Eva Jähnigen: Gemessen an ihren eigenen Ansprüchen ist die CDU/FDP-Koalition vollständig gescheitert

Redebausteine der Abgeordneten Eva Jähnigen zur Aktuellen Debatte der GRÜNEN-Fraktion:
"Die Regierung kürzt, das Angebot schrumpft, der Fahrgast zahlt – Finanzierung von Sachsens Bussen und Bahnen in der Sackgasse"
101. Sitzung des Sächsischen Landtages, 10. Juli 2014, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
fünf Jahre Verkehrspolitik der Regierung von CDU und FDP gehen zu Ende. Sie wollten laut Koalitionsvertrag die überregionale Bahnanbindung Sachsens verbessern und einen leistungsfähigen ÖPNV mit seiner Finanzierung sichern.
Gemessen an Ihren eigenen Ansprüchen sind Sie vollständig gescheitert. Da nützen auch Scheinaktivitäten auf den letzten Metern nichts mehr. Das druckfrische "strategische Bahnkonzept" von Bahn und Staatsregierung sollte lieber "verkehrspolitischer Offenbarungseid" heißen.
Hauptsächlich besteht diese Broschüre aus einer Eigendarstellung des DB-Konzerns mit schönen Bildern. Konkrete Aussagen über den Zustand des Bahnnetzes und der Bahnhöfe in Sachsen fehlen allerdings völlig. Dabei wären gerade diese Informationen spannend gewesen. Eine aktuelle Anfrage der GRÜNEN-Bundestagsfraktion ergab, dass fast ein Drittel der insgesamt 1.984 Eisenbahnbrücken in Sachsen in einem besorgniserregenden Zustand ist.
Laut Bundesregierung müssen 525 in die Kategorie 3 "Umfangreiche Schäden, Instandsetzung möglich" und 51 sogar in die vierte Kategorie "Gravierende Schäden, wirtschaftliche Instandsetzung nicht mehr möglich" eingeordnet werden. Das bedeutet, 525 Brücken müssen dringend instand gesetzt, 51 Brücken sogar völlig neu gebaut werden. Dazu von Ihnen kein Wort. Konkret aufgezählt werden in Ihrem sogenannten Strategiepapier lediglich drei sächsische Bahnprojekte aus dem Landesverkehrsplan – die Neubaustrecke Dresden-Prag als Erstes.
Für diese drei Projekte sagt die DB Sachsen ihre Unterstützung zu. Mehr nicht. Ich weiß, dass sie das jetzt schon als erheblichen Erfolg darstellen müssen.
Aber tatsächlich ist es eine Beschwichtigung. Was bedeutet die Unterstützung der Deutschen Bahn denn konkret? Da schweigt Ihre Vereinbarung. Positiv gesagt: es handelt sich vielleicht um eine ideelle Unterstützung. Realistisch formuliert: Es fehlt an jedweder Finanzierungszusage und irgendeinem verbindlichen Zeitrahmen. Für dieses Papier haben Sie uns nun mehr als zwei Jahre vertröstet?
In den vergangenen fünf Jahren haben sie trotz aller Termine mit der DB AG Ihre selbst gesteckten Ziele krachend verfehlt. Der Fernverkehr, der als eigenwirtschaftlicher Bahnverkehr durch die DB AG selbst finanziert wird, ist in Sachsen zurückgefahren worden. Er muss nun zusätzlich aus den Mitteln des Landeshaushaltes finanziert werden – und zwar trotz ausgezeichneter Fahrgastzahlen.
Das betrifft die Fernverkehrslinien Dresden–Görlitz–Breslau/Wroclaw und Dresden–Chemnitz–Plauen–Hof–Nürnberg, letztere übrigens nach der Elektrifizierung der Strecke.
Aber noch schlimmer: Die Fahrzeiten des Fernverkehrs Dresden–Berlin und Dresden–Leipzig haben sich trotz aller vollmundigen Versprechen noch einmal verschlechtert. Und Chancen, durch eine gemeinsame Bestellung mit anderen Ländern ein langlaufendes Bahnangebot von Gera nach Chemnitz zu bestellen, haben Sie nicht einmal geprüft.
Und verstecken Sie sich dabei bitte nicht schon wieder hinter den Verkehrsverbänden.
Gemäß § 2 Abs. 2 Sächsisches ÖPNV-Gesetzes wären Sie als Regierung für die Koordination des Bahnverkehrs besonders über das sächsische Gebiet hinaus zuständig gewesen, Herr Minister Morlok! Ich spreche gar nicht von solchen wiederzubelebenden Projekten wie der ehemaligen umsteigefreien Tagesverbindung von Leipzig nach Metz, Paris oder Amsterdam oder von vertakteten Interregios von Chemnitz via Erfurt und Kassel nach Düsseldorf. Nein, bei der schlechten Fernverkehrssituation, die Sie 2009 übernommen haben, war dank Ihres gemeinsamen "Regierungs-nicht-Handeln" offensichtlich noch Luft nach unten.
In der 2012 veröffentlichten Studie des Instituts für Wirtschaft an der Universität Dresden über die Bahnanbindung deutscher Großstädte durch den Schienenpersonenverkehr lag Leipzig auf Platz 58, Dresden auf Platz 75 und Chemnitz auf Platz 78. Platz 80 war die schlechtest mögliche Platzierung – würde die Studie 2014 aktualisiert, hätten wir diese allerletzte Platzierung vermutlich für Sachsen sicher.
Völlig auf der Strecke bleibt bei Ihnen der Ausbau des Bahnnetzes in der Fläche des Landes. Dabei sind die Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen viel weiter als die Regierung. Auf einer Tagung der Nahverkehrsakteure in Dresden am 26. Mai 2014 wurde umfassend über die Chancen der Einführung eines sachsenweiten, überregional angebundenen Taktfahrplanes diskutiert. Wir haben uns gefreut, dass unser Vorschlag für den Masterplan Sachsentakt 21 von den Fachleuten aufgegriffen wird – bringt er doch neben großen Vorteilen für die Fahrgäste auch eine bessere Auslastung des Bahnnetzes und damit eine bessere Effizienz für Personen- und Güterverkehr auf der Schiene.
Der dafür notwendige Netzausbau wäre übrigens mit einem Drittel des Geldes machbar, das Sie offensichtlich mit höchster Priorität in den Neubau der Strecke Dresden–Prag stecken wollen. Mit dieser völlig verkehrten Priorisierung laufen Sie als Regierung höchste Gefahr, ein nur bestenfalls ganz langfristiges, superteures Projekt zu betreiben und von den machbaren Projekten, wie dem Ausbau der Strecke von Dresden nach Görlitz wieder nichts durchsetzen zu können. Lernen Sie doch endlich einmal aus den falschen Prioritätensetzungen der letzten Jahre und verlassen Sie sich nicht auf Versprechungen. Wir müssen uns auf das Machbare konzentrieren. Luftschlösser helfen da nicht.
Bei der Durchsetzbarkeit der sächsischen Bahnprojekte kommen wir wieder zur leider unvermeidlichen Frage der Finanzierung. Derzeit reicht Sachsen nur 73 Prozent des Regionalisierungsgeldes an die Aufgabenträger des Bahnverkehrs weiter. Dass die von uns befürchteten Folgen eingetroffen sind, ist ja bekannt – Bahnabbestellungen in den Landkreisen Vogtland und Meißen und vor allem Tariferhöhungen, die mit den Einkommensentwicklungen im Land nicht mehr mithalten. Allein im Verkehrsverbund Oberelbe wurden seit 2010 die Tarife um 16 Prozent erhöht. Das belastet viele Menschen besonders mit niedrigen Einkommen und in ländlichen Regionen sehr.
Die Einführung eines fahrgastfreundlichen sachsenweiten Tarifes wurde von Ihnen schon im Ansatz ignoriert.
Angesichts der Folgen der Kürzungen wollen sie nun die Situation wieder etwas verbessern und den Zweckverbänden 6 Prozent der Mittel mehr weiterreichen als bisher. Damit sind sie aber immer noch bei nur 79 Prozent Mittelverwendung für den Schienenpersonennahverkehr und damit weiter im hinteren Drittel aller Bundesländer. Wir meinen: wenn Sachsen schon kein eigenes Geld in den Bahnverkehr und ÖPNV steckt, sollten wenigstens die Regionalisierungsmittel komplett für den Schienenpersonennahverkehr investiert werden.
Und wie steht es um die bundesweiten Verhandlungen um die Regionalisierungsmittel? Morgen treffen sich in Berlin die Bundesverkehrsminister zur Bundesverkehrsministerkonferenz und beraten über den neuen Verteilerschlüssel. Die Entscheidungsvorlage des federführenden Landes hierfür sieht vor, dass die Verteilung in Zukunft zu 50 Prozent nach der Bevölkerung und zu 50 Prozent nach gefahrenen Zugkilometern bemessen werden soll. Das ist für Sachsen kein günstiger Schlüssel, sinkt doch unsere Bevölkerung bekanntlich stark. Auch wenn die Mittel insgesamt erhöht werden – was ja bekanntlich nicht morgen, sondern erst im August im Vorfeld der Haushaltsberatungen des Bundes klar werden wird – auch dann, wird es für Sachsen mittel- und langfristig wachsende Finanzierungsprobleme im öffentlichen Personenverkehr geben.
Herr Minister Morlok, wie wird sich Sachsen denn morgen konkret auf der Verkehrsministerkonferenz verhalten? Hat es sich im Vorfeld mit den anderen Bundesländern vor allem in Ostdeutschland verbündet? Hat es in den Länderarbeitsgemeinschaften Vorbehalte gemacht und auf die Durchsetzung der sächsischen Interessen gepocht?
Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen,
Das Kreuz mit ihrer Bahnabbau-Politik in der Fläche des Landes ist: wenn sie wie im Landesverkehrsplan die Anzahl der potenziellen Fahrgäste niedrig rechnen und keine Steigerungsperspektive und keinen Steigerungswillen zeigen, verringern sie auch die Chancen, die sächsischen Bahnprojekte tatsächlich durchzusetzen. Denn ohne steigende Fahrgastzahlen wird es mit den Kosten-Nutzen-Untersuchungen für neue Bahnprojekte schlichtweg schwierig werden. Das hat der DB–Vorstand dem Ministerpräsidenten ja bereits zum Bahngipfel in Chemnitz ins Stammbuch geschrieben, indem er öffentlich das Kosten-Nutzen-Verhältnis für den Ausbau der Strecke Chemnitz–Leipzig anzweifelte. Das ist ja auch der Grund dafür, dass die DB-AG selbst keine konkreten Initiativen für die Planung der Ausbaustrecken in die Hand nimmt und Sachsen alles vorfinanzieren muss. Gegen diese Abwartehaltung der DB AG haben Sie nicht den Ansatz eines Konzeptes.
Aber die Alternativen liegen auf dem Tisch:
Der neue sächsische Landtag und die neue Regierung müssen die Weichen neu stellen und den Ausbau des sächsischen Bahnnetzes betreiben. Dazu gehört eine landesweite Planung für einen integralen Taktfahrplan, der die Menschen aus den ländlichen Räumen schnell in Mittel- und Oberzentren bringt und zusammen mit einem sachsenweiten Tarif neue Fahrgastpotenziale in den Ballungsräumen erschließt. Unsere renommierten Gutachter halten eine Verdoppelung der Fahrgäste in zehn Jahren für möglich – das Bundesland Rheinland-Pfalz macht es vor. Damit können wir die vorhandene Infrastruktur effektiver auslasten, die Angebote für die Fahrgäste und die Einnahmen im ÖPNV verbessern. So wird unser Bahnnetz attraktiv – und dann sind Ausbauprojekte im Bahnnetz auf Bundesebene auch durchsetzbar. Aber nur dann und nicht durch eine Politik von Bahnabbau und unverbindlichen Versprechen.