Elke Herrmann: Problemlage erkennen – Maßnahmen konkretisieren

Redebeitrag der Abgeordneten Elke Herrmann
zum Antrag der GRÜNEN-Fraktion "Ergebnisse des 2. Sächsischen Drogen- und Suchtberichts ernstnehmen – Prävention stärken, Beratungs- und Behandlungsstrukturen in der Suchthilfe verbessern" (Drs. 5/14605)
99. Sitzung des Sächsischen Landtages, 19. Juni 2014, TOP 8

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,
unsere Fraktion hat bereits im Sommer 2012 die Entwicklung eines "Landessuchthilfeplans" (Drs. 5/9501) gefordert. Sozialministerin Christine Clauß lehnte unsere Forderung mit der Begründung ab, dass der 2013 erscheinende 2. Sächsische Drogen- und Suchtbericht die weitere Suchthilfeplanung für Sachsen beinhalten wird. Der im Januar 2014 vom Ministerium für Soziales und Verbraucherschutz vorgelegte Bericht konzentriert sich auf eine Bestandsanalyse des Hilfesystems für suchtgefährdete und suchtkranke Menschen im Freistaat Sachsen und bildet die aktuelle epidemiologische Entwicklung ab. Im Kapitel 9 werden die "Weiterentwicklungsbedarfe" kurz zusammengefasst. Deren Umsetzung steht jedoch unter dem "Vorbehalt der Finanzierung im jeweiligen Einzelplan sowie der Einhaltung der Stellenpläne" (S. 91) und beinhaltet somit kein konkretes Maßnahmepaket.
Der 2. Sächsische Drogen- und Suchtbericht bildet die Grundlage für den Antrag, den unsere Fraktion heute einbringt. Unser Antrag verfolgt drei Ziele: erstens die Konkretisierung des 10-Punkte-Plans "Sachsen gegen Drogen". Wir schlagen zweitens konkrete Taten vor, die sich aus den Ergebnissen des 2. Sächsischen Drogen- und Suchtberichts ableiten. Im Rahmen dieser Vorschläge legen wir drittens einen besonderen Schwerpunkt auf die Prävention, indem wir die Staatsregierung auffordern, ein landesweites Präventionskonzept zu erarbeiten.
Eine Konkretisierung des 10-Punkte-Plans "Sachsen gegen Drogen" ist dringend notwendig, denn das von der Staatsregierung vorgestellte Programm ist bisher weder personell noch finanziell oder konzeptionell ausreichend untersetzt. Deshalb fordern wir die Staatsregierung auf, noch vor dem Ende dieser Legislatur, das heißt bis zum 9. Juli, Bericht in folgenden Punkten zu erstatten:
Wir möchten wissen, in welcher Höhe und für welchen Zeitraum welche Ministerien in den nächsten Jahren vorhaben, finanzielle Mittel für die Umsetzung des 10-Punkte-Plans "Sachsen gegen Drogen" bereitzustellen. In den Vorplanungen sind, laut Antwort der Staatsregierung auf eine Mündliche Anfrage unserer Fraktion (Drs. 5/14384), "im kommenden Doppelhaushalt Erhöhungen für das sächsische Suchthilfesystem von insgesamt 1,4 Millionen Euro" enthalten. Bisher wurde noch nicht bekannt gegeben, in welche Bereiche das Geld fließen soll. Der vorgelegte 10-Punkte-Plan ist ambitioniert. Da wird eine Erhöhung von 700.000 Euro jährlich – für die im Programm formulierten Maßnahmen – bei Weitem nicht ausreichen. Wir stellen deshalb auch die Frage, wie der 10-Punkte-Plan "Sachsen gegen Drogen" in den Jahren 2014, 2015 und 2016 personell untersetzt wird.
Ebenso wichtig ist es zu erfahren, welche finanziellen Mittel (im Doppelhaushalt 2015/2016) eingeplant werden, um den empfohlenen Einwohner-Fachkraft-Schlüssel für Suchtberatung und -behandlung von 1:20.000 gewährleisten zu können. Denn es gibt in Sachsen große regionale Unterschiede. Von der Finanzierung der Suchtberatungs- und -behandlungsstellen wird letztlich abhängen, ob die "Soforthilfe für erstauffällige Konsumenten", wie unter Punkt 6 im 10-Punkte-Programm formuliert, überhaupt möglich ist. Denn für eine "schnelle Überführung in das bestehende sächsische Sucht-Hilfesystem" braucht Sachsen eine weitgehend flächendeckende Versorgung von Suchtberatungs- und -behandlungsstellen, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln und in zumutbaren Wegzeiten erreichbar sind.
Die Ergebnisse des 2. Sächsischen Drogen- und Suchtberichts, der Anfang des Jahres veröffentlicht wurde, müssen das politische Handeln der Staatsregierung bestimmen. Wir wollen wissen, welche konkreten Maßnahmen im Rahmen des 10-Punkte-Plans "Sachsen gegen Drogen" im Jahr 2014 umgesetzt werden. Denn ein zeitlicher Ablauf zur Umsetzung des 10-Punkte-Plans liegt bisher nicht vor und konnte auf die mündliche Anfrage unserer Fraktion im vergangenen Plenum nicht genannt werden.
Wir fordern die Erarbeitung eines landesweiten Präventionskonzepts, in enger Kooperation mit den Kommunen, dem Landespräventionsrat, dem Landesfachausschuss Suchtprävention und den Fachstellen für Suchtprävention in Sachsen. Die Präventionsarbeit darf sich nicht auf die angekündigte Informationskampagne beschränken, in Form von Online-Plattformen. Das ist unter Umständen für Angehörige von Crystal-Konsumenten oder Fachleute von Interesse, aber kein wirksames Mittel bei Suchtgefährdeten oder bereits Crystal-Abhängigen. Präventionsarbeit muss vor Ort und stattfinden. Deshalb fordern wir, die Stärkung der Weiterbildungsarbeit in den drei Fachstellen für Suchtprävention in Sachsen. Dadurch soll die suchtpräventive Arbeit in den Landkreisen und Kommunen gezielt gefördert werden.
Die Staatsregierung muss auf die konkreten Probleme mit Crystal eingehen. Zunehmend greifen Frauen zu Crystal. Die Zahl der Kinder, die durch Entzugserscheinungen auffallen, nimmt in Sachsen stetig zu. Im Dresdner Uni-Klinikum ist die Zahl der betroffenen Babys drastisch angestiegen. 2009 waren acht Neugeborene mit Entzugserscheinungen aufgefallen, 2012 bereits 20, 2013 24 und im ersten Quartal 2014 schon sieben (siehe: DNN, 21. März "Mehr drogenabhängige Babys in Sachsen"). Dieser Trend ist sachsenweit zu verzeichnen, wie die Freie Presse letzte Woche berichtete (Freie Presse, 10. Juni 2014, "Kliniken in Sorge: Anzahl der ‚Drogen-Babys‘ nimmt stetig zu"). Wir fordern deshalb die Staatsregierung auf, eine Handlungsempfehlung für die Landkreise und Kommunen zu erlassen, die verbindliche Kooperationsvereinbarungen zwischen dem Jugendamt, dem Gesundheitsamt, der Kinder- und Jugendhilfe und der Suchthilfe enthalten soll. Außerdem sollen die Angebote für suchtbelastete Familien ausgebaut werden, indem dafür zusätzliches Geld im kommenden Doppelhaushalt eingestellt wird (Förderrichtlinie suchtbelastete Familien, FG Kinderleicht – Uniklinik Dresden).
Die Dresdner Neuesten Nachrichten titelte im Dezember letzten Jahres: "Immer mehr Schüler Crystal süchtig" und verwies auf einen deutlichen Anstieg der Crystal-Abhängigen unter 18 Jahren. Im Schuljahr 2011/12 waren es 30, Ende 2013 bereits 60 Fälle. Es ist gut, dass die Präventionsarbeit an den Schulen Bestandteil des 10-Punkte-Plans ist. Die soll nach dem Willen der Staatsregierung verstärkt durch Beratungslehrer übernommen werden, indem "an allen weiterführenden Schulen ein kompetenter Ansprechpartner für Rat und Hilfe suchende Lehrer, Eltern und Schüler zur Verfügung" steht. Es ist wichtig und sinnvoll, verlässliche Ansprechpartner für alle Schüler, deren Eltern sowie die Kolleginnen und Kollegen in den Schulen zu haben, die auch für Crystal weitergebildet sind. Allerdings liegen die Beratungsstunden im Entscheidungsrahmen der Schulen. Die zeitlichen Ressourcen sind aufgrund der Vielfalt an Aufgaben begrenzt. Deshalb darf die Staatsregierung nicht nur Aufgaben an die Schulen delegieren, sondern auch Weiterbildungsangebote schaffen. Wir fordern die Staatsregierung im Antrag dazu auf zu berichten, welche Weiterbildungsmaßnahmen, in welchem Umfang und durch welche Träger für Beratungslehrerinnen und -lehrer im Rahmen des 10-Punkte-Plans "Sachsen gegen Drogen" zur Verfügung stehen werden.
Der Dialog mit den Kommunen und den Fachkräften vor Ort bei weiteren Schritten zur Bekämpfung der Droge Crystal ist dringend nötig. Um Präventions- und Suchthilfemaßnahmen zu entwickeln, muss die Staatsregierung die konkrete Problemlage in Sachsen kennen. Doch das ist eben nicht der Fall, wie sich bei einer kleinen Anfrage unserer Fraktion zur Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen drogenabhängiger Eltern exemplarisch zeigt. Die Staatsregierung musste die Antwort schuldig bleiben, da ihr dazu keine >>vertieften Erkenntnisse<< vorliegen. Wir haben gefragt, wie viele Kinder und Jugendliche seit 2009 in Obhut genommen wurden, weil deren Eltern oder jeweils ein Elternteil drogenabhängig sind oder waren. Darauf konnte die Staatsregierung auch mit Blick auf Crystalabhängige keine Auskunft geben, denn diese Daten werden von der amtlichen Kinder- und Jugendhilfestatistik bisher nicht erfasst und müssten demzufolge bei den Jugendämtern in den Landkreisen und kreisfreien Städten abgefragt werden. Bezeichnend ist, dass die Staatsregierung den Aufwand der erforderlichen Recherchearbeit als >>nicht gerechtfertigt<< ansieht.