Eva Jähnigen: Wer sich in der Einschätzung von Blood & Honour auf Staatsregierung und Verfassungsschutz verlässt, ist verlassen
Redebeitrag der Angeordneten Eva Jähnigen zur Großen Anfrage "Strukturen von ‚Blood & Honour‘ in Sachsen sowie deren Unterstützernetzwerke" (Drs. 5/11189), 79. Sitzung des 5. Sächsischen Landtags, 20. Juni, TOP 3
– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrter Herr Präsident,
Meine Damen und Herren Kollegen,
Diese Große Anfrage ist ein Offenbarungseid. Ein Offenbarungseid darüber, wie ungenügend die Auseinandersetzung des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) mit Strukturen der extremen Rechten und im vorliegenden Fall insbesondere mit Blood & Honour nach wie vor ist.
Sie reiht sich ein, in die Serie des Versagens des Landesamtes und des Innenministeriums, die am gestrigen Tage durch Bekanntwerden des Auffindens neuer Unterlagen im LfV und der Versetzung des Vizepräsidenten des LfV, Dr. Vahrenhold, mal wieder einen vorläufigen Höhepunkt erreicht hat.
Wie die Aufklärung der Verbrechen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) ist diese Große Anfrage gekennzeichnet von Unvermögen. Dem Unvermögen, eigene Urteile und Bewertungen zu revidieren und der Wirklichkeit anzupassen. Die Antworten der Staatsregierung kann ich nur als schlechten Witz verstehen. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass das LfV so überflüssig ist wie ein Kropf: Hier ist er.
Wir dürfen in der heutigen Diskussion nicht vergessen, dass diese Große Anfrage seitens der LINKEN eine Vorgeschichte hat. Am 13. Februar 2012 haben die Kolleginnen und Kollegen einen Antrag in den Geschäftsgang gegeben mit dem Titel "Unterbindung des Wirkens von Strukturen von ‚Blood & Honour‘ und der ‚Hammerskin Nation‘ in Sachsen sowie deren Unterstützernetzwerke". Im Wesentlichen wurde in diesem Antrag ein Bericht der Staatsregierung eingefordert zu den Fragestellungen, die nun auch im Rahmen der Großen Anfrage aufgeworfen wurden.
In ihrer Stellungnahme verweigerte die Staatsregierung damals eine inhaltliche Antwort auf diesen Antrag mit der Begründung, dass der Antrag lediglich auf einen sehr speziellen Ausschnitt aus dem Bereich ‚rechtsextremistische subkulturelle Szene‘ abziele. Die gewünschten Informationen würden nicht vorliegen. Zur Beantwortung müsse Spezialwissen zusammen getragen werden, dies sei nicht zu leisten und ginge zu Lasten der Arbeitsfähigkeit von Polizei und Verfassungsschutz sowie der aktuellen Prioritäten wie der Aufklärung rechtsterroristischer Strukturen und Verbrechen.
Am 11. Oktober 2012 fand eine öffentliche Anhörung des Innenausschusses zu dem Antrag statt. Mein Fraktionskollege Miro Jennerjahn fragte damals den anwesenden Sachverständigen Dr. Vahrenholdt, mittlerweile (Ex-)Vizepräsident des LfV, ob die Stellungnahme der Staatsregierung mit dem LfV abgestimmt gewesen sei. Herr Dr. Vahrenholdt sagte damals, Herr Jennerjahn könne davon ausgehen, dass solche Aussagen abgestimmt sind.
Meine Damen und Herren, schon die Antworten damals waren erschreckend. Sie zeigen, dass eine inhaltlich fundierte Auseinandersetzung mit einer zentralen Struktur der extremen Rechten nicht stattgefunden hat. Das erstaunt umso mehr, da ja gerade das Auffliegen des so genannten ‚Nationalsozialistischen Untergrunds‘ gezeigt hat, wie eng die sächsischen Führungsstrukturen von Blood & Honour in das Unterstützernetzwerk des NSU eingebunden waren. Die Antwort der Staatsregierung, eine Auseinandersetzung mit Blood & Honour würde die Aufklärung von Rechtsterrorismus behindern, war also schon zum damaligen Zeitpunkt ein Hohn.
Nun ist rund ein dreiviertel Jahr vergangen und wir haben die Antworten der Staatsregierung auf diese Große Anfrage und müssen feststellen, dass LfV und Staatsregierung nach wie vor nicht bereit sind, die Bedeutung von Blood & Honour zu erfassen.
Es sind einige Antworten in dieser Großen Anfrage, die durchaus bezeichnend sind für diese Ignoranz. Etwa wenn wir der Antwort zu Frage 8 Folgendes entnehmen müssen: "Explizite Äußerungen ehemaliger Blood & Honour Mitglieder zur ideologischen Ausrichtung im Sinne der Grundlagenschriften liegen nicht vor". Anders ausgedrückt: Das LfV weiß nur, was ihm von Nazis gesagt wird. Eigene Analyse? Fehlanzeige.
Erschreckend auch die Antwort auf Frage 9: "Blood & Honour hat sich nicht als politische Organisation angesehen, sondern vielmehr als Multiplikator nationalsozialistischer Ideologie durch das Mittel Musik. Für die Führungsmitglieder von Blood & Honour-Sachsen war die Ideologie zweitrangig, deshalb wurden keine politischen Treffen beabsichtigt bzw. durchgeführt […] Generell sah Blood & Honour in der Musik das ideale Mittel für den Transport der nationalsozialistischen Ideologie".
Dazu kann ich nur sagen: Herzlichen Glückwunsch. Das LfV und die Staatsregierung dürften zu den wenigen gehören, die das Verbreiten von NS-Ideologie nicht als politisch betrachten. Es ist aber nur folgerichtig, wenn man sich beharrlich weigert, sich mit dem politischen Wesen dieser Struktur zu beschäftigen und sie statt dessen lieber als eine Art Konzertveranstaltungsagentur betrachtet.
Die Antwort der Staatsregierung kann auch deshalb nur erstaunen, weil die von Blood & Honour durchgeführten Konzerte gerade die angeblich nicht stattfindenden politischen Treffen darstellen. Man kann sich an dieser Stelle nur wünschen, dass Staatsregierung und LfV das eindrucksvolle Bildmaterial zur Kenntnis nehmen, das für den Film "Blut muss fließen" zusammen getragen wurde. Sie wissen, es handelt sich dabei um zahlreiche Aufnahmen von Neonazi-Konzerten, die durch einen mutigen Journalisten über Jahre hinweg mit versteckter Kamera aufgenommen wurden, auch hier in Sachsen. Allein dieses Bildmaterial belegt, wie weit die Antwort der Staatsregierung von der Realität entfernt ist.
Die Ignoranz von Staatsregierung und LfV zeigt sich auch in der Antwort auf Frage 21. Gefragt wurde dort nach Erkenntnissen über Mitgliedschaften von ‚Hammerskins‘ im Führungskreis des Freien Netzes Mitteldeutschland oder dessen örtlichen Gruppen.
Auch hier pflegen Staatsregierung und LfV weiterhin das Märchen, das Freie Netz sei lediglich eine Kommunikationsplattform. Festgemacht wird dies daran, dass Mitgliedschaften im Freien Netz nicht möglich seien. Offenkundig versucht das LfV immer noch mit untauglichen Instrumenten beziehungsweise Organisationsmodellen wie nicht existenten Vereinsstrukturen zu arbeiten.
Das LfV beweist damit, dass es nach wie vor unfähig ist, die Logik sozialer Bewegungen und damit auch weniger formell organisierter Zusammenschlüsse zu erfassen. Das ist erschreckend, weil in der Politik- und Sozialwissenschaft diese zutreffende Analyse, die extreme Rechte als soziale Bewegung zu erfassen und zu beschreiben, immer mehr um sich greift. Dem LfV fehlt also auch hier die fachliche Grundlage. Die wissenschaftliche Expertise fehlt. Sie wird entweder nicht wahr oder ernst genommen oder sie wird schlichtweg nicht verstanden.
Es ließe sich noch viele sagen und dass obwohl die Große Anfrage und die Antworten recht kurz sind. Ich will es dabei bewenden lassen. Ich finde es jedoch beschämend, dass dieses Dokument die öffentliche Position der Staatsregierung darstellt. Jeder Mensch, der will, kann in dieses Dokument Einsicht nehmen und wird entweder, so er die Antworten ernst nimmt, in die Irre geführt, oder erhält, wenn er sich auskennt, er einen Einblick in den Unwillen des Freistaates Sachsen, sich fundiert mit der extremen Rechten auseinander zu setzen.
Es bleibt nur das bittere Fazit: Wer sich in der Einschätzung von Blood & Honour auf die Staatsregierung und das LfV verlässt, ist verlassen.
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