Eva Jähnigen: Landesverkehrsplan setzt falsche Prioritäten: Fahrgastprognose 2025 zeigt schon jetzt klar, wo Minister Morlok weiter kürzen will

Redebausteine der Abgeordneten Eva Jähnigen zur Aktuellen Debatte der GRÜNEN-Fraktion "Bus und Bahn werden ruiniert – Staatsregierung muss umsteuern – Für eine neue Verkehrspolitik", 58. Sitzung des Sächsischen Landtages, 14. Juni 2012, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

sächsische Verkehrspolitik kann man mit drei großen "V" zusammenfassen: Versprechen, Vertrösten, Versagen.
Diese drei "V" betreffen besonders den Öffentlichen Verkehr. Unsere Regierung dekoriert ihr politisches Schaufenster mit Elektromobilität. Aber: sie versteht sie nicht – die beste Form der Elektromobilität ist die elektrische Bahn. Leider sieht die Regierung Sachsen nur "als Auto-Land" und den "ÖPNV als ergänzendes Angebot" – so zu lesen im Entwurf des Landesentwicklungsplans.

Auch der neue sächsische Verkehrsplan fußt auf diesen Irrtümern. Er ist ein ausgemustertes Produkt des vergangenen Jahrhunderts. Damals in den 90ern war das Benzin noch billig und die Ölquellen unerschöpflich. Mit dem Bau großer Straßen versprach die sächsische CDU Wachstum in Wirtschaft und Bevölkerung.

In dieser Zeit beförderte die Ignoranz der Regierungen Biedenkopf und Milbradt die Abbindung Sachsens vom Bahnfernverkehr. Sie stimmte der Trasse Berlin-Erfurt-Bayern zu, die den Fernverkehr bananenförmig an Sachsen vorbeiführen soll.
Als Gegenmittel sollte der Leipziger Citytunnel gebaut werden. Leider wurde dieses teure Märchen der Fernverkehrsanbindung von maßgeblichen Politikern der SPD unterstützt.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen: wir leben seit elf Jahren und sechs Monaten im 21. Jahrhundert. Öl wird knapp und teurer. Die neuen Straßen sind oft nicht ausgelastet; ihre Unterhaltungskosten steigen. Der Citytunnel ist keine Fernverkehrsachse, sondern verdirbt die Fahrpläne des Regionalverkehrs.

Für viele Menschen im Land gehört Autofahren zur Mobilität genauso wie Zufußgehen, Radfahren und die Nutzung von Bus und Bahn. Ein flottes Rad kombiniert mit Jobticket und Carsharing-Teilnahme ist für viele das neue Statussymbol. Ein Viertel aller Haushalte verfügt nicht über ein Auto. Die Menschen wollen flexible, bezahlbare Mobilität. Aber eins wollen sie nicht: Abhängigkeit vom Auto.

Die Quittung für ihre massiven und unnötigen Kürzungen beim ÖPNV ist inzwischen bei den Bürgerinnen und Bürgern angekommen: In sämtlichen Verkehrsverbünden gab es Tariferhöhungen zwischen sieben und zehn Prozent. Schmerzhafte Angebotsausdünnungen im VVV, VMS und ZVNL wurden bereits realisiert; weitere drohen zu folgen.

In den Ballungsräumen stöhnen die Menschen über Feinstaub und Lärm. Bus und Bahn gewinnen hier neue Fahrgäste. In den ländlichen Räumen fragen sich dagegen viele Menschen, wann überhaupt noch ein Bus fährt. Im Landesverkehrsplan versuchen Sie die Situation mit verkürzten Reisezeiten zu verschönen. Aber was helfen kurze Reisezeiten, wenn ein Bus nur zweimal am Tag fährt?

Realität sind auch überfüllte Nahverkehrszüge. Ob von Dresden nach Görlitz oder von Freiberg nach Chemnitz: wir erleben so volle Züge, dass nicht immer alle Fahrgäste mitkommen. Anstatt der drohenden Einstellung des Interregio-Express Dresden-Chemnitz–Nürnberg ab 2015 brauchen wir genügend Kapazität auf dieser Strecke. Oder sollen Pendler und Touristen demnächst auf Zugdächer ausweichen?

Wie kommt Sachsen aus diesem von Ihnen verursachten Schlamassel?

Mit dem vorliegenden Landesverkehrsplan nicht. Hier sind schon die Analysen und Prognosen falsch. Wie wollen Sie begründen, dass die Nutzung des Öffentlichen Verkehrs bei zehn Prozent stagnieren und die Nutzung des Fahrrads sinken soll? Die Untersuchungen der TU Dresden weisen steigende ÖPNV- und Fahrrad-Nutzung in Groß- Mittel- und kleineren Städten aus.

Natürlich ahnt man bei der Auflistung der noch weiter betriebenen Straßenneubauprojekte: die Regierung braucht diese Prognosen um den Straßenbau immer noch zu rechtfertigen. Dabei zeigt sich vielerorts, dass der Verkehr auf den neugebauten Straßen nicht einmal die Hälfte der Prognosen erreicht. Diese Projekte würden heute keine Kosten-Nutzen-Betrachtung überstehen.

An dieser Stelle sei klar gesagt: Kostenbewusstsein gilt bei dieser Regierung nur für den ÖPNV und nie für den Verkehr auf der Straße. Schauen Sie doch endlich auf die Fakten: im sächsischen ÖPNV-Betrieb haben wir einen sehr guten Kostendeckungsgrad von ca. 70 Prozent. Legen Sie endlich die Kosten für den Betrieb und die notwendigen Sanierungen der Straßen offen, wie sie es versprochen haben.

Aus ihrer falschen Prognose schlussfolgern Sie im Verkehrsentwicklungsplan, dass der ÖPNV in der Fläche des Landes abgebaut werden muss. Die enthaltene grün-rot-gelb Karte mit der Fahrgastprognose für 2025 zeigt schon jetzt klar: Minister Morlok bereitet weiter Kürzungen vor. Sie rechnen bis 2025 nur mit einem Prozent Fahrgastzuwachs und einer Angebotsausweitung von zwölf Prozent. Das wird nur wenig neue Einnahme bei steigenden Kosten bringen.

Der entscheidende Haken der sächsischen Politik ist: Mit den jetzigen Kürzungen sorgen sie für kommende Kürzungen bei den uns zugewiesenen Bundesgeldern. Und als bundesweit bekanntes ÖPNV-Abbauland können Sie keinen Bahnfernverkehr nach Sachsen holen. Herr Ministerpräsident: bei der Pressekonferenz zum sogenannten Bahngipfel betonte der Bahnvorstand, dass ein Fernverkehr auf der Strecke Chemnitz–Geithain–Leipzig nur bei zusätzlichen Fahrgastpotenzialen rentabel wäre. Hat Sie das nicht sehr nachdenklich gemacht?

Was Sie noch beim Bahngipfel ankündigen, war interessant: sie wollen jetzt einen "gemeinsamen Strategieplan" für den regionalen Bahnverkehr machen. Das fordern wir GRÜNEN seit Jahr und Tag.
Aber warum haben Sie dann in ihrem Kabinett vor wenigen Tagen diesen unbrauchbaren Verkehrsentwicklungsplan beschlossen? Der enthält ja nicht einmal im Ansatz einen Plan für die Bahn. Werfen Sie das antiquierte Stück schnell in den Papierkorb. Verlassen Sie sich nicht mehr auf die Versprechen des DB-Konzerns. Für deren Risiken haftet ja ohnehin immer unser Freistaat.

Für einen Neuanfang im sächsischen Verkehr fordern wir GRÜNEN:

  1. Sachsen braucht eine landesweite ÖPNV-Planung Sachsentakt 21 mit einem integrierten Taktfahrplan mit schnellem Regionalverkehr, S-Bahnen und Landesbuslinien. Bus und Bahn dürfen sich keine Konkurrenz mehr machen.
  2. Mit einer Bahnoffensive durch attraktive Angebote, günstige Umsteigebeziehungen und einen landesweiten, bezahlbaren Tarif werden neue Fahrgäste und damit Einnahmen erschlossen.
  3. Teil der Bahnoffensive des Freistaates Sachsen werden Fahrgastrechte auf Pünktlichkeit und Service. Als potenzielle Fahrgäste werden alle Bürger bei ÖPNV-Planungen beteiligt.
  4. Im ländlichen Raum gibt es neue, effektive ÖPNV-Angebote mit alternativen Bedienformen wie Kombibusse, Anrufsammeltaxis oder Bürgerbusse.
  5. Die Kürzungen bei den Zuschüssen für den ÖPNV werden mit dem Haushalt 2013/14 zurückgenommen.
  6. Durch gezielte Investitionen aus den Entflechtungsmitteln in den ÖPNV werden Energieverbrauch und Kosten gesenkt. Mit flächendeckender Barrierefreiheit wird der ÖPNV attraktiv für alle; die Umsteigedauer wird verkürzt.
  7. Sachsen setzt sich im Bundesrat für eine Bahnreform ein, damit die Einnahmen aus dem Bahnnetz nicht mehr im Bahnkonzern versenkt werden. Bahnnetz und Bahnhöfe hier in Sachsen müssen saniert werden.
  8. Sachsen drängt konzertiert mit seinen Nachbarländern in Deutschland und Osteuropa sowie den Kommunen auf bessere Durchbindung und gute Angebote im überregionalen Bahnverkehr.

Mit diesen Forderungen kann Sachsen eine Verkehrswende einleiten. Wir setzen anstelle der drei "V" besser auf drei "F": Fahrgäste gewinnen, Finanzierung für den öffentlichen Verkehr sichern, Folgekosten senken.

Nur so erreichen wir flexible und bezahlbare Mobilität für alle in Sachsen. Schluss mit den Planspielen der 90er Jahre und gute Fahrt in die sächsische Verkehrswende.
» Informationen zu Tarifsteigerungen, ÖPNV-Kürzungen sowie Streckenreduzierungen in den einzelnen Zweckverbänden

Hintergrund:

  • Zum Vergleich: Rheinland-Pfalz dagegen strebt mit seinem Integrierten Taktfahrplan bis 2015 eine Steigerung der Zugkilometerzahl um 20 Prozent an. Und zwar bei gleichbleibendem Zuschussbedarf. Seit 1994 wurde die Zugkilometerleistung bereits um 60 Prozent gesteigert. Wie machen die das? Die Rheinland-Pfälzer generieren mit guten Angeboten neue Fahrgäste und Mehreinnahmen.
  • Dort gibt es einen Integralen Taktfahrplan zwischen Bus- und Bahn, ein landesweites Ticket für Bus und Bahn und neben der Ausweitung des Bahnverkehres landesweit sogar die Reaktivierung einer stillgelegten Bahnlinie im bevölkerungsschwachen Hunsrück. Die ÖPNV- Investitionen aus den sogenannten Entflechtungsgeldern werden verdoppelt und damit Einnahmen erhöht und Ausgaben verringert.