Antje Hermenau zum Demokratieverständnis des sächsischen Ministerpräsidenten
Redebeitrag der Abgeordneten Antje Hermenau zur Aktuellen Debatte „Mündige Bürger unerwünscht? Das Demokratieverständnis des sächsischen Ministerpräsidenten“ in der 24. Sitzung des Sächsischen Landtages, 04.11., TOP 1
Es gilt das gesprochene Wort!
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Als sächsischer Bürger ist man immer wieder mal in einem Dilemma: Man wünscht sich, dass der Ministerpräsident nicht ständig tapfer schweigt und zu vielen Problemen hier im Land nicht nur ein gewinnendes Lächeln aufsetzt, sondern auch einmal etwas sagt. Aber spricht er dann, dann ist das auch nicht so toll.
Die missglückte Standortwerbung, die Sie vor wenigen Wochen im „Focus“verbrochen haben und die gestern, wie ich finde, sehr ausführlich und luzid von Wolfgang Donsbach in der „Sächsischen Zeitung“ besprochen worden ist, halte ich für ein Problem. Deshalb haben wir heute hier eine Aktuelle Debatte mit dem Fragezeichen aufgesetzt, wie Ihr demokratisches Verständnis, Ihr Grundverständnis eigentlich ist.
Ich zitiere, was uns dabei aufgestoßen ist: „Für den Erfolg bei solch umstrittenen Vorhaben gilt, die Politik sollte umfassend ein solches Projekt erklären und auf dem einmal eingeschlagenen Weg nicht umkehren.“ In meinen Ohren ist das vordemokratischer DDR-Sprech.
Was machen Sie denn — dieser Fall ist ja offensichtlich bei Ihnen nicht vorgesehen —‚ wenn das Volk auch nach aufwendigen Erklärungen vonseiten der Regierung das Projekt immer noch doof findet? Was machen Sie denn dann? Der Fall kommt bei Ihnen nicht vor.
Als Katholik wissen Sie, dass nur Gott das Privileg der Unfehlbarkeit hat. Selbst der Papst musste es abgeben. Ich bin kein Fan vom demokratischen Absolutismus.
Wenn Sie mit der Art und Weise, wie Sie das hier ansprechen und vielleicht die Häuser und die Regierung führen, Duckmäuser in den eigenen Reihen und ebenso in den Ministerien, den Kreisen und der Kommunalebene produzieren, dann frage ich mich, wo wir eigentlich wieder angelangt sind.
Herr Tillich, Sie machen sich — das merke ich — gar keine Vorstellung davon, was solche Worte, wie Sie sie da geschwätzt haben, in einem Menschen wie mir
auslösen. Aber das ist eben so. Auch wenn man die Proteste vor einem Bahnhof-lnfrastrukturprojekt nicht mit den Demonstrationen von vor 20 Jahren wirklich im Kern vergleichen kann — denn damals ging es um die Abwicklung einer Diktatur; das ist klar, darüber brauchen wir nicht zu diskutieren —‚ waren es doch mündige Bürger, die sich ein Herz gefasst haben. Hätten sie das nicht getan, wären Sie heute weder Ministerpräsident noch säßen Sie im Landtag, sondern wahrscheinlich wären Sie zur Bezirksleitung aufgestiegen —
und aus die Maus.
Ich finde, das verdient einfach eine andere Würdigung. Wir als Politiker reden ständig davon, dass die Bürger teilhaben sollen. Wenn es Bürger in einem Land gibt, die das tun, und das entspricht nun gerade nicht dem, was sich die Regierung vorgestellt hat, dann bin ich wirklich betroffen, wenn Sie das ignorieren, weglächeln oder vielleicht als Investitionshemmnis bezeichnen. Gestern vor dem Landtag waren über 10 000 Menschen —
ich weiß nicht, ob Sie sie gesehen haben —‚ die in einer speziellen Frage dezidiert anderer Auffassung sind als die Staatsregierung. Das war
erkennbar. Sie scheinen es aber für einen Standortvorteil zu halten, wenn so etwas nicht stattfindet.
Das ist wirklich gewagt. Ruckizucki planen die Chinesen oder die Saudis ihre
Großprojekte, ziehen sie in wenigen Jahren durch und bauen sie in ihren Sand — und fertig ist es. Da funkeln Ihnen also die Augen. Es gibt immer noch arabische Länder, in denen Dieben die Hände abgehackt werden, und die ‚tolle Demokratie‘ in China möchte ich jetzt nicht im Detail erörtern.
Es ist der Eindruck erweckt worden, dass Sie sich einen pflegeleichten Bürger wünschen. Dieser Eindruck ist entstanden.
Und das halten Sie für einen Standortvorteil und damit werben Sie. Ich finde, Sie wollen sich damit einfach nicht die Mühe mit dieser komplexen Demokratie machen.
Wir alle haben vor einer Woche Herrn Lammert zugehört. Ich zitiere Herrn Lammert: „Die Demokratie ist eben nicht nur die beste uns bislang bekannte Staatsform, es ist auch die schwierigste und die anspruchsvollste. Die Demokratie ist ein Verfahren unvermeidlichen Streits, erstens fair und nicht von oben nach unten und zweitens verbindlich auszutragen. Das Kriterium der Fairness ist nicht weniger wichtig als die Erwartung der Verbindlichkeit.“ Da muss die Politik — das betrifft auch Ihre Person — und die von ihr geführte Staatsregierung verstehen, dass sich viele Bürger übergangen fühlen.
Großprojekte sind kein Kult, sondern es sind Entscheidungen; mehr ist es nicht. Sie sind nicht heilig. Der Staat erweckt oft den Eindruck — und Sie haben mit Ihren Äußerungen diesem Eindruck meiner Meinung nach Vorschub geleistet —‚ den Willen der Bürger zu übergehen. Das finde ich fatal, aber das können wir noch weiter ausdiskutieren. Ich höre mir zunächst gern an, welche Eindrücke andere Menschen hier im Parlament davon haben.
» Video: Redebeitrag von Antje Hermenau im Plenum