Eva Jähnigen: Bestehende Wahlkreise werden bar jeder fachlichen Grundlage zerteilt und neu aufgeteilt

Redebeitrag von Eva Jähnigen zum  Entwurf "Fünftes Gesetz zur Änderung des Sächsischen Wahlgesetzes" (Drs. 5/10938), 76. Sitzung des Sächsischen Landtages, 15. Mai 2013, TOP 5

– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrte Damen und Herren,

um sich im frühen 19. Jahrhundert die Wiederwahl zu sichern, soll der amerikanische Gouverneur Gerry seinen Wahlkreis so zugeschnitten haben, dass er nur jene Gebiete vereinigte, in denen seine erhofften Wähler die Mehrheit hatten. Dieser Wahlkreis wirkte auf der Karte wie ein Salamander. Seitdem werden die Versuche Wahlkreise durch geographische Zuschneidung zugunsten einer Parteimehrheit auszurichten als Gerrymandering bezeichnet.

Offenbar hat die Sächsische Regierung zumindest diesen Import aus den USA erfolgreich gemeistert: Mit diesem Gesetzentwurf sie sich eindeutig in die Tradition von Gerry – nur dass ihre Salamander-Wahlkreise in Dresden und Chemnitz liegen.

Bei einem Blick auf den geplanten Wahlkreiszuschnitt werden Sie feststellen: Hier werden bestehende Wahlkreise bar jeder fachlichen Grundlage und fernab soziodemographischer Erwägungen zerteilt und neu aufgeteilt – offensichtlich mit dem Ziel, der CDU möglichst viele Direktmandate bei der nächsten Wahl zu sichern. Der schwarze Salamander windet sich um die GRÜNEN und ROTEN Hochburgen herum und soll bei der Zählung der Direktwahlstimmen die Nicht-CDU-Stimmen landesweit ins Leere gehen lassen.

Was in den USA leider Tradition ist, will das deutsche Wahlrecht jedoch vermeiden: Um einen weitestgehend objektiven Zuschnitt der Landtagswahlkreise zu gewährleisten und vorrangig parteipolitische Einflussnahme zu verhindern sieht unser Wahlgesetz vor, dass eine unabhängige Wahlkreiskommission unter Vorsitz der Landeswahlleiterin Vorschläge für die Neuordnung der Wahlkreise macht. Das hat sie auch getan – und zwar objektiv und fachlich gut untersetzt.
Überraschend ist dann die Staatsregierung im Referentenentwurf in ganz wesentlichen Punkten von diesem Vorschlag abgewichen. Zwar wurde im Anhörungsverfahren der offensichtlichste und besonders dreiste Versuch der ergebnisorientierten Wahlkreisgeometrie in Leipzig wieder zurückgenommen – für die beiden anderen Großstädte bleiben die Ungereimtheiten aber bestehen. Der Sachverständige Prof. Musall hat sie in der Anhörung des Innenausschusses am 21. 03. 2012 sehr eingehend geschildert.  

Betrachtet man den nun erfolgenden Zuschnitt unter den Wahlergebnissen der letzten Landtagswahl, so drängt sich sehr sehr deutlich der Verdacht auf, dass von der Zerteilung und starken Abweichung vom Vorschlag der Wahlkreiskommission insbesondere jene Wahlkreise betroffen sind, in denen die CDU bei der letzten Landtagswahl 2009 das Direktmandat nicht oder nur sehr knapp erringen konnte.

Der Vorschlag der Staatsregierung ist folgerichtig vor allem eins: fachlich schlecht. Die Abweichungen der Bevölkerungszahlen werden – wie auch die mathematische Stellungnahme der einzigen Mathematikerin in der Anhörung des Innenausschusses zeigte – größer. Damit verringert sich die Erfolgswertgleichheit der Stimmen in einigen Wahlkreisen. Die kritische Grenze von +/-15% der Abweichung von der durchschnittlichen Bevölkerungszahl der Wahlkreise tangieren weitaus mehr Wahlkreise als im Vorschlag der Wahlkreiskommission. Sachliche Gründe für die Abweichung vom Vorschlag der Wahlkreiskommission finden sich in der Begründung des Regierungsentwurfes nicht – es gibt sie wohl auch nicht. Möglicherweise werden Sie, Herr Innenminister, hier einen neuen sächsischen Begriff prägen: das Ulbigmandering.

Aber Ruhm wird ihnen das nicht einbringen, denn, sehr geehrte Damen und Herren, in einem für die Demokratie so sensiblen Bereich, wie dem Wahlrecht ist nicht alles, was vielleicht gerade noch so verfassungsrechtlich zulässig ist auch politisch vertretbar. Mit ihrem Gesetzentwurf zeigen sie erneut, wie unsensibel sie bei Kernfragen der Demokratie zu Werke gehen. Mit ihrem Gesetzentwurf bewegen Sie sich auf gefährliches Glatteis, meine Damen und Herren von der Koalition. Fragen des Wahlrechtes sollten über jeden rechtlichen und tatsächlichen Zweifel erhaben sein. Ihr Gesetzentwurf ist es keineswegs. Der Vorschlag der Wahlkreiskommission war objektiver und mathematisch besser – doch dieser Maßstab ist für sie offenbar unwichtig.

Und zum Schluss möchte ich Sie noch auf Folgendes hinweisen: Jedes Direktmandat mehr für die CDU ist bei den von Ihnen präferierten Modell mit 60 Wahlkreisen ein Überhangmandat mehr im Sächsischen Landtag, welches ausgeglichen werden muss. Mit jedem Wahlkreis, den Sie zu Gunsten der CDU schneiden, vergrößern sie den Landtag weiterhin.
Schon jetzt ist der Landtag deutlich größer als seine verfassungsrechtliche Regelgröße. Sie tragen mit diesem Gesetzentwurf dazu bei, dass wir uns auch hier mit einer weiteren Überschreitung der Regelsitzzahl von 120 Abgeordneten um ca. 10 % in verfassungsrechtlich bedenklich Fahrwasser begeben. Wie wollen Sie das eigentlich der Öffentlichkeit erklären?

Schade, dass sie von CDU, FDP und auch sogar den LINKEN eine Anhörung zum Bericht der Wahlkreiskommission zu unserem Alternativvorschlag auf später vertagt haben. Angesichts dieses fachlichen Gesetzentwurfes wundert nicht, dass Sie eine echte fachliche Diskussion scheuen mussten.

Wir GRÜNE werden nach dem Beschluss dieses Gesetzes die Wahlkreisstruktur fachlich prüfen lassen und danach über die weiteren Schritte entscheiden. Unsere verfassungsrechtlichen und fachlichen Bedenken sind keineswegs ausgeräumt. Deshalb müssen wir heute dazu mit Nein stimmen.

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