Elke Herrmann in der Aktuellen Debatte über die Rechte von Menschen mit Behinderungen

Redebeitrag der Landtagsabgeordneten Elke Herrmann zur Aktuellen Debatte der Fraktion GRÜNE „UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen umsetzen – Landesaktionsplan jetzt initiieren“ in der 16. Sitzung des Sächsischen Landtages, 20. Mai 2010, TOP 4
Es gilt das gesprochene Wort!
—————————————————————————-
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Seit dem 26. März des vergangenen Jahres gilt in Deutschland die UN-Konvention für Menschen mit Behinderungen. Ich möchte am Beginn der Debatte ganz kurz auf diese Konvention eingehen.
Die Entstehungsgeschichte im Bereich der UNO geht einige Zeit zurück. Ich möchte nur erwähnen, dass die UN-Vollversammlung 2006 die Konvention verabschiedet hat und dass die Konvention am 3. Mai 2008 nach Vorliegen der Unterschriften der erforderlichen Anzahl von Staaten in Kraft getreten ist. Wie gesagt, seit März des vergangenen Jahres gilt diese Konvention in Deutschland. Das heißt, sie ist in Deutschland innerstaatliches Recht.
Um Ihnen die Bedeutung der Konvention deutlich zu machen, möchte ich darauf eingehen, dass mit der Konvention ein Paradigmenwechsel in der Politik für und mit Menschen mit Behinderungen eingetreten ist. Diese Menschen sind nicht mehr ein Objekt der Fürsorge, sondern die UN-Konvention stellt klar, dass von der Politik der Fürsorge jetzt zu einer Politik der Menschenrechte umgeschwenkt wird. Das heißt, die UN-Konvention steht in einer Reihe mit anderen Gruppenkonventionen der UNO, zum Beispiel mit der Frauenkonvention oder auch mit der Kinderrechtskonvention.
Sie werden vielleicht die Frage stellen, was für Sonderrechte für Menschen mit Behinderungen diese Konvention eventuell beinhaltet. Die Antwort lautet: Diese Konvention hat überhaupt keine Sonderrechte für Menschen mit Behinderungen zum Ziel, sondern sie präzisiert und konkretisiert Menschenrechte für Menschen mit Behinderungen, also für Menschen, die besonderen Gefährdungen und besonderen Beschwernissen in unserer Gesellschaft ausgesetzt sind.
Das besonders Tolle an der Erarbeitung der Konvention auch in der UNO war, dass viel stärker als bei den anderen Konventionen Betroffene an der Ausarbeitung beteiligt waren. Die leitenden Prinzipien der Konvention sind die volle gesellschaftliche Teilhabe, auch Inklusion genannt, verbunden mit der Achtung der Autonomie und der sozialen Wertschätzung von Menschen mit Behinderungen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir versuchen, Behinderung zu definieren –vielleicht nimmt man auch an, dass das die Konvention am Anfang tut, um uns deutlich zu machen, um was für Menschen es sich handelt –, dann ist das fast immer stigmatisierend. Deshalb verzichtet die Konvention auch auf eine solche Beschreibung, sondern sie sagt in Artikel 1 – ich zitiere das jetzt –: „Zu den Menschen mit Behinderungen zählen Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigung haben, die in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren ihre volle und wirksame Teilhabe gleichberechtigt mit anderen an der Gesellschaft behindern können.“
Das ist Artikel 1 der UN-Konvention. Ich kann Ihnen nur empfehlen, sich selbst einmal mit der Konvention zu beschäftigen, sie zu lesen, weil Sie damit ein gutes Gefühl dafür bekommen, was die Konvention bezweckt.
Wenn in der Konvention zum Beispiel von dem Begriff „Diskriminierung“ die Rede ist, dann ist damit nicht nur die Vorenthaltung gleicher Rechte gemeint, sondern die Konvention bezieht die Diskriminierung, wie wir das eben schon gehört haben, auf Vorurteile, Barrieren und fehlende Unterstützung.
Wenn Sie die Konvention lesen, dann lesen Sie sie am besten in Englisch oder vielleicht auch in Spanisch; denn das sind zwei UN-Sprachen. Wenn Sie sie in Deutsch lesen wollen, empfehle ich Ihnen allerdings die sogenannte Schattenübersetzung, weil bei der Übertragung der Konvention aus den UN-Sprachen ins Deutsche einige Ungenauigkeiten passiert sind. Beispielsweise wurde „inclusion“ mit „Integration“ übersetzt. So etwas findet man an verschiedenen Stellen. Ich würde Ihnen also die Schattenübersetzung empfehlen, wenn Sie das lesen wollen.
Wir müssen uns über die Umsetzung der Konvention Gedanken machen. Seit März letzten Jahres ist die Konvention in Kraft. Im zweiten Teil meiner Rede werde ich darauf eingehen, was notwendig ist, damit wir auch in Sachsen die Konvention umsetzen. Das ist unsere Aufgabe. Ich habe schon gesagt, dass es sich um innerstaatliches Recht handelt.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich werde nicht auf meinen Vorredner eingehen, dafür ist mir meine Redezeit zu kostbar. Aber auf die anderen Redner werde ich kurz eingehen. Herr Krasselt, Sie hatten gesagt, dass wir keinen Landesaktionsplan brauchen, um die UN-Konvention in Sachsen umzusetzen. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal festhalten, dass die UN-Konvention in Deutschland geltendes Recht ist. Es geht also nicht darum, dass wir in den Kommunen an der einen oder anderen Stelle ein Auto oder einen Aufsteller vom Fußweg nehmen, damit behinderte Menschen mit dem Rollstuhl entlangfahren können. Es geht um wesentlich mehr.
Es geht auch nicht nur darum, dass wir uns Gedanken machen, wie wir neue Gesetze so formulieren, dass Menschen mit Behinderungen durch diese Gesetze nicht diskriminiert werden, dass wir ihre Lebenswirklichkeit anerkennen und dass wir ihnen zur vollen Teilhabe an der Gesellschaft verhelfen – auch durch unsere Gesetzgebung.
Weil das offenbar eine Irritation ist, möchte ich den Artikel 4 noch einmal vorlesen: „Die Vertragsstaaten verpflichten sich, die volle Verwirklichung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle Menschen mit Behinderungen ohne jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung zu gewährleisten und zu fördern. Zu diesem Zweck verpflichten sich die Vertragsstaaten.“ Dann kommt eine ganze Latte von Verpflichtungen, wo natürlich auch Gesetze genannt sind, aber vielmehr darüber hinaus zum Beispiel „alle geeigneten Maßnahmen einschließlich gesetzgeberischer Maßnahmen zur Änderung oder Aufhebung bestehender Gesetze, Verordnungen, Gepflogenheiten und Praktiken zu treffen, die eine Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen darstellen.“ Ich erspare es mir, Sie können alles nachlesen. Es ist eine ganze Latte von Aufzählungen, die in den Blick genommen werden muss, wenn wir die UN-Konvention umsetzen wollen und müssen.
Es ist geltendes Recht. Wir haben keine andere Wahl. Deutschland wird im Bericht an die UN-Konvention darauf eingehen müssen, qn welcher Stelle in der Umsetzung wir sind. Mir tut es ehrlich gesagt etwas leid, dass sie in dieser Debatte heute hier; die von der Opposition beantragt wurde, dass Sie hier nicht in der Lage sind – sich auf einen Landesaktionsplan einzulassen. Was dann darin steht, darüber wird man sicher zum Teil unterschiedliche Auffassungen vertreten. Aber es ist wichtig, dass Menschen mit Behinderungen an der Umsetzung der Konvention beteiligt werden.
Meine Vorrednerin, Frau Kliese, hat gesagt: Es zeichnet die Konvention aus, dass sie so entstanden ist: Nichts über uns ohne uns. Das sollten wir in Sachsen auch so machen. Wir können nicht einfach sagen, wir haben einen Landesbehindertenbeauftragten, wir haben vielleicht sogar noch einen Beirat, die sind ausreichend. Die sind eben nicht ausreichend. Es geht darum, Menschen mit Behinderungen umfassend einzubeziehen.
lm Übrigen plant die Bundesregierung selbst auch einen Aktionsplan, der vor allen Dingen auf die Bundesebene abzielt und auch auf die Gesetzgebungskompetenz, die bei der Bundesebene liegt. Ich meine, es ist ein Zeichen dafür, dass dort offenbar Handlungsbedarf im Sinne eines Aktionsplanes gesehen wird. Herr Wehner ist schon auf unsere gestrige Debatte eingegangen. Wenn wir den umfassenden Ansatz der UN-Konvention genommen hatten – ich hatte es gestern schon angemerkt –, dann hätten wir, wenn wir über Arbeit reden, über mehr geredet als über Außenarbeitsplätze.
Ich habe hier keinen Spickzettel, sondern den Aktionsplan von Rheinland-Pfalz in der Hand, weil ich an dem Beispiel Arbeit deutlich machen möchte, worum es dabei geht. Es ist durchaus kein Teufelszeug oder irgendetwas Wildes, was sich die Opposition ausgedacht hat. Als Erstes wird der Artikel der UN-Konvention genannt, in dem Fall Arbeit. Es ist der Artikel 27. Dann wird eine Vision beschrieben. An der Formulierung dieser Vision können sich verschiedene Gruppen unserer Gesellschaft beteiligen, natürlich auch wir als Gesetzgeber. Dann werden Ziele genannt, die durchaus sehr offen formuliert sind.
Darin steht zum Beispiel: „Dazu müssen die Regelungen zur Barrierefreiheit an Arbeitsstätten und Dienstgebäuden verbessert werden.“ Dann gibt es noch eine Tabelle, in der Maßnahmen, Zuständigkeiten, ein zeitlicher Rahmen und gute Beispiele aufgeführt sind. Das ist ein guter Leitfaden, wie wir diese Konvention in Sachsen umsetzen können.
Sie haben gesagt, die UN-Konvention ist Wirklichkeit. Dem ist nicht so. Sie ist geltendes Recht, aber sie ist in Sachsen keine Wirklichkeit. Dazu brauchen wir nach meiner Auffassung einen Landesaktionsplan, den wir gemeinsam erarbeiten sollten.
Danke.