Antje Hermenau zur Aktuellen Debatte über die Schuldenbremse

Wir wollen eine atmende Schuldenbremse, einen in Notlagen atmenden Haushalt, der eine klare Haushaltsdisziplin im Normalfall vorsieht und auf solche Umwelt- und Naturkatastrophen, wie zum Beispiel das Hochwasser 2002, reagieren kann
Redebeitrag der Abgeordneten Antje Hermenau zur Aktuellen Debatte "Klares Signal für solide Finanzen – Neuverschuldungsverbot in Verfassung verankern" (CDU, FDP), in der 48. Sitzung des Sächsischen Landtages, 25.1., TOP 4
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
eine Aktuelle Debatte ist das denkbar schlechteste Instrument für den Auftakt einer Verfassungsdiskussion. Da hat Kollege Dulig völlig recht. Das sieht die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN genauso. Das hat dem Anliegen geschadet und es rettet die FDP nicht. Der Erfolg ist gering.

In der Zeitung hat die FDP eine Annonce veröffentlicht, mit der sie das Verhandlungsergebnis, das in irgendwelchen Monaten vorliegen soll, schon vorweggenommen hat. Sie haben es wirklich nötig. Ihnen muss ja der Angstschweiß — das rieche ich bis hierher — wirklich ausbrechen. Wer das Vertrauen der Bevölkerung zurückgewinnen will, der muss hart arbeiten. Diese Art von Schweiß wäre willkommen. Ihr Angstschweiß macht das Gegenteil: Er verstärkt das Misstrauen der Bevölkerung in Ihre Tätigkeit. Ein klares Signal für solide Finanzen im Freistaat Sachsen wäre ein ordentlicher Auftakt dieser Legislaturperiode gewesen, ein vernünftiger Haushalt 2011/2012.
Das haben Sie verstolpert, dramatisch verstolpert. Diese Staatsregierung ist wie ein schwarz-gelber Elefant durch den Porzellanladen unserer Gesellschaft gelatscht und hat das auch noch für solide Finanzpolitik gehalten. Das ist unglaublich.
Die Bürger fragen sich natürlich, ob diese Regierung noch planvoll unterwegs ist: "Haben die die Dinge noch im Griff?" Ich rede jetzt nicht von Berlin und nicht von Brüssel. Die Koalition hat es mit diesem Auftakt und jetzt mit diesem Popanz, dieser Marketingaktion der FDP — und, Herr Zastrow, schlechte Politik ist schlechte Politik, da hilft auch keine Imagekampagne — verpatzt, was ich schade finde. Eine Erpressungssituation ist keine Verhandlungsbasis. Ich kann nur sagen: Avanti, dilettanti! Wenn das so weitergeht. Dann wird dieses Unternehmen scheitern. Das ist doch ganz klar.
Das hat damit zu tun, dass man überlegen muss, was eine echte Schuldenbremse ist. Es gibt in der Praxis erprobte Beispiele. Man kann sich — mit der Schweiz wird gern kooperiert — in der Schweiz kundig machen, was dazugehört. Eine atmende Schuldenbremse ist übrigens bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN seit zwei Jahren Beschlusslage.
Wenn man den Artikel 95 der Verfassung ändern will, um ihn mit dem Grundsatz konform zu machen, dann muss man ihn anfassen, aber einen Popanz daraus zu machen, als ginge es um den Untergang des Abendlandes, das halte ich wirklich für eine merkwürdige Diktion. Sie haben versucht, in der Debatte staatstragend aufzutreten, aber draußen haben Sie nur Marketingpropaganda gemacht. Ich finde das bedauerlich. Dieser Popanz war unnötig. Meine Erfahrung sagt mir übrigens, dass beim Kuhhandel die Ochsen im Allgemeinen keine Rolle spielen.
Trotz dieser Anmaßung sollten wir uns, finde ich — und mit "wir" meine ich die drei angesprochenen Oppositionsfraktionen dieser Seite des Hauses — nicht ins Bockshorn jagen lassen. Auf gar keinen Fall. Ein Gesprächsangebot ist ein Gesprächsangebot, und das muss unter demokratischen Parteien möglich sein.
Wir wollen eine atmende Schuldenbremse, einen in Notlagen atmenden Haushalt, der eine klare Haushaltsdisziplin im Normalfall vorsieht und auf solche Umwelt- und Naturkatastrophen, wie zum Beispiel das Hochwasser 2002, reagieren kann. Das kann Ihr absolutes Neuverschuldungsverbot nicht. Da sitzen wir im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Trockenen.
Des Weiteren muss man starke Einnahmeneinbrüche durch Konjunktureinbrüche abbilden und vielleicht auch Kürzungen im Solidarpakt II, die deshalb kommen können, weil zum Beispiel die Bundesregierung wegen der Rettung des Euro nicht in der Lage sein wird, ihre Versprechungen zu halten. Der Solidarpakt II beruht auf einem normalen Gesetz, das können die mit einer einfachen Mehrheit ändern. Also sollte man zumindest in Sachsen in der Lage sein zu reagieren, wenn man das für nötig hält.
Ich habe das Gefühl, dass eher ein bisschen der Angstschweiß der Koalition durch den Raum wabert, sie möge 2014 ihre Macht verlieren. Angst ist kein guter Ratgeber, schon gar nicht für Verfassungsdebatten. Wir hätten eine ganze Reihe von anderen Fragen, die wir gern zum Thema Modernisierung der Verfassung beitragen würden. Aber eins ist klar: Wenn es wirklich zu einer vernünftigen Debatte über Substanz statt Monstranz kommt, dann können solche Plakatserien, wie zum Beispiel von der FDP im letzten Wahlkampf „Steuern runter“, „Kostenlose Kitas“, „Steuern runter", „Kostenlose Kitas“ nicht mehr passieren. Dann findet das nicht mehr statt. Ich bedauere diese Aufstellung hier mit monatelangen Presseabschlägen zwischen den Fraktionen wie im Hildebrand-Lied „Enti tuem herem“, aber wenn Sie diesen Vorwahlkampf beenden, dann ist es durchaus realistisch, darüber zu sprechen, dieses Parlament zum Ort der Demokratie zu machen, denn Zweidrittelmehrheiten im Parlament sind aus meiner Sicht wichtiger als Zweidrittelmehrheiten in Regierungen. Die gibt es auch ganz selten. Es würde also das Parlament als Ort der Demokratie stärken, wenn hier in solchen Fragen mit Zweidrittelmehrheit entschieden würde.
Sachsen braucht Handlungsfähigkeit, und nicht erst 2020, wie hier gern vorgetragen wird. Es gibt einen Druck. Wir müssen in der Lage sein zu handeln. Es wird eine Reihe von Herausforderungen geben. Was ich nicht will, ist, dassS beim nächsten Haushalt 2013/20 14 Haushaltsrisiken abbilden, bis hin zum Reissack in China, der umzufallen droht, und dann sagen, dieses Geld müssen wir in Rücklagen stecken. Dann wird es im Wahlkampf drei Tage vorher ausgegeben, damit jeder einzelne von Ihnen noch einmal ein Bändchen beim Straßenbau durchschneiden kann. So nicht! Mit einem Wahlkampfhaushalt 2013/2014 läuft es nicht.