Elke Herrmann: Umfassende Forderungen, aber kaum konkrete Umsetzungsvorschläge zur Verbesserung der Situation von SED-Opfern

Redebeitrag der Abgeordneten Elke Herrmann zum Antrag:
"Verbesserung der Situation von Opfern der SED-Diktatur" (Drs. 5/14068)
96. Sitzung des Sächsischen Landtages, 21. Mai 2014, TOP 7

– Es gilt das gesprochene Wort –

Meine Damen und Herren,
sehr geehrter Herr Präsident,
das in der DDR begangene Unrecht kann nicht wieder gut gemacht werden und auch die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel sind begrenzt. Und ja, nach mehr als 20 Jahren deutscher Einheit und 20 Jahren SED-Unrechtsbereinigungsgesetzen sind Anerkennung von erlittenem Unrecht und Aufarbeitung immer noch nicht abgeschlossen. Die anhaltend hohe Zahl an Neuanträgen zeigt deutlich, dass es weiterhin ein Bedürfnis nach Ausgleich gibt.
Die Verbesserung der Situation der SED-Opfer ist seit der Wiedervereinigung eine zentrale Aufgabe, der sich die Bundesrepublik stellt. Der Erlass von Rehabilitierungs- und Entschädigungsgesetzen für politisch motivierte Strafverfolgung (Art. 17 EinigVtr) sowie die Aufhebung rechtsstaatswidrigen Verwaltungshandelns (Art. 19 EinigVtr) wurde im Einigungsvertrag geregelt und darin als eine der "… vordringlichsten Aufgaben im Zusammenhang mit der Herstellung der staatlichen Einheit" benannt. Die Rehabilitierung sei aus rechtspolitischen, humanitären und sozialen Gründen geboten, um das "[…] Unrecht und seine Auswirkungen im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten zu beseitigen".
Die bundesdeutschen Rehabilitierungsgesetze unterscheiden drei Kategorien.
Die strafrechtliche Rehabilitierung (Aufhebung rechtsstaatswidriger strafrechtlicher und vergleichbarer Entscheidungen, wie z. B. Psychiatrie, Jugendwerkhof). Diese umfasst: Kapitalentschädigung für Haftzeit, besondere Zuwendung für Haftopfer, Versorgungsleistungen für haftbedingte Gesundheitsschäden, Hinterbliebenenversorgung und die Berücksichtigung der Haftzeiten in der Rentenversicherung (SGB).
Die verwaltungsrechtliche Rehabilitierung (Aufhebung rechtsstaatswidriger Verwaltungsmaßnahmen) umfasst: Folgeansprüche für gesundheitliche Schädigung, Hinterbliebenenversorgung, Eingriffe in Vermögenswerte und Ausgleich für berufliche Benachteiligung (über das BerRehaG).
Die berufliche Rehabilitierung (= Ausgleich für Eingriffe in Beruf oder berufsbezogene Ausbildung, eingeschränkt für SchülerInnen) umfasst: Ausgleich Rente, Förderung Weiterbildung (Arbeitslosengeld und Kostenübernahme), monatliche Ausgleichszahlungen bei verfolgungsbedingt schwieriger wirtschaftlicher Lage, besondere Bafög-Förderung.
Der vorliegende Antrag geht auf alle drei Rehabilitations-Kategorien ein und ist damit in seinen Forderungen sehr umfassend. In den Umsetzungsvorschlägen bleibt er jedoch schwammig.
Die unter Punkt 1 vorgeschlagene Prüfung der "bisherigen rehabilitierungsrechtlichen Vorschriften" auf ihre Wirksamkeit ist sinnvoll. Völlig offen bleibt jedoch, wie sich die Staatsregierung diese Prüfung vorstellt.
Wir GRÜNE haben auf Bundesebene gefordert, benachteiligte Verfolgtengruppen, die bisher von Entschädigungs- und Rehabilitierungsleistungen ausgeschlossen sind, stärker zu berücksichtigen (Entschließungsantrag, BT-Drs. 17/3238). Das betrifft aus unserer Sicht: Verfolgte Schülerinnen und Schüler, Opfer von Zersetzungsmaßnahmen durch das Ministerium für Staatssicherheit, zur Zwangsarbeit deportierte Zivilpersonen, aus dem Grenzgebiet Zwangsausgesiedelte, außerhalb der DDR Verfolgte, Doping-Opfer in der DDR.
Der vorgelegte Antrag lässt offen, welche "Gerechtigkeitslücken" CDU und FDP mit ihrer Forderung im Antragspunkt 2 schließen möchte.
Im Punkt 3 fordert der Antrag eine antragstellerfreundlichere Gestaltung für die Geschädigten. Das ist ein weiteres wichtiges Ziel, jedoch auch hier ohne strukturelle Untersetzung. Insbesondere die bürokratischen Mühen der Antragstellung und Anerkennung verbittern Betroffene. Das ist ein Grund für die wirtschaftlich, körperlich und seelisch schwierige Situation der Opfert. Wir fordern, das Beratungsangebot in Sachsen zu erweitern. Dabei ist zu prüfen, ob neben der Beratungsstelle in Leipzig eine Außenstelle in Dresden oder Chemnitz eröffnet werden sollte. 1.900 Betroffene warten derzeit auf Beratung. Das hat kürzlich eine kleine Anfrage unserer Fraktion ergeben. (‚Fonds "Heimerziehung in der DDR in den Jahren 1949 bis 1990" – Beratung und Bewilligung‘ (Drs. 5/14097))
Völlig unklar ist uns, ob die Forderungen im Punkt 4 und Punkt 6 von den Fraktionen CDU und FDP ernsthaft aufrecht erhalten bleiben sollen.
Ein Referentenentwurf aus dem Bundesjustizministerium, an dem Ihre Partei mitarbeitet, sieht eine Erhöhung der Opferrente um 50 Euro auf maximal 300 Euro vor. Verfolgte aus der ehemaligen DDR sollen ab 1. Januar 2015 mehr Geld vom Staat bekommen. Die Aufstockung kostet pro Jahr insgesamt 28,4 Millionen Euro zusätzlich – im Wesentlichen für die Opferrenten. Die Länder beteiligen sich an den Kosten mit knapp 10 Millionen Euro, den Rest trägt der Bund. Auch der Fond "Heimerziehung in der DDR in den Jahren 1949 bis 1989" wurde im Frühjahr dieses Jahres von 40 Millionen Euro auf rund 200 Millionen Euro aufgestockt. Sie fordern drei Monate später "zu prüfen, in welcher Form der Fond über die bisher vorhandenen Mittel hinaus aufgestockt werden muss".
Wir begrüßen natürlich jede finanzielle Verbesserung bei den Entschädigungsleistungen für SED-Opfer. Da zur heutigen Sitzung kein Änderungsantrag vorliegt, habe ich jedoch den Verdacht, dass Sie ihren Antrag inhaltlich schlecht vorbereitet haben, denn er berücksichtigt die neueren Entwicklungen auf Bundesebene nicht. Falls das nicht der Fall sein sollte, dann bitte ich die Abgeordneten der CDU- und FDP-Fraktion zu erläutern, in welchem Umfang Sie die Entschädigungsleistungen für SED-Opfer weiter erhöhen wollen.
Wir wollen die Befristung der Rehabilitierungsgesetze und -ansprüche, die auch im Antragspunkt 5 und 6 aufgegriffen werden, streichen. Eine Befristung ist generell schwierig, denn Traumata verhindern häufig die Antragstellung für einen langen Zeitraum. Teilweise erfahren Opfer zum ersten Mal bei der Rentenantragstellung von der Möglichkeit einer Rehabilitierung (Stichwort: "rentenrechtlicher Nachteilsausgleich").
Zu einer angemessenen Wertschätzung der politisch Verfolgten gehört nicht nur eine materielle Entschädigung, sondern auch die weitere gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Unrecht. Vor allem bei der Aufarbeitung des DDR-Unrechts gegenüber politisch Verfolgten sollte eine angemessene Entschädigung und individuelle Würdigung stärker zum Ausdruck kommen als bisher. Die jetzige Versorgung stellt mehr auf eine (bedürftigkeitsabhängige) Ausgleichsleistung ab statt auf Anerkennung.