Elke Herrmann: Prozess der Einführung der elektronischen Fußfessel muss kritisch begleitet werden

Redebeitrag der Abgeordneten Elke Herrmann zum Gesetzentwurf „Gesetz zum Staatsvertrag vom 19. Mai 2011 über die Errichtung einer gemeinsamen elektronischen Überwachungsstelle der Länder“, 55. Sitzung des Sächsischen Landtages, 9. Mai 2012, TOP 5

– Es gilt das gesprochene Wort –

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Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

Anfang 2011 wurde im Strafgesetzbuch eine Regelung eingeführt, die es den Richtern und Richterinnen ermöglicht, die elektronische Aufenthaltsüberwachung mittels GPS – die sogenannte elektronische Fußfessel – im Rahmen der Führungsaufsicht als Weisung anzuordnen. Zielgruppe sind als gefährlich eingeschätzte aus der Haft oder der Sicherungsverwahrung entlassene. Die Ziele des Gesetzgebers waren dabei eine bessere Kontrolle von Aufenthaltsverboten im Rahmen der Führungsaufsicht, die Einschränkung der Bewegungsfreiheit in Bezug auf spezifische Ausschlusszonen sowie die Abschreckung vor Rückfalltaten.

Ob diese Ziele allerdings erreichbar sind, ist äußerst zweifelhaft! Vielfältige Fragen sind bezüglich des geplanten Einsatzes der elektronischen Fußfessel im Rahmen der Führungsaufsicht bislang noch unbeantwortet:

Vornan stehen grundsätzliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Einsatzes, die aktuell das Bundesverfassungsgericht beschäftigen und dessen Entscheidung abzuwarten ist. Das betrifft zum Beispiel das Verfahren zur Anordnung der Weisung, in dem bislang die Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht erforderlich ist – und das vor dem Hintergrund der zu treffenden Prognose fortbestehender Gefährlichkeit. Schließlich ist die „Rund-um-die-Uhr“-Überwachung eines Straftäters oder einer Straftäterin per GPS, der seine Strafe eigentlich schon verbüßt hat, ein erheblicher Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht, der nur im äußersten Ausnahmefall gerechtfertigt sein kann.

Außerdem gibt es kaum wissenschaftliche Erkenntnisse darüber – im deutschsprachigen Raum gar nicht, im angloamerikanischen Sprachraum auch nur marginal – dass der Einsatz der elektronischen Fußfessel gerade bei dem Kreis der Straftäter und Straftäterinnen schwerster Gewaltdelikte rückfallverhindernd wirkt. Empirische Belege liegen allenfalls beim Einsatz der elektronischen Fußfessel im Rahmen des elektronischen Hausarrests vor – ein Einsatzgebiet, das sich maßgeblich von dem hier heute Diskutierten unterscheidet. Beim elektronischen Hausarrest muss sich der oder die Betroffene zu Hause aufhalten und darf den Wohnraum nur für festgelegte Zwecke – wie Arbeit, Einkauf etc. verlassen. Beim Einsatz im Rahmen der Führungsaufsicht geht es um die Beschreibung sogenannter Verbotszonen, deren Nichtbetreten durch die Fußfessel per GPS überwacht wird.

Dazu kommt, dass erhebliche technische Probleme den Einsatz der elektronischen Fußfessel mit GPS derzeit erschweren. Zahlreiche Fehlmeldungen zum Beispiel aufgrund einer zu kurzen Akkulaufzeit führen nicht nur zu einem immensen Arbeitsaufkommen der gemeinsamen Überwachungsstelle der Länder (GÜL) sondern schränken auch den überwachten Probanden nicht unerheblich ein.

Sie sehen, die ungeklärten Fragestellungen sind vielschichtig und bedürfen dringend einer umfassenden Klärung, bevor meine Fraktion dem vorliegenden Gesetz zustimmen kann.

Wie eben schon ausführlich illustriert, sind viele Fragen, die mit der Einführung der sogenannten elektronischen Fußfessel in Verbindung stehen, bis jetzt unbeantwortet.  Wenn wir dem Gesetz jetzt einfach so zustimmen, ist zu befürchten, dass nun potenzielle Probanden und auch die Bevölkerung in einen Freilandversuch entlassen werden. In einen Versuch, bei dem nicht einmal vereinbart wurde, dass nach einer gewissen Zeit die Entwicklung und die Auswirkungen der elektronischen Fußfessel überprüft werden sollen.

In einen Versuch, dessen Ausgang völlig unklar ist. Nicht geklärt ist nämlich, ob die elektronische Fußfessel überhaupt geeignet ist, tatsächlich Straftaten zu verhindern.

Unklar bleibt auch, wie die fachliche Bewertung durch die gemeinsame elektronische Überwachungsstelle der Länder erfolgen soll. Kann sie das überhaupt leisten? Wer nimmt die Bewertung vor: Vollzugsbeamte bzw. Kriminalisten oder lediglich geschulte Angestellte für Datenverarbeitung? Dies sind alles rechtsstaatliche Bedenken, die es auszuräumen gilt.

Falls das Justizministerium damit geliebäugelt haben sollte, mit der elektronischen Fußfessel eine Sparmaßnahme zu etablieren, dann muss ich sie leider enttäuschen. Die Umsetzung des Überwachungssystems bedeutet, dass die GÜL – die jeden Tag in der Woche rund um die Uhr besetzt ist, auch zu allen Tages- und Nachtzeiten und an jedem Tag in der Woche, Meldungen an die Aufsichtsstelle geben wird. Das bedeutet dann gleichzeitig, dass die Aufsichtsstellen, die in Sachsen bei den Staatsanwaltschaften angesiedelt sind, ebenfalls 24 Stunden erreichbar sein müssen, um den eingehenden Meldungen entsprechende Maßnahmen folgen lassen zu können.

Überdies besteht die Befürchtung eines inflationären Einsatzes der elektronischen Fußfessel über den Gebrauch im Rahmen der Führungsaufsicht hinaus. Der Staatsvertrag enthält bereits eine entsprechende Öffnungsklausel. Ich erinnere nur an die Debatten zur Telefonüberwachung. Auch bei der elektronischen Fußfessel kann eine solche Entwicklung nicht ausgeschlossen werden.

Zum jetzigen Zeitpunkt kommt es ganz entscheidend darauf an, dass der Prozess der Einführung der elektronischen Fußfessel im Rahmen der Führungsaufsicht kritisch begleitet wird, dass regelmäßige Berichte über den Einsatz und die Zielerreichung informieren und dass bei Fehlentwicklungen die entsprechenden Konsequenzen gezogen werden.