Elke Herrmann: Wie sehen die Perspektiven für Menschen „in der zweiten Lebenshälfte“ in Sachsen aus?

Redebeitrag der Abgeordneten Elke Herrmann zur Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE "Leben in der zweiten Lebenshälfte – über 50-Jährige in Sachsen", 60. Sitzung des Sächsischen Landtages, 12. Juli 2012, TOP 7

– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrte Frau Präsidentin,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

Ich gebe zu, mich hat eine gewisse Skepsis befallen, als ich diese Große Anfrage in der Hand hatte. Schließlich gehöre ich selbst dieser Altersgruppe an und war mir bis dahin nicht bewusst, dass es zu diesem Alter einer Großen Anfrage bedarf. Ich habe mich nicht in irgendeiner Weise besonders gefühlt, aber das sollte ich vielleicht mit dieser Großen Anfrage.

50 Jahre – die Zeit, die im Erwerbsleben bleibt, ist überschaubar, und wenn Mann oder Frau noch einmal neu starten will, dann wird es jetzt wahrscheinlich ein letzter guter Zeitpunkt dazu sein. Auch die Zeit, die bleibt, um für das Alter vorzusorgen, wird knapp; ist man in diesem Alter arbeitslos, dann gehört man zu der Zielgruppe, für die besondere Programme aufgelegt werden.

"Leben in der zweiten Lebenshälfte … " – so der Titel der Großen Anfrage der LINKEN, und für viele von uns ist das ja schon Wirklichkeit. Was wünschen wir uns? Wie sehen unsere Perspektiven aus und die Perspektiven der Menschen in Sachsen in diesem Alter? Was wollen wir für unser Leben erreichen und für unsere Altersgruppe in Sachsen, und über wie viele Menschen reden wir?

Gut, die Große Anfrage erhält darauf zum Teil eine Antwort. Ich möchte auch nicht die Zahlen wiederholen, die Kollege Pellmann ausführlich dargestellt hat. Richtig ist, wir haben eine demografische Entwicklung, die dazu führt, dass es immer mehr Menschen gibt, die in dieser Altersgruppe sein werden; der Trend setzt sich also fort. 2020 werden überall in Sachsen außer Dresden und Leipzig, 50 % der Menschen älter als 50 Jahre sein. Wie viele von ihnen werden Lust und Kraft haben, das zu machen, was wir uns jetzt hier so ausmalen – was die Vorrednerinnen auch dargestellt haben? Wie viele wollen die Ärmel dann noch einmal hoch krempeln und sich eine neue Lebens- oder Berufsperspektive eröffnen?

Ja, das wird letztendlich auch daran liegen, welche Voraussetzungen wir dazu schaffen, und da sehe ich schon sozialpolitischen Handlungsbedarf. Bislang ist es eben so: Wenn wir die 50 erreicht haben, sind die Lebenschancen im Wesentlichen verteilt und Nachjustieren ist kaum möglich. Auch das zeigen die Zahlen, und wenn wir wissen, dass das Durchschnittseinkommen in dieser Altersgruppe heute bei 758 Euro liegt, dann ist zu sehen, dass es Handlungsbedarf gibt. Ich möchte deshalb den Blick ganz speziell auf diesen Teil legen. Das werden nämlich die Menschen sein, die auch später, wenn sie in Rente gehen, eine geringe Rente haben, und für sie gilt eben: "einmal arm, immer arm" – wenn wir nicht etwas dagegen unternehmen.

Das bestätigt auch die Studie der Staatsregierung vom vergangenen Jahr "Alter – Rente – Grundsicherung", die zeigt, wie sich dieses niedrige Einkommen auf die Rente auswirkt. Mehr Menschen werden Grundsicherung im Alter beziehen und damit dann zum Teil, wenn sie pflegebedürftig werden, auch auf Hilfe zur Pflege aus SGB-XII-Leistungen angewiesen sein. Diese Leistung bezahlen, wie wir alle wissen, die Landkreise und kreisfreien Städte – also auch deshalb Handlungsbedarf.

Wenn die Große Anfrage nach der allgemeinen Situation der älteren Erwerbspersonen fragt, dann zeigt sich meiner Meinung nach der etwas verengte
Blickwinkel der Staatsregierung. Die positive Sicht auf das Alter und die vorhandenen Potenziale älterer Menschen ist nicht deutlich dargestellt. Fataler ist für mich, dass der Gestaltungswille nicht erkennbar ist. Gut, das mag in der Großen Anfrage schwierig sein – es ist ja eine Sammlung von Zahlen -, und trotzdem ist es mehr eine Beschreibung als eine Gestaltung.

Wo ist Ihr Konzept zum Umgang mit dem demografischen Wandel? Wie wollen Sie die verschiedenen Projekte, die an der einen oder anderen Stelle benannt sind und die auch die Vorredner benannt haben, zusammenführen; was ist Ihre Strategie? Was ist mit altersgerechten Arbeitsplätze, mit Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz, mit Weiterbildung, beruflicher Wiedereingliederung, ESF-Programmen, Wohnen, Verkehrsgestaltung, Teilhabe, Partizipation, dem Grundsatz "ambulant vor stationär"? Da müsste man einmal ein Gesamtkonzept haben, damit man sehen kann, was Sie sich vorgenommen haben.

Eine fundierte Darstellung der allgemeinen Situation hätte es erfordert, nicht nur das Referat Ältere Menschen, Pflegeversicherung im SMS mit der Antwort zu betrauen und sich ansonsten Zahlen zu beschaffen, sondern über die Ressortgrenzen hinaus zu schauen und zu sehen, was die Kolleginnen und Kollegen, die sich mit ESF und Arbeitsmarkt bzw. Weiterbildung befassen bzw. die in der Staatskanzlei für die Förderrichtlinie Demokratie verantwortlich sind, dazu beizutragen haben und wie diese Dinge zusammenzuführen wären. Zahlen haben wir genug. Was wir jetzt brauchen, ist ein gemeinsames Konzept, und das vermisse ich.

Die verkürzte Sicht auf das Alter, die zum Teil aus der Großen Anfrage zu erkennen ist, finde ich wirklich fatal und das ist, ehrlich gesagt, auch nicht der Blick, mit dem wir selbst betrachtet werden wollen.

Der Entschließungsantrag der LINKEN bringt einen Teil dieses Mankos noch einmal auf den Punkt; er formuliert einen Auftrag. Deshalb werden wir dem Entschließungsantrag zustimmen.
Danke.