Antje Hermenau zur Regierungserklärung: „Ziellose Pendelei zwischen barockem Größenwahn und sächsischem ,weiter so'“

Wenn Sie sagen, dass alles anders wird, ist es völlig unlogisch, alles so weiterzumachen wie bisher. Und genau das ist das Problem der CDU und ihrer Regierung
Es gilt das gesprochene Wort!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen!
Nun, dass Sie es nötig haben, sich selber Mut zuzusprechen, hat man Ihrer Rede angemerkt, Herr Kollege Zastrow.
Herr Ministerpräsident, Sie benennen die großen Probleme unserer Zeit, Sie führen Sie in Ihrer Liste auf, aber Sie haben nicht eine einzige strategische Antwort gegeben. Und, Herr Flath, wenn Sie das sekundieren und sagen, wir stehen vor großen Herausforderungen in unserem Land, sage ich:
Ja, und? Was machen wir jetzt grundsätzlich anders? Ich habe nur ein „weiter so“ gehört, immer nur „weiter so“. Hier ein Schräubchen, da ein Schräubchen, aber im Grunde soll sich nichts ändern.
Wenn Sie sagen, Herr Tillich, der technische Fortschritt bleibt nicht stehen, dann ist das eine Binsenweisheit. Das weiß jeder. Es wird immer was Neues erfunden, übrigens inzwischen weltweit und nicht nur in Sachsen. Aber welche Schwerpunkte setzen Sie denn in der Forschung? Und müsste sich die Forschung nicht darauf konzentrieren, unseren Lebensstil umweltverträglich umzustellen? Wäre das nicht der Schwerpunkt der Forschung in den nächsten Jahren? Sie sagen, die Globalisierung geht trotz Wirtschaftskrise weiter. Ja, welche exportfähigen Produkte brauchen wir denn? Ich habe nichts gehört.
Sie sagen, der Klimawandel ist Fakt. Ich bin ja froh, dass Sie das inzwischen unumstritten zugeben – da gab es ja noch ganz andere Töne -aber Sie übersehen völlig, dass das Konsequenzen in der Wirtschafts- und Verkehrspolitik haben muss. Ich habe nichts davon gehört und auch im Koalitionsvertrag nichts lesen können.
Stattdessen haben Sie – tut mir leid -in Ihrer Rede lediglich unter Beweis gestellt, dass Sie Naturschutz von Klimaschutz nicht unterscheiden können.
Sie sagen, der demografische Wandel verändert unser Land. Aber mehr als die Stärkung des Ehrenamtes ist Ihnen dazu nicht eingefallen. Ich will das Ehrenamt nicht klein reden – das ist wichtig -, aber als Frau kann ich da nur sagen: Es reicht, Jungs! Wenn ich das höre! Es geht doch darum, dass die Frauen die Chancen auf Verwirklichung und die Verantwortung übernehmen können, die jetzt dringend gebraucht wird. Die Mädels müssen jetzt auch mal ran, aber in den Herrenclubs der Koalition ist das nicht mal ansatzweise Gesprächsthema.
Sie sagen, die Lage der öffentlichen Haushalte wird nicht besser, sondern schlechter, aber Sie verraten uns immer noch nicht, wie Sie mit der einen Milliarde Euro weniger Steuereinnahmen im nächsten Jahr umgehen werden. Sie haben auch keine Perspektive für die fünf Jahre aufgemacht. Kann ja sein, dass Sie nächstes Jahr noch Geld in der Schatulle haben! Ich habe da, was von EU-Mitteln gehört. Unabhängig davon, was ist die Perspektive für die nächsten fünf Jahre? Ich habe nichts gehört.
Wenn Sie von der Union sich nicht modernisieren und endlich eine moderne Politik für Sachsen machen, dann wird die Geschichte Sie am Ende der Legislaturperiode einholen. Dann ist auch Schluss mit dem schwarz-gelben Kuschelsofa.
Vielleicht werden Sie ja, Herr Tillich, überschätzt. Vielleicht steckt gar nicht mehr in Ihnen, als wir im letzten Jahr beobachten durften.
Ein afrikanisches Sprichwort sagt, einen, der sich schlafend stellt, kann man nicht wecken.
Ich glaube, das ist bei Ihnen der Fall. Ich will das nicht auf die billige Art machen. Es ist mir ernst.
Ich habe mir heute von Ihrer Rede mehr erhofft. Ich habe verstanden, dass Sie im letzten Jahr ein bisschen die Füße stillgehalten haben, weil Sie nicht wussten, wie die Machtkämpfe in der sächsischen Union ausgehen werden. Dafür habe ich Verständnis.
Aber dass Sie heute nach diesem nichtsnutzigen Koalitionsvertrag in Ihrer Rede nicht konkreter geworden sind, das nehme ich Ihnen übel. Das nehme ich Ihnen übel, weil ich finde, dass die Auslassung im Parlament mehr Tiefe und Schärfe erfordert hätte. Sie lassen sich da lieber – finde ich -weiter von der FDP in den Tiefschlaf krächzen.
Diese ziellose Pendelei zwischen barockem Größenwahn und sächsischem „weiter so“, als ob dieses Land eine Insel wäre!
Sie wurden, Herr Ministerpräsident, in den Gazetten landauf, landab als starker Mann in der CDU gelobt. Der kommende Mann. Diesen Part des Kanzlerinnenflüsterers haben Sie von Dieter Althaus geerbt. Der hatte diese Funktion schon lange vor seinem Skiunfall verloren, weil das ohne moderne Politik, ohne Inspiration und ohne entschlossenen Umgang mit den Herausforderungen unserer Zeit eine sehr vergängliche Ehre ist. Skiunfall hin, Skiunfall her.
Diese ziellose Pendelei zwischen barockem Größenwahn und sächsischem „weiter so“, als ob dieses Land eine Insel wäre! Nun, Sie loben Sachsen: seine Natur, seine Kultur. Ihre Regierung hat dazu keine Unze beigetragen. Das will ich nur mal erwähnen. Und glauben Sie mir, weder das liberale Nationalmuseum noch das christdemokratische Porzellanmuseum werden diesem jahrhundertealten kulturellen Erbe in der Nachfolge wirklich gerecht. Die Regierung scheint mir nach der Rede, die ich heute hören musste, nur der neue Sachwalter der kulturellen und wirtschaftlichen Erbstücke Sachsens zu sein. Neues können wir uns offensichtlich nicht erhoffen. Stattdessen flüchten Sie sich, weil es angenehm, leicht und komfortabel ist, wieder in die alten Klassenkampfgräben mit Rot-Rot. Die Gefechte toben wieder, es war ein bisschen wie im Hildebrandslied, und wir saßen zwischen beiden Heeren und mussten uns das ansehen. Aber ernsthaft, das wird nicht reichen.
Und wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass es nichts bringt, wenn einige Parteien anfangen, ein paar Ökoparolen in ein ökologisch nicht ernst gemeintes Programm zu schreiben, dann war das Ihr Herumirren zwischen Schmalspurbahnen, braunkohlestrombetankten Elektroautos und der verbalen Neuschöpfung „Klimawechsel“.
Der Klimawandel, Herr Tillich, ist keine Prüfung Gottes, die unverschuldet über uns hereingebrochen ist und die wir jetzt alle erdulden müssen. So ist es nicht! Der Klimawandel in seiner Schärfe und Zuspitzung stammt von Menschenhand. Und er kann auch von Menschenhand in seiner Zuspitzung eingeschränkt werden!
Vielleicht hätte das Wort Klimawechsel darauf hindeuten sollen, dass jetzt endlich die Frauen – ich sagte es schon – zu ihrem Recht kommen, aber nach der vollmundigen Ankündigung im Koalitionsvertrag, mehr Frauen in Führungspositionen bringen zu wollen, bleibt es zum Beispiel beim ungenügenden Betreuungsschlüssel an den Kitas. Ja, so wird das nichts, Jungs! War Frau von Schorlemer schon der Schluss des koalitionären Ausflugs in die Frauenförderpolitik?

Bei Familie und Ehrenamt tauchen wir dann noch einmal wohlgemeint mit auf – ich hatte es schon erwähnt. Ich habe dem Frieden eh nicht getraut. Aber dass es nur vier Wochen zwischen Koalitionsvertrag und Regierungserklärung brauchte, um das auch noch öffentlich zu dokumentieren, ist schon frech, meine Herren.
Sie setzen – und das ist das Schlimmste – wieder auf ein unreflektiertes Wachstum als Allheilmittel und Fluchtvehikel aus allen Krisen, obwohl die Rahmenbedingungen das nicht hergeben. Sie können die ganzen konservativen Wirtschaftszeitungen lesen und müssen sich gar nicht auf linke Blätter beziehen.
Der eine König im „Kleinen Prinzen“, der jeden Morgen der Sonne befahl, sie möge aufgehen, war ja wenigstens noch so klug, diese Aufforderung auszusprechen, als die Sonne sowieso aufging.
Sie bilden eine Verantwortungsgruppe mit schwarz-gelb in Berlin. Das wissen Sie auch. Es ist schon eine ziemliche Chuzpe, sich hier hinzustellen und die eigene Nichtneuverschuldung zu loben und zu erwarten, dass sich der Bund weiter neu verschuldet, damit er Steuersenkungen, die Sie im Wahlkampf vollmundig versprochen haben, durchführen kann. Das ist schon frech.
Die Schulden im Bund sind auch unsere Schulden. Es sind auch sächsische Schulden. Sie haben mit den Forderungen zu tun, die hier in diesem Land von der amtierenden Regierung erhoben worden sind.
Bundespräsident Köhler hatte bei der Übergabe der Ernennungsurkunde an Bundeskanzlerin Merkel vor unrealistischen Wachstumshoffnungen und steigender Staatsverschuldung gewarnt. Die Staatsverschuldung ist nicht nur auf Sachsen bezogen. Die Länder wehren sich. Selbst Herr Kubicki von der FDP in Schleswig-Holstein ist auf Konfrontation gegangen. Landesgruppenchef Friedrich von der CSU zweifelt. Und der parteilose Berliner Finanzsenator Nussbaum droht Verfassungsklage an. Gestern hat Herr Blüm in der „Süddeutschen Zeitung“ noch einmal in alter Erinnerung erklärt, dass die Privatisierer die Verstaatlicher sind.
Merke! Eine zerschossene Tarifpartnerschaft wird mit erforderlichem Mindestlohn bestraft. Das ist das, was dabei herauskommt.
Ich weiß, dass seit 3 Jahren immer wieder ganz viele Politiker mit derselben Verve, mit der unser neues Regierungsmitglied Zastrow hier ans Pult getreten ist, gemeint haben, wie leicht es wäre, mit Wachstum alle Probleme zu lösen. Seit 30 Jahren sind ganz andere Politiker als Sie, Herr Zastrow, genau mit dieser Auffassung gescheitert, zum Beispiel auch Leute wie Herr Lambsdorff.
Es ist gefährlich, finde ich, wenn das Wirtschaftswachstum politisch als so unverzichtbar angesehen wird, dass seine Förderung Staatsverschuldung rechtfertigt. Da haben wir etwas verkehrt gemacht oder Sie haben etwas verkehrt gemacht. Es ist ja, Herr Zastrow, auch kein Verdienst, einen schlimmen Fehler gemeinsam und in Harmonie zu begehen. Das macht den Fehler nicht kleiner.
Dass Sie über die Legislatur hinaus denken und auch länger regieren wollen, dass glaube ich Ihnen sofort. Aber deswegen gleich von einer Vision zu sprechen finde ich etwas vermessen.
Die Koalition in Sachsen trägt lediglich ein müdes Lippenbekenntnis zum Datenschutz vor
Wenn Sie sich einmal bundesweit nach den Maßstäben der Herausforderungen unserer Zeit umschauen, was eine moderne und eine altmodische CDU voneinander in Deutschland unterscheidet, gibt es ja einen guten Vergleich. Die CDU könnte nämlich eine moderne Politik machen, wenn sie das wollte und die nötige Kraft dazu fände. Dabei kommt es nicht darauf an, sie sich, selbstreferentiell durch die FDP vermeintlich stärkt, sondern ob sie sich aus der ideologischen Verankerung im schwarz-gelben Lager zu lösen vermag.
Das Beiboot FDP wird, glaube ich, beim Mutterschiff bleiben. Das muss Ihnen sozusagen keine Sorgen bereiten. Aber Ihr Tanker muss sich einmal bewegen. Da entscheidet sich vieles.
Sehen Sie einmal ins Saarland!
Verkehrspolitik – ich vergleiche nur zwei Koalitionsverträge -: Masterplan für Mobilität im Saarland, Schmalspurbahnen in Sachsen.
Energiepolitik: Vorrangpolitik für erneuerbare Energien im Saarland, Braunkohleschutzreflex schöngeredet als Mix in Sachsen. Es soll im Saarland – das ist interessant -eine Vorrangpolitik für erneuerbare Energien geben und ein Masterplan dazu entwickelt werden. Das hat auch etwas mit Landesentwicklung zu tun. Ich bin sehr beeindruckt davon, was da mit einer Union alles möglich war. Dort ging es, hier geht so etwas nicht.
Innere Sicherheit: Transparenz und Stärkung der Bürgerrechte im Saarland, Kontrollzwang in Sachsen. Das mache ich mal ein bisschen konkreter. Die Koalition in Sachsen bekennt sich zur Videoüberwachung im öffentlichen Raum und zur automatischen Kfz-Kennzeichenerfassung. Im Saarland verabschiedet man sich gerade von diesen Positionen.
Die Koalition in Sachsen trägt lediglich ein müdes Lippenbekenntnis zum
Datenschutz vor. Im Saarland werden konkrete Maßnahmen zur Stärkung des Datenschutzes,  die Errichtung eines Datenschutzzentrums geschlossen.
In Sachsen steht nichts zur Transparenz, im Saarland gibt es bereits seit 2006 ein Informationsfreiheitsgesetz. Das zeigt, dass dort die CDU bereits in der Vergangenheit in der Lage dazu war und weiter als die sächsische Union. Und dieses Gesetz soll jetzt noch weiterentwickelt werden.
Die Koalition in Sachsen nimmt den Kampf gegen Korruption nicht einmal als Aufgabe wahr. Im Saarland wurde ein Antikorruptionsregister eingeführt.
Zum Thema Diskriminierung und Gleichstellungspolitik habe ich ja meine Ausführungen schon gemacht.
Übrigens: Zum Versammlungsrecht sind im saarländischen Koalitionsvertrag keinerlei Ausführungen zu finden. Das finde ich auch sehr beredt. Die haben es nämlich nicht nötig, das so einzuschränken, wie Sie es hier machen wollen.
Sie müssten ja gar nicht altmodisch und gestrig sein. Sie haben das freiwillig als Ihren Weg gewählt. Dann müssen Sie natürlich auch mit der Opposition, die Ihnen widerfährt, leben, wenn Sie versuchen, diesen Weg für Sachsen durchzusetzen. Meiner Meinung nach ist in diesem Koalitionsvertrag genauso wenig wie in Ihrer Rede, Herr Tillich, eine Gesamtstrategie zu erkennen. Die Chance, wirklich neue Möglichkeiten in der Politik auszuloten, ist vertan. Aber die Werbeagentur Zastrow + Zastrow wird es schon richten.