Eva Jähnigen: Die heilige Kuh Straßenneu- und -ausbau bleibt von jeder Kontrolle ausgenommen

Redebeitrag der Abgeordneten Eva Jähnigen zur Großen Anfrage der GRÜNEN ‚Dimensionierung sächsischer Straßenneubauten‘ (Drs 5/13109)
97. Sitzung des Sächsischen Landtages, 22. Mai 2014, TOP 4

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
meine Damen und Herren,
Verkehrsprognosen sollen die Grundlage für richtige Entscheidungen für Straßenneubau und Ausbau geben und nach dem Bau einen Soll-Ist-Vergleich ermöglichen – genauso wie Steuerschätzungen und Haushalts- und Vermögensrechnungen.
Anders gesagt: Gerade in Zeiten knapperer Finanzen sind Verkehrsprognosen ein Machtinstrument. Folge von Straßenneubauten ist häufig, dass die vorhandenen Straßen zu kommunalen herabgestuft werden und unser Straßennetz trotz der sinkenden Bevölkerung dichter wird. Damit steigen die absoluten, ständigen Kosten für den Straßenkopf pro Kopf der Bevölkerung ständig an!
Zum verantwortlichen Wirtschaften einer Regierung muss gehören, anhand der einst getroffenen Prognosen und den real eingetretenen Verkehrsbelegungen die Investitionen im Straßennetz ständig neu zu bewerten. Das muss so selbstverständlich sein wie die jährliche Haushaltsrechnung in Staat oder Unternehmen.
Nicht so bei CDU und FDP in Sachsen. Die heilige Kuh Straßenneu- und -ausbau in Sachsen bleibt von jeder Kontrolle ausgenommen. Sie verwenden Prognosen aus den 90er Jahren und tun so, als ob die Bevölkerung bei uns nicht schrumpfen würde.
Es gibt in Sachsen nicht mal eine Stelle, die systematisch die für Straßenbaumaßnahmen verwendeten Prognoseannahmen sammelt und einen nachträglichen Vergleich mit der realen Entwicklung anstellt.
Sehr geehrte Damen und Herren aus CDU und FDP: Wer die Schuldenbremse wirklich ernst nimmt, müsste sich gerade diesem Thema stellen!
Da Sie das aber bis heute nicht tun, war es wieder Aufgabe der GRÜNEN-Oppositionsfraktion, mit einer Großen Anfrage Licht ins Dunkel zu bringen.
Vorab: Die Auskunftsfreudigkeit der Regierung blieb begrenzt. Wir mussten extra in Kleinen Anfragen nachhaken. Bei den Verkehrsbelegungen haben Sie zur Recherche an Dritte verwiesen. Dieses Verhalten dürfte Kalkül gewesen sein, denn etliche Fleißarbeiten später war uns klar: die widerwillig und scheibchenweise gegebenen Antworten auf unsere Fragen sind brisant!
Die Gegenüberstellung der Prognosen, also des SOLL, mit den realen Verkehrsbelegungen, dem IST, zeigte bei den Aus- und Neubauprojekten der sächsischen Staatsstraßen im Durchschnitt ca. 40-prozentige Überhöhungen der Prognosen auf. Bei den Aus- und Neubauprojekten der sächsischen Bundesstraßen – geplant ebenfalls von der sächsischen Verwaltung – lag eine Überhöhung um im Schnitt 30 Prozent vor.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
was würden Sie mit einem Finanzminister machen, wenn er sich im SOLL um 30 Prozent gegenüber dem IST, verschätzen würde? Beim Straßenbau aber werden solche Fehlschätzungen stillschweigend seit vielen Jahren hingenommen! Und hier wurde und wird Geld vergeudet – plant und baut der Freistaat doch immer noch auf Basis der offenkundig häufig falschen Prognosen weiter.
Hier liegt eine systematische Verzerrung vor. Das erklärt auch, dass sie Sie, wie der Teufel das Weihwasser, eine öffentlich zugängliche Evaluation der sächsischen Straßenbauprojekte und der derzeitigen Verkehrsprognose scheuen. Und sie machen nicht einmal bei allen Verkehrsbauten Kosten-Nutzen-Untersuchungen. Das hat ja schon fast planwirtschaftliche Dimensionen.

Haupterkenntnisse aus unserer Großen Anfrage sind:
Die Annahmen für die Prognosen gehören dringend auf den Prüfstand. Die notwendigen statistischen Daten liegen vor. Ohne größeren Zusatzaufwand können sie ausgewertet und dann die Kosten-Nutzen-Untersuchungen ausgewertet werden.
Aber es kommt noch schlimmer. Offenbar hat Ihre Regierung auch 2013 die knappen Bundesmittel für den Erhalt des Straßennetzes für Sachsen zweckentfremdet. 22 Prozent der für den Erhalt der sächsischen Bundesstraßen vom Bund überwiesenen Gelder wurden im letzten Jahr nach Angaben der Bundesregierung von Ihnen in den Neubau abgezweigt. Bei den Bundesstraßen hätten Sachsen 2013 eigentlich 8,4 Millionen Euro zur Verfügung gestanden; die Straßenbauverwaltung steckte aber mit 31 Millionen Euro fast das Vierfache in den Neubau! Auch bei den Autobahnen wurden anstelle der vorgesehenen 11,2 Mio. € in Sachsen zu Lasten des Unterhalts 16,9 Mio. € verbaut. Genau umgekehrt ist die Lage bei der Erhaltung: Statt wie vorgegeben 62,1 Millionen Euro flossen nur 48,3 Millionen Euro in den Substanzerhalt der Bundesstraßen in Sachsen.
Sachsen finanziert damit Neubauprojekte zulasten des Erhalts.
Doch jedem muss klar sein:
Wenn wir nicht kontinuierlich in den Erhalt unserer Verkehrsinfrastruktur investieren, dann haben wir es bald mit Schlaglochpisten und bröckelnden Brücken zu tun.
Die CDU-geführte Regierung aber lässt die falschen Prognosen weiterlaufen und schaufelt weiter Geld in den Neubau. Warum? Weil Sie zu lange vielen Menschen vor Ort falsche Hoffnungen gemacht haben.
Und für den künftigen Bundesverkehrswegeplan haben Sie immer noch eine viel zu lange Liste von Straßenbauprojekten im Umfang von knapp 1,8 Mrd. Euro angemeldet. Dabei sind schon im aktuellen Bundesverkehrswegeplan nur von den baureifen Straßenbauvorhaben mit ca. 6,5 Mrd. Euro bundesweit unterfinanziert – deutschlandweit.
Agieren Sie doch endlich mal realistisch! Agieren Sie ehrlich!
Mit unserem Entschließungsantrag liegt Ihnen nun das Angebot vor, sich auf einer wissenschaftlich fundierten Grundlage die bitter nötige Auszeit beim Planen und Bauen zu nehmen, Planzahlen und Realität zu vergleichen und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen. Bremsen Sie den Verfall des Straßennetzes, ehe die Kosten weiter aus dem Ruder laufen!

» Entschließungsantrag zur Großen Anfrage