Eva Jähnigen: Sachsen braucht eine echte Polizeireform

Redebeitrag der Abgeordneten Eva Jähnigen zum Gesetzentwurf der GRÜNEN-Fraktion "Gesetz über eine Polizeikommission zur Gewährleistung rechtmäßiger Polizeiarbeit", 63. Sitzung des Sächsischen Landtages, 27. September 2012, TOP 3

– Es gilt das gesprochene Wort –
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Herr Präsident, meine Damen und Herren Kollegen,

Sachsen braucht eine echte Polizeireform. Wir GRÜNE wollen, dass die Polizei transparent sowie auf Wahrung der Grundrechte und Deeskalation ausgerichtet arbeitet. Genügend und gut ausgebildetes Personal, moderne Entscheidungsstrukturen und attraktive Arbeitsbedingungen für Polizeibedienstete tun ebenfalls not – genügen allein jedoch nicht.

In ganz Deutschland wird von Bürger- und Menschenrechtsorganisationen kritisiert, dass die Polizei aufgrund ihrer hierarchischen Strukturen und des vorhandenen Korpsgeistes nur schwer von außen kontrollierbar ist. Von außen bedeutet: Das Parlament soll und muss die Polizei eigentlich kontrollieren, kann es aber nur ungenügend tun. Hierauf weisen Polizeiwissenschaftler seit Jahr und Tag hin. Wenn es zur Anzeige wegen einer vermeintlichen Straftat gegen Polizeibedienstete im Amt kommt, muss die Polizei ermitteln – gegen sich selbst.

Zu welchen Ergebnissen das in Sachsen führt, sehen Sie in der Antwort auf eine Kleine Anfrage von mir (Drs. 5/8910): in den vergangenen 3 Jahren wurden bei uns insgesamt 640 Ermittlungsverfahren gegen Polizistinnen und Polizisten im Amt geführt. Hiervon wurden 591 nach § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung eingestellt, weil die Staatsanwaltschaft keinen Grund zur Klageerhebung gesehen hat. Das sind 92 Prozent aller Verfahren. Nur in ca. 3 Prozent der Fälle kam es zu einem Gerichtsverfahren und ganze zwei Mal, also in ca. 0,3 Prozent der Fällen, zu einer Verurteilung.

In Strafverfahren allgemein kommt es nach bundesweiten Erhebungen u.a. vom Statistischen Bundesamt nur in 26,5 Prozent aller Fälle zu einer Einstellung nach § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung und in 11,5 Prozent zu einer Anklageerhebung. Diese Unterschiede sprechen für sich.
Durch die Antwort auf meine Kleine Anfrage Drs. 5/9336 haben Parlament und Öffentlichkeit zudem erfahren, dass es bei der sächsischen Polizei bislang noch nicht mal eine Innenrevision gibt, sondern diese erst aufgebaut werden soll.

Um diese Situation zu verbessern, wird von Fachleuten und Menschenrechtsorganisation wie des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung und Strafe und von Amnesty International immer wieder die Einrichtung unabhängiger Stellen gefordert.

Wir haben uns länger mit den verschiedenen, dafür möglichen Formen beschäftigt und schlagen Ihnen, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Gesetzentwurf die Einrichtung einer unabhängigen Polizeikommission vor. Sie soll vom Landtag legitimiert und ihm direkt zugeordnet werden – ähnlich wie der Datenschutzbeauftragte. Die Polizeikommission besteht aus 5 vom Landtag mit 2/3-Mehrheit gewählten Mitgliedern, die über besondere Sachkenntnisse verfügen: aus ihrer Bürgerrechtsarbeit, aus der Rechtspflege und auch aus der Polizei selbst. Angesichts der notwendigen Arbeit und der Vielzahl der Fragestellungen halten wir das für eine schlanke Struktur.

Die Mitglieder der Polizeikommission haben umfassende Rechte auf Akteneinsicht, Befragung von Beteiligten, Zutritt bei Behörden und Auskunft. Sie können Demonstrationen und Polizeieinsätze ohne Einschränkung beobachten. Die Polizeikommission ist vor dem Erlass von Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften z.B. zum Einsatz von Spezialeinheiten oder der Planung polizeilicher Großeinsätze einzubeziehen.

Die Polizeikommission kann Beschwerden von Bürgern oder Polizeibediensteten bearbeiten oder nach eigenem Ermessen tätig werden. Die Kommission kontrolliert die ganze Polizeitätigkeit. Das betrifft auch die Kontrolle von Vorgängen, in denen die Polizei rechtswidrig gehandelt hat, ohne bereits an einen Straftatbestand erfüllt zu haben. Hierbei denke ich z.B. an die rechtswidrigen Funkzellenabfragen um den 19. Februar 2011. Zwar haben sich die verantwortlichen Minister Ulbig und Martens davon scheinbar distanziert und eine engere Fassung der Strafprozessordnung vorgeschlagen. Jedoch wurde gleichzeitig eine Handreichung für die Polizei erarbeitet, die die damalige Praxis der Funkzellenüberwachung unverändert bestätigt.

Mit solchen Fragen kann und muss sich eine Polizeikommission beschäftigen. Denn nach unserem Gesetzentwurf kann Sie die Bewertung einzelner Vorgänge hinaus Empfehlungen und Hinweise zur Tätigkeit der Polizei geben. Innenminister und Parlament können sie um Prüfungen und Empfehlung bitten. Die Kommission erstattet dem Parlament jährlich einen öffentlichen Bericht über ihre Arbeit.

Durch die Arbeit der Polizeikommission erwarten wir uns, dass bürgerrechtliches Denken in der Polizei vertieft wird, Reformen vorangetrieben werden und die Polizeiarbeit insgesamt zum Nutzen der Bürger verbessert wird. Wir freuen uns auf die Diskussionen über unseren Gesetzentwurf.

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