Eva Jähnigen: Unsere Vorstellung eines modernen Staat ist eine andere

Redebeitrag der Abgeordneten Eva Jähnigen zur Fachregierungserklärung:
"Für ein starkes Sachsen – Staat modernisieren, Bürokratie abbauen"
96. Sitzung des Sächsischen Landtages, 21. Mai 2014, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort –

Meine Damen und Herren,
sehr geehrter Herr Minister Martens,
Sie wollen die heutige Fachregierungserklärung nutzen, um Bilanz ihrer sogenannten Staatsmodernisierung zu ziehen. Vielen Dank im Namen der GRÜNEN-Fraktion für diese willkommene Gelegenheit.
Wir haben uns in dieser Legislatur schon des Öfteren mit Ihrem Verständnis von Staatsmodernisierung beschäftigt. Und ja: Prozessmanagement, Bürgerkoffer und Bürgerterminal, einheitliche Behördennummer, elektronische Verwaltungsverfahren sind nett und manchmal auch etwas Neues.
Aber mal ehrlich, Herr Dr. Martens – sind Sie wirklich der Auffassung, dass wir in einem Staat mit einer modernen Verwaltung leben? Nur weil das Kabinett angeblich kein Papier mehr benutzt? Weil es ein paar Bürgerkoffer gibt? Und weil sie ein paar schon längst nicht mehr angewandte Rechtsverordnungen außer Kraft gesetzt haben?
Oder verstehen Sie unter Staatsmodernisierung weiterhin Ihr vor zwei Jahren vorgelegtes "Standortkonzept", in dem sie im Handstreich Behörden und Gerichte zusammengelegt oder an andere Standorte verschoben und für das Sie Kosten von mindestens 309 Millionen Euro prognostiziert haben? Was ist aus diesem Projekt geworden?
In den letzten Haushaltsverhandlungen haben wir in den einzelnen Kapiteln kaum noch eine bauliche Umsetzung dieses Konzepts gefunden. Umzüge wie der der Landesnaturschutzstiftung wurden ohne Erklärung vor Ort verschoben oder aber wie der der Bildungsagentur auf Eis gelegt. Natürlich sind diese Umzüge teuer – wir hatten das ja bereits im Parlament vorhergesagt. Wir finden, dass sie mit den Kostenfolgen für die weiter geplanten Umzüge der SAB, des Rechnungshofes sowie der Zusammenlegung gerade vor Wahlen transparent umgehen sollten. Sonst wird es von ihrer Planung heißen: viel versprochen, viel für teures Geld geprüft – wenig umgesetzt, Bürgerhoffnungen vor Ort erzeugt und wieder enttäuscht.
Wir GRÜNE verstehen unter Staatsmodernisierung etwas, das die Bürgerinnen und Bürger positiv wahrnehmen können – und zwar konkret und ohne teure Plakatkampagne. Was spürt der Bürger bzw. die Bürgerin derzeit zuerst vom sächsischen Staat vielerorts? Personalmangel in Schulen und Polizei – Rückzug der Verwaltung aus der Fläche.
Ihr Verständnis von Staatsmodernisierung gipfelte im vom Ministerpräsidenten angesagten Abbau von 15.000 Personalstellen bis 2020 – ohne Rücksicht auf Arbeitsanfall, Wissenstransfer und Altersstruktur in den Behörden.
Dabei wissen Sie an den Spitzen der derzeitigen Regierung eigentlich selbst: Stellenabbau ohne Rücksicht auf die Funktionsfähigkeit ist so ungefähr das Unmodernste, was eine Staatsregierung in eigener Verantwortung tun kann. Eine Verwaltung, die ihre Aufgaben nicht erfüllt, ist nicht modern, sondern nutzlos.
Bis heute hat die gesamte Regierung Tillich das Kernproblem ihrer auslaufenden Legislatur, die Altersstruktur unseres landeseigenen Personals, nicht einmal im Ansatz in den Griff bekommen:
In Sachsen gehen in den kommenden sechs Jahren (bis 2020) rund 15.000 der derzeit 85.000 Landesbediensteten in Ruhestand. Allein bei den Lehrern und im Ressort des Kultusministeriums sind es 6.300 Bedienstete, die in Rente gehen. Ab 2021 gehen in diesem Bereich dann jährlich 1.600 Bedienstete in Rente. Die Folgen der Fehlplanungen bei den Lehrerinnen und Lehrern erleben die Kinder schon jetzt im ganzen Land.
Das nächste brennende Problem zeichnet sich bekanntermaßen bei der Polizei ab. Dort wurde der Innenminister nach über vierjähriger Amtszeit im Februar dieses Jahres von einem "vorübergehenden Galopp" beim Stellenabbau überrascht. Für alle, die sich gefragt haben, wann denn Herrn Ulbig auf einmal diese Stellen bei der Polizei abhandengekommen sind: der Finanzminister hat in der Antwort auf meine Kleine Anfrage (Drs. 5/13788) Auskunft geben. Da hatte doch der im Jahr 2012 dem Landtag vorgelegte Haushaltsplan für 2013/2014 eine stattliche Anzahl von kw-Vermerken (nämlich 1.171 bis 2020) aufzuweisen. Herr Innenminister, 2012 fanden Sie den Stellenabbau im Innenausschuss noch vollkommen richtig.
Nun verkauft uns derselbe Innenminister diesen geplanten Stellenabbau als überraschenden Galopp und fordert vor der Wahl genau jene 100 Stellen mehr, die wir in den Haushaltsverhandlungen Ende 2012 beantragt hatten. Wie so häufig schafft es diese Staatsregierung, erst die Probleme selbst zu verursachen und dann die vermeintliche Lösung aus dem Hut zu ziehen, um sich so als Heilsbringer aufzuführen. Nur, so dreist wie hier habe ich das selten erlebt.
Selbst Sie, Herr Dr. Martens, sind in diesem Frühjahr aufgewacht und haben öffentlich gesagt, was alle Fachleute längst wissen und die GRÜNE-Fraktion seit 2010 mit mehreren parlamentarischen Initiativen angemahnt hat, zuletzt bei den Haushaltsberatungen für 2013/14. Die sächsische Justiz hat ein massives Problem mit Altersabgängen: 2024 gehen innerhalb von sieben Jahren 50 Prozent der Richter und Staatsanwälte in den Ruhestand. Wir dürfen gespannt sein, ob der Haushaltsplan 2015/2016 hier endlich umsteuert oder ob das Ankündigen eines Einstellungskorridors von 20 zusätzlichen Stellen pro Jahr genauso wie Ihre Fachregierungserklärung heute nur leeres Wahlkampfgetöse ist.
Und was sagen Sie eigentlich dazu, dass der Finanzminister die Verwaltungsgerichtsbarkeit mit der vollkommen unnötigen Versendung der Widerspruchsbescheide bei den Beamten nun quasi lahmlegt?
Ähnlich schlimm sieht das in kleineren Fachbehörden aus wie z.B. im Umweltministerium, wo auf Abfrage nicht einmal die Anzahl künftiger kw-Stellen zu erfahren ist.
Die GRÜNE Vorstellung eines modernen Staat ist eine andere als ihre: Wir brauchen – gerade im Wettbewerb um Fachkräfte mit den anderen Bundesländern – eine vorausschauende Personalpolitik mit festen Einstellungskorridoren für eine ausgewogene Altersstruktur. Ob wir noch so viel Personal brauchen, wie derzeit, muss sich zeigen. Das kann aber nur durch eine umfassende Aufgabenkritik in allen Bereichen festgestellt werden. Auch an dieser fehlt es bisher vollkommen. Pauschale Kürzungsziele lehnen wir ab.
Ja, Personalkosten muss ein Staat auch sicher finanzieren können. Deshalb müssen wir parallel im Freistaat natürlich Einsparungspotenziale analysieren – bei den Verwaltungsstandorten, bei den internen Kosten, bei einer Behörde wie dem überdimensionierten Verfassungsschutzamt und im Straßenbau beispielsweise. Auch hier haben Sie bei Ihrer sogenannten Staatsmodernisierung nicht gehandelt.
Aber sind es allein die Verwaltungsstrukturen oder die Verwaltungsverfahren eines Staates, die modern sein sollen?
Nein.
Modern ist vor allem der Staat, der in erster Linie seinen Bürgern dient. Der ihnen die Möglichkeit bietet, an Entscheidungen teilzunehmen und ihnen Entscheidungen erklärt. In dem Verwaltungshandeln nachvollziehbar und verständlich ist.
Und so ist es in Sachsen nicht: Wir haben kein Informationsfreiheitsgesetz, das es den Bürgerinnen und Bürgern rechtsverbindlich ermöglicht, Zugang zu amtlichen Informationen von Behörden zu haben. Auch der Entwurf des E-Government-Gesetzes aus Ihrem Hause, Herr Dr. Martens, enthält keine Verpflichtung von Behörden, der Öffentlichkeit Daten mit einem legitimen Weiterverwendungsinteresse zur Verfügung zu stellen. Und ihre Vorstellungen von Barrierefreiheit sind – freundlich ausgedrückt – noch ganz am Anfang. Ist denn das Amt 24 barrierefrei?
Und das Ziel eines vorbildlichen Umgangs mit ökologischen Ressourcen in der sächsischen Verwaltung kommt bei Ihnen gar nicht erst vor.
Es wird dringend Zeit, dies zu ändern. Daran werden wir ihre Staatsmodernisierung messen.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, Sie haben in diesem hohen Haus noch heute die Gelegenheit, den Freistaat Sachsen ein Stück moderner zu machen. Sie können unserem Gesetzentwurf zur Änderung der Verfassung zustimmen, der eine Absenkung der Quoren für Volksbegehren vorsieht. Wir würden den sächsischen Bürgerinnen und Bürgern echte Beteiligungsmöglichkeiten einräumen und auch Ihnen das Gefühl vermitteln, in einem modernen Land zu leben, in dem man sich für seine Ideen starkmachen kann – "Stark für Sachsen". In diesem Sinne sage ich für meine Fraktion: eine echte Staatsmodernisierung tut im Freistaat Sachsen not. Das hat Ihre Bilanz heute gezeigt.
» Entschließungsantrag der GRÜNEN-Fraktion