass Herr Zastrow in Zukunft mit der Natur leben möchte und Angst vor Mücken hat.Das schauen wir uns dann einmal an; denn das wird eine kleine Revolution Ihrer Programmatik.Wissen Sie: Schon in der DDR stand der Mensch im Mittelpunkt. Wir wissen, wohin das geführt hat. Ihre Argumentation ist übrigens nicht nur von einem christlichen Standpunkt aus ziemlich schwierig. Zu Ende gedacht könnte es zu einer Situation kommen, dass die Menschen vielleicht wieder Käfer essen müssen, weil sie andere natürliche Lebensgrundlagen zerstört haben.Ich möchte mich lieber auf Ihre Rede, Herr Ministerpräsident, beziehen. Sie haben gesagt, in Sachsen habe der Hochwasserschutz funktioniert. Ja, das Krisenmanagement und die Strukturen haben funktioniert. Aber in Sachsen-Anhalt steht das Wasser noch. Wir haben unseres auch dorthin verschoben. Das ist kein Vorwurf, sondern nur eine Feststellung.Nach den Ereignissen des Jahres 2002 plante unser Freistaat in Nordsachsen vier große Überflutungsflächen. Aber nur an einer wurde der Bau begonnen! Jetzt wird jede Maßnahme geprüft, sowohl auf Ursache – Bauverzögerung oder was auch immer – als auch auf Wirkung hin. Ich wiederhole: Es wurde nur mit einer Maßnahme begonnen. Wir werden den Landesentwicklungsplan überarbeiten müssen. Das ist die Konsequenz aus dem, was wir gerade diskutieren.Die übergroße Zahl der alten Flussauen in Sachsen ist inzwischen bebaut und beackert; das wissen Sie besser als ich.Tschechien hat sich als guter Oberlieger erwiesen. Tschechien gebührt unser Dank. Herr Ministerpräsident, Sie haben dabei persönlich eine große Rolle gespielt, was auch an Ihren Sprachkenntnissen gelegen hat. Klar ist: Das Krisenmanagement hat dort gut geklappt, und wir können als Unterlieger dankbar sein, dass die Tschechen für uns das Wasser zurückgehalten haben.Jetzt stellt sich die Frage: Sind wir gute Oberlieger? Was das angeht, darf man nicht nur die Sächsische Schweiz und Dresden in den Blick nehmen; Sachsen ist etwas größer und die Flussläufe sind länger. Sind wir also gute Oberlieger?Die Menschen in Sachsen-Anhalt haben mein volles Mitgefühl. Auch alle, die hier in Sachsen überschwemmt worden sind, wissen: Flüsse kennen keine Landesgrenzen.Herr Tillich, Sie haben schon 2002 – als Chef der Staatskanzlei – Krisenmanagement betrieben. Das ist mir erinnerlich. Damals war Jürgen Trittin Bundesumweltminister. Heute sind Sie Regierungschef. Aber sind Sie auch der strategische Planer, der Regierer, der jetzt nötig ist, um über Parteigrenzen hinweg und über Legislaturperioden hinaus einen Hochwasserschutz für Sachsen aufzubauen, der uns vor einer ganzen Reihe von Schwierigkeiten wenn schon nicht final bewahrt, so doch diese mildert?Ich habe mich sehr gefreut, dass Sie meinen Vorschlag in den Briefings mit Herrn Staatsminister Beermann von der Staatskanzlei, Gelder aus der lmagekampagne dafür zu verwenden, Werbung für Urlaub in Sachsen zu machen, aufgegriffen haben. Ich danke Ihnen. Das ist das, was ich mir eigentlich vorstelle, wenn ich davon rede, dass wir Meinungen und Beobachtungen austauschen und gemeinsam Vorschläge erarbeiten sollten.Trotzdem bleibt es bei der Frage: Hat man vielleicht in der Zeit seit 2002 den strategischen Hochwasserschutz aus den Augen verloren, weil viele andere Fragen „aufgeploppt“ sind? Diese Frage ist erlaubt.Nun zu der Theorie von der Notwendigkeit eines „Beschleunigungsgesetzes“: Unserer Auffassung nach ist das unnötig. Sie haben zwei Möglichkeiten, damit besser umzugehen als in der Vergangenheit. Die eine ist eine bessere Bürgerbeteiligung im Vorfeld. Das finde auch ich richtig, das müssen wir machen.Die Bürger vor Ort haben private Interessen; das ist klar. Aber sie haben auch lokale Expertise und wissen, welchen Weg das Wasser in ihrer Stadt oder an ihrem Berghang nimmt; sie kennen das. Deswegen kann man sie nicht ausblenden. Zum anderen haben Sie für alles, wirklich für alles, was planfestgestellt ist, natürlich die Möglichkeit, zum Schutz wichtiger Güter Sofortvollzug anzuordnen; das wären ja wohl Maßnahmen zum Hochwasserschutz. Klagen haben dann keine aufschiebende Wirkung. Es gibt überhaupt keinen Grund, Bürger zu beschimpfen, die angeblich irgendetwas verhindert haben. Alles, was planfestgestellt ist, kann sofort vollzogen werden. Das ist eine Verwaltungsentscheidung. Die Landestalsperrenverwaltung hat das offenbar nicht getan.Dass Einzwängen nicht überall etwas bringt, dafür ist Roßwein vielleicht ein Beispiel. Selbst in der geplanten Höhe hätte die mannshohe Flutmauer die Überflutung nicht aufgehalten, sagte der Bürgermeister. Die Mauer wäre schlicht zu niedrig gewesen. Aber die Bürger haben auch eigene Vorschläge eingebracht.Herr Kupfer, ich habe mich geärgert, als ich von Ihnen resigniert das Ergebnis hörte: Dort, wo Hochwasserschutz partout nicht gewollt ist, wird er eben nicht gemacht. – Das klingt wie: „Macht doch euren Dreck alleene!“ Das hatten wir schon einmal. Was ist denn das für ein Demokratieverständnis, dann, wenn es schwierig wird, der Haltung Vorschub zu leisten, der Staat sei zuständig, weshalb er bestimmen dürfe, was zu tun ist, und wenn die Bürger das nicht wollen, sollen sie sehen, wo sie bleiben. Wo sind wir denn?!Ihr thüringischer Kollege Reinholz – auch CDU – sagte: „Es kann nicht nur darum gehen, Deiche und Dämme zu bauen. Wir haben gesehen, dass das allein nicht funktioniert. Es muss auch mal eine landwirtschaftliche Fläche geflutet werden. Das ist preiswerter, als wenn die Innenstadt überschwemmt wird.“ Herr Kupfer, so einen Satz hätte ich mir von Ihnen als Umweltminister gewünscht. Man kann das Hochwasser auch selbst auftürmen, wenn man es nicht großflächig versickern lässt. Dafür braucht man viel Boden, und dieser muss auch aufnahmefähig sein. Das ist völlig richtig, Herr Flath. Wenn der Boden keine Aufnahmefähigkeit mehr hat, geht das Wasser – genauso wie alles andere Wasser – in die Bäche und Flüsse.Die große Novelle des Wassergesetzes durch die Staatsregierung ist durch diese Realitäten zum Flop geworden. Laut dem aktuellen Entwurf des neuen Sächsischen Wassergesetzes wollen Sie den Kommunen, die mobile Flutschutzelemente statt permanenter Mauern an Gewässern 1. Ordnung haben wollen, kein Geld für den Unterhalt dieser Elemente geben. Wir schlagen Ihnen vor, dass Sachsen den Kommunen maximal die Zusatzkosten in Rechnung stellt, die über dem Unterhalt einer permanenten Mauer liegen. Deren Erhalt bezahlt der Freistaat nämlich. Wenn die lieber eine mobile Flutschutzmauer haben wollen, dann lassen Sie sie doch. Wo ist denn das Problem?Noch einmal zur Frage der Aufnahmefähigkeit der Böden. Das hat mit dem Wetter zu tun, ob es vorher nass war oder nicht. Aber versiegelt ist versiegelt. Das hat überhaupt nichts damit zu tun, ob vorher die Sonne schien oder Regen runterkam.In Ihrer Rede waren viele Gesprächsangebote, aber es gab auch einen etwas launigen Unterton. Das irritiert mich. Nicht alles ist gottgegeben. Und Gott hat sich vielleicht nicht bei jedem was gedacht. Vieles ist menschengemacht oder eben von den Menschen noch nicht erledigt. Das sind solche Punkte, über die wir hier sprechen. Das sind die Sachen, die wir machen müssen. Machen Sie bei der Planfeststellung lieber Sofortvollzug, als dass Sie versuchen, bei der Bundesebene gesetzlich etwas zu zementieren, was Sie wahrscheinlich nicht durchbekommen. Das ist ein Dummverkaufen der Leute. Lassen Sie davon lieber ab.Solche Hochwasserschutzbauwerke sind für Generationen gedacht. Da muss die jahrzehntealte lokale Kompetenz einfließen. Da muss eine richtige Kompetenz aus technischen und raumordnerischen Verwaltungsexperten dabei sein. Vielleicht war es ein Fehler, dies alles der Landestalsperrenverwaltung aufzubürden. Vielleicht war das zu viel für sie. Die konnten das nicht schaffen.Ich glaube, dass der bessere Hochwasserschutz nicht an einzelnen Bürgerinnen und Bürgern gescheitert ist, sondern daran, dass die Politik nicht die richtigen Prioritäten gesetzt hat und die Verwaltung diese Fragen noch nicht im Griff hat. Das ist meine Auffassung.Die sinkende Spendenbereitschaft, über die sich hier und da schon einige beklagen, hat meiner Meinung nach etwas damit zu tun, dass wir Sachsen uns bundesweit dem Vorwurf aussetzen, wir hätten vielleicht zu wenig gemacht. Zumindest bei dem Thema der Flutungsflächen kommt diese Diskussion bundesweit auf.Dann sagen Sie: Wer konnte denn ahnen, dass schon wieder ein Jahrhunderthochwasser kommt? Da sage ich Ihnen: Wir. Wir konnten das ahnen. Wir haben dauernd diskutiert mit Ihnen. Wir haben die Experten hier in Dresden sitzen. Dr. Bernhoter, Professor für Meteorologie in der TU Dresden, hat öfter davor gewarnt.Das sind die wichtigen Punkte, die man von ihm wissen muss: Sachsen ist öfter als alle anderen Bundesländer von extremen Hochwassern betroffen. Sachsen liegt sozusagen in einer Einflugschneise für 5-B-Wetterlagen. Die Anzahl der Trogwetterlagen hat sich in den letzten 20 Jahren verdreifacht. Das ist übrigens Empirie, keine Prognose. Das ist einfach nur Statistik. Wenn man das weiß, dann ist auch klar, dass die Zahl der Hochwässer tendenziell stark zunehmen wird.Charakteristisch ist inzwischen auch, dass diese Trogwetterlagen zunehmend sesshaft sind, das heißt sich festfressen, sich nicht mehr bewegen. Das hat damit zu tun, wie sich zum Beispiel Oberschichtluftströmungen durch die Abschmelzung von Polkappen und andere Dinge verschieben und dazu führen, dass das Wetter nicht mehr so beweglich ist. Das kann man alles in Ruhe nachlesen und ausdiskutieren.Mir wäre nur daran gelegen, dass wir unsere Worte in Zukunft besser wägen. Wenn wir damals von einer Jahrhundertflut gesprochen haben, jetzt haben wir die nächste Jahrhundertflut und das geht aller zehn Jahre so weiter, dann leben wir ein ganzes Jahrtausend. Das kann es ja nicht sein.Die Menschen können nicht aller zehn Jahre von vorn anfangen. Darauf liegt kein Segen. Unsere ökonomische Position als Freistaat ist zu schwach für derlei gravierende Wachstums- und Wohlstandsverluste. Hundertprozentigen Schutz gibt es nicht. Das haben wir immer schon gesagt. Wir sind genau dieser Auffassung.Aber es geht deutlich besser als bisher. Ich finde, wir müssen alle denkbaren und gesetzlich verträglichen Maßnahmen ergreifen, und nicht nur die ausgewählten Lieblingsmaßnahmen der einen oder anderen Partei. Das bedeutet auch, dass man nicht jedem nach dem Mund reden darf, sondern dass man wirklich regieren muss. Das wird zu lokal schwierigen Situationen führen, die wir meistern müssen. Das ist nicht leicht, aber der volkswirtschaftliche Gewinn bei einer Rückverlegung von Deichen beträgt circa das Dreifache der Kosten, sagen die Experten.Wissen Sie, auch wenn es den einen oder anderen gibt, der dem Klimawandel nicht richtig über den Weg traut, ist es mir eigentlich wurscht, was der Einzelne als Begründung bemüht. Ob er nun der Meinung ist, die alten Auen existieren nicht mehr oder es seien natürliche Klimaschwankungen oder es gibt strömungstechnisch einen beschleunigten Flussweg. Am Ende wird jeder von uns die Statistik bemühen müssen, die für alle gilt: Extreme Wetterereignisse haben sich in den letzten drei Jahren verdreifacht und diese Tendenz ist steigend. Ich denke, an einer Neuorientierung im natürlichen Hochwasserschutz kommt die Politik in Sachsen nicht vorbei. Sie haben bisher erst 1,5 Prozent der Fläche von dem umgesetzt, was seit 2002 geplant war. Das ist in dieser Frage das konkrete Versagen der Staatsregierung.

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