Eva Jähnigen: Landesverkehrsplan stellt die Weichen für den Öffentlichen Verkehr falsch

Redebausteine der Abgeordneten Eva Jähnigen zum GRÜNEN-Antrag "Öffentlicher Verkehr im gesamten Freistaat Sachsen absichern und abbauen – Drohende Streckenstillegungen im Bahnverkehr abwenden", 64. Sitzung des Sächsischen Landtages, 17. Oktober 2012, TOP 10

– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrte Damen und Herren!

Vor 15 Tagen hat die Regierung den sächsischen Landesverkehrsplan beschlossen. Dieser Plan stellt die Weichen für den Öffentlichen Verkehr falsch. Unser Antrag gibt den Abgeordneten des Landtages die Chance, das zu korrigieren. Wenn Sie diesen Hebel nicht nutzen, werden sie der falschen Weichenstellung nur noch hinter hersehen können, verehrte Kolleginnen und Kollegen.

Diesen Appell richte ich ganz besonders an die Abgeordneten der CDU. In der Opposition sind wir uns im Grundsatz einig: ohne Korrektur der von unüberlegten Ideologien der FDP geprägten Verkehrspolitik des Hauses Morlok werden die Versprechen von Ministerpräsidenten Tillich zu leeren Worten.
Sie fragen welche Versprechen? Ja, viel sind die Worte von Ministerpräsidenten Tillich offenbar nicht wert, dass sich die Koalitionsabgeordneten nicht erinnern können.

Herr Ministerpräsident, so werden sie die Schienenanbindungen in den ländlichen Regionen nicht stabilisieren können. Und sie werden den Bahnfernverkehr so nicht nach Westsachsen und Ostsachsen zurückholen können.

Wenn Sie als CDU nach 2014 weiter die Regierung führen wollen – woran ich angesichts ihrer kurzsichtigen Verbeugungen vor der Ideologie der FDP manchmal zweifle – werden sie ein schweres Erbe verantworten müssen. Wollen Sie sich dann weiter hinter Ihrem derzeitigem Koalitionspartner FDP verstecken, den sie dann verloren haben ?

Wir GRÜNE meinen: gerade zusammen mit den erneut geplanten ÖPNV-Kürzungen beim Doppelhaushalt 2013/14 gefährdet der derzeitige Landesverkehrsplan akut die Grundlagen des sächsischen Öffentlichen Verkehrs.

Haben Sie in der Koalition die landesweiten Erhöhungen der Nähverkehrstarife zur Kompensation der bisherigen Kürzungen nicht nachdenklich gemacht? Sind Ihnen die hohen Folgekosten für die sächsischen Haushalte mit Kindern und alten Menschen kein Nachdenken wert? – 264 Euro mehr ÖPNV-Kosten für eine vierköpfige Familie in Leipzig.

Offenbar hat Verkehrsminister Morlok einen Verkehrsplan vorgelegt, der nur eine Aufgabe hat: die Kürzungen beim Öffentlichen Verkehr und weiterhin die zu hohen Ausgaben bei Straßenneubau im Haushalt zu rechtfertigen. Mit Landesentwicklung oder Verkehrsplanung hat das nichts zu tun. Und der Ministerpräsident sowie die beiden CDU-Minister für Umwelt und Innen haben das offenbar kritiklos akzeptiert.

Das Problem fängt bei den Grundlagen der neuen Verkehrsplanung an. Gegen den Rat aller Experten wurde der Landesverkehrsplan nach seiner Offenlegung nicht überarbeitet. Die Regierung geht weiterhin von stagnierenden ÖPNV-Anteilen im Landesverkehr und damit stagnierenden Tarifeinnahmen bei steigenden Beförderungskosten aus.

Das widerspricht den praktischen Erfahrungen im Land. In den Ballungsräumen nimmt die ÖPNV-Nutzung deutlich zu – und hier lebt etwa die Hälfte der Sächsinnen und Sachsen. Aber auch in den ländlichen Räumen mit sinkender Bevölkerung müssen mehr Menschen häufiger in die Mittel- und Oberzentren pendeln und wollen dazu öffentlichen Verkehr nutzen. Das betrifft gerade die steigende Anzahl älterer Menschen und Berufstätige. Sehen Sie sich doch mal Fahrgastzahlen aus den Verkehrsverbünden in den ländlichen Räumen an.

Mit falschen Annahmen kommt der Landesverkehrsplan zu falschen Schlussfolgerungen. Die schwerwiegendste dieser falschen Schlussfolgerung ist der sogenannte Rot-Gelb-Grünplan für die vorhandenen Bahnangebote.

Die Regierung meint, dass Bahnangebote "abseits der Oberzentren" wegen momentan niedriger Fahrgastzahlen generell unrentabel seien. Sie sollen „zugunsten wirtschaftlicher Busverkehre oder alternativer Bedienformen … ersetzt“, also stillgelegt werden.

Der Landesverkehrsplan stellt offenbar die Anforderung, dass der Öffentliche Verkehr bei seinen Betriebskosten im ländlichen Raum ähnliche Deckungsgrade erwirtschaften müsse wie in den Ballungsräumen. So einfach ist die Rechnung aber nicht.

Wir haben in Sachsen derzeit noch einen landesweiten, guten Deckungsgrad um 70 Prozent. Den werden wir dann halten können, wenn ein gut funktionierender Öffentlicher Verkehr in den Ballungsräumen Deckungsbeiträge für die dünner besiedelten Räume mit erwirtschaftet. Wenn es um die Perspektiven des Öffentlichen Verkehrs geht, müssen Sie immer die Wechselwirkungen im System betrachten – und nicht nur die einzelne Bahnstrecken. Unternehmen rechnen so übrigens auch, Herr Verkehrsminister von der FDP!

Die Menschen in den sächsischen Dörfern brauchen nicht nur Schülerverkehr zweimal am Tage von Ort zu Ort. Sie brauchen funktionierende Mobilitätsketten in die Mittel- und Oberzentren. Auf den schnelleren Bahnverkehr ergänzt durch Zubringerbusse werden wir deshalb nicht verzichten können.

Und was bieten Sie diesen Menschen an? Neue Straßen, wo schon die vorhandenen Straßen nicht ausgelastet sind. Straßenneubau ist immer noch die einzige Priorität im Verkehrshaushalt.

Eine dieser derzeit wenig benutzten Rot-Strecken ist z B. die Strecke Niesky-Hoyerswerda. Gerade diese Strecke wird wegen ihrer hohen Güterverkehrsbedeutung von der DB AG schrittweise elektrifiziert. Hier wird in Zukunft auch der Personennahverkehr schneller und preiswerter fahren können.

Anstatt jetzt auf eine Stilllegung der Bahn dort zu drängen, sollte die Regierung vielmehr künftige Potenziale für Personenverkehr und Tourismus in der Lausitz untersuchen und die Strecke durch Buszubringer und alternative Bedienformen verstärken.

Ähnliche Beispiele lassen sich auch für andere derzeit mit Rot- und Gelb markierte Strecken schildern. Oft gibt es übrigens bereits jetzt parallele Busverkehre, die nicht gemeinsam mit der Bahn geplant, sondern von den Kommunen im Alleingang bestellt werden. Das ist ineffektiv. Wir brauchen eine ganzheitliche Planung von Bus und Bahn zur Stärkung der bedrohten Strecken und keine Abbauplanung der Bahn. Die Bahn ist das Rückgrat des sächsischen ÖPNV-Systems. Mit ihr stehen und fallen die Potenziale der ÖPNV-Erschließung in der Fläche des Landes.

Wir GRÜNE wollen eine Verkehrspolitik, die auf Solidarität der Ballungsräume mit den ländlichen Räumen setzt. Nur mit einer landesweiten Verkehrsplanung bekommen wir einen zukunftsfähigen ÖPNV. Bahnverkehr und Bus müssen sich hier künftig sinnvoll ergänzen. Gerade für die längeren Wege in die Mittel- und Oberzentren ist ein schneller Bahnverkehr unerlässlich.

Der Landesverkehrsplan der CDU-geführten Regierung setzt aber auf Entsolidarisierung. Im Bild des Bahnverkehrs gesagt: Ein Zug kommt nur von Ort zu Ort, wenn das Gleis keine Lücken hat. Sonst bleibt die modernste Bahn ein Museumszug.

Der Landesverkehrsplan preist Busverkehr und alternative Bedienformen als Alternative zum Bahnverkehr an. Dünn besiedelte Regionen wie Nordsachsen und Ostsachsen brauchen in der Tat alternative Bedienformen wie Ruf- oder Kombibusse. Diese sind aber nur attraktiv wenn sie einen Knoten mit einem guten Bahnangebot haben. Bei der finanziellen Förderung setzt die Regierung aber einseitig nur auf Schülerverkehr. Selbst die Busförderung ist auf ein Minimum reduziert; Förderung alternativer Bedienformen finden wir überhaupt nicht. Wie sollen diese denn überhaupt aus dem Boden gestampft werden?

Das Dilemma dieser fehlgeleiteten Verkehrspolitik geht weiter mit den bisher offenbar überhaupt nicht angegangenen Versprechungen zum Bahngipfel im Sommer in Chemnitz. Wo bleibt denn der historische Masterplan Bahn, den Sie im Sommer versprochen haben, Herr Ministerpräsident? Wie wollen Sie die Wiederanbindung Sachsens an den Bahnfernverkehr nun absichern? Was tun sie zum Erhalt der eigenwirtschaftlichen Bahnangebote auf der Strecke Dresden – Chemnitz – Plauen – Nürnberg nachdem Sie in Sachen Verkehrsangebot Dresden – Görlitz – Wroclaw so kläglich gescheitert sind?

Still ruht der See. Ich fürchte, sie sind einmal mehr den Beruhigungspillen des DB-Konzerns zum Opfer gefallen. Gehen Sie es jetzt endlich an und machen sie eine tragfähige Verkehrsplanung als Grundlage der künftigen Landesentwicklungsplanes!

In Punkt I unseres Antrages wollen wir GRÜNEN, dass sich die sächsische Regierung erst einmal gründlich mit der Realität des öffentlichen Verkehrs im Lande auseinandersetzt.

Infolge dessen muss der Landesverkehrsplan nach Maßstäben der Punkte unter II. überarbeitet. Wir brauchen Perspektiven für den Öffentlichen Verkehr in Sachsen – mit einem Integralen Taktfahrplan und schnellen regionalen Bahnverbindungen landesweit und einem Bus- und Bahnergänzungsnetz einschließlich alternativer Bedienformen regional.

Die Rahmenbedingungen in Sachsen sind dafür derzeit noch gut. Aber dringend notwendig ist eine abgestimmte Verkehrsplanung des Landes gemeinsam mit Aufgabenträger und Kommunen. Sie muss finanziell untersetzt sein und perspektivisch auch die Einführung eines landesweiten ÖPNV-Tarifs für Bahn und Bus umfassen.

So gewinnen wir neue Fahrgäste und zusätzliche Einnahmen für die Deckung der Kosten. So bieten wir auch Antworten und Perspektiven als Grundlage für einen nachhaltigen sächsischen Landesentwicklungsplan.

So und nur so kann Sachsen bundesweit für eine gute Ausstattung mit Regionalisierungsmitteln und für die Wiederanbindung von West- und Ostsachsen an den Bahnfernverkehr werben.

Die allgemeine Kritik am derzeitigen Entwurf der Finanzierungsverordnung nach 2015 teilen wir GRÜNE durchaus. Denn durch diese wird weiter Spardruck ausgeübt. Verkehrsangebote für die ländlichen Räume dürfen nicht gegen die in den Ballungsräumen ausgespielt werden. Mit Unmut nehme ich koalitionsinterne Überlegungen wahr, die Verteilerschlüssel dort wie bei der Schülerverkehrsbeförderung zugunsten der ländlichen Räume zu verschlechtern und die Ballungsräume mit ihren gut angenommenen ÖPNV-Angeboten erneut grundlos unter Kürzungsdruck zu stellen.

Am bedenklichsten ist aber: diese Finanzierungsverordnung geht vom bestmöglichen Fall aus. Der Verkehrsminister nimmt optimistisch an, dass Sachsen nach den Neuverhandlungen im Bund nach 2014 immer noch so viel Geld für den ÖPNV zur Verfügung steht wie derzeit. Das ist bei Ihrer derzeitigen Politik aber unwahrscheinlich.

Herr Ministerpräsident: sie haben bundesweit die Bedürfnisse Sachsens nach Fortführung der Bundesfinanzierung für den ÖPNV durch Regionalisierungs- und Entflechtungsgelder thematisiert. Das ist an sich richtig. Nur geben Sie mit ihrer Politik im Lande andere Signale. Sachsen verwendet nur ca. 70 Prozent seiner Regionalisierungsmittel für den Betrieb des ÖPNV und weniger als 15 Prozent der Entflechtungsgelder für Investitionen in den ÖPNV.

Damit sind wir bundesweit Schlusslicht. So können wir nicht erfolgreich verhandeln. Nur mit einem Kurswechsel in Sachsen selbst werden hier erfolgreich verhandeln können. Das wird ein Schwerpunkt in der Haushaltsdebatte in den nächsten Wochen sein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU-geführten Regierungskoalition! Bei unseren verkehrspolitischen Debatten frage ich mich manchmal, ob in Ihrem Triebwagen noch ein Zugführer sitzt oder ob sie auf Automatikbetrieb geschaltet haben. Das wäre eine gefährliche Situation. Der Öffentliche Verkehr ist eine zu wichtige soziale und ökologische Aufgabe, um sich auf FDP-Ideologie ohne Fachkompetenz zu verlassen.

Parteipolitisch könnte man vielleicht konstatieren, dass die derzeitige ÖPNV-Abbaupolitik der CDU-geführten Regierung Menschen aus den Hochburgen von CDU und FDP zunehmend dazu treibt, auf GRÜNEN Veranstaltungen unsere Alternativvorschläge zu ihrer Verkehrspolitik zu diskutieren.

Aber der Scherbenhaufen durch diese Politik schadet dem Land und wäre ein schweres Erbe für jede neue Regierung. Deshalb wollen wir mit unserem Antrag heute diese problematische Entwicklung stoppen. Ich bitte deshalb um überfraktionelle Zustimmung für unseren Antrag.

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